FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Filmstill-Collage aus „Wasp Network“, „Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga“ und „Dark“

Netflix

Die Heimkino-Tagebücher: Kubanische Spione, isländische Amerikaner, deutsche Zeitreisende

„Wasp Network“, „Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga“ und „Dark“: Streamingnews zwischen Klamauk, Politik und Düsternis.

Von Christian Fuchs

Verquere Zeiten: Ein Teil der Kinos hat wieder geöffnet, muss sich aber noch auf Wiederaufführungen beschränken. Während neue Filme namhafter Regisseure und Schauspieler*innen online only zu sehen sind. Das hat aber in den meisten Fällen nichts mit der vervirten Gegenwart zu tun, sondern natürlich mit der grundsätzlichen Situation des Mediums Film.

Ein Regisseur wie Oliver Assayas beispielsweise, der seit Jahrzehnten zu den wichtigsten Stimmen des europäischen Arthaus-Kinos gehört, konnte nur dank des Streaminggiganten mit dem roten „N“-Logo seinen neuen Streifen veröffentlichen. Der Franzose reiht sich damit in eine Liga mit Alfonso Cuarón, Martin Scorsese oder unlängst Spike Lee.

Was „Wasp Network“ von Assayas aber von epischen Meisterwerken wie „Roma“ oder „The Irishman“ unterscheidet: Der Thriller nach wahren Ereignissen schreit in keiner Minute nach der großen Leinwand. Um es noch drastischer zu formulieren: Ohne gelegentliche kurze Couch-Pausen ist „Wasp Network“ in seiner zähflüssigen Machart schwer durchzustehen. Das klingt hart, denkt man an so großartige Assayas-Arbeiten wie „The Clouds Of Sils Maria", " Après mai“ oder „Personal Shopper“.

Filmstills aus den Serien  „Wasp Network“, „Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga“ und „Dark“

Netflix

Bestenfalls passables Spionagedrama

Worum geht es? Am Anfang folgen wir dem Piloten René bei seiner perfekt geplanten Flucht aus der kubanischen Heimat. Um in den USA ein neues Leben anzufangen, lässt er sogar seine Frau und die kleine Tochter zurück. René schließt sich in Miami einer Organisation an, die gegen das kubanische Regime arbeitet, mit mehr als kriminellen Mitteln.

Plötzlich schwenkt die Story um, ein anderer Exil-Kubaner drängt sich in den Mittelpunkt der Erzählung. Juan ist die dekadentere Version von René, ein Geschäftsmann der den amerikanischen Luxus genießt. Trotzdem stimmt irgendetwas nicht mit dem aalglatten typ, wie auch sein Frau Ana frustriert bemerkt.

Wie Olivier Assayas diese beiden Stränge zusammenführt, mit weiteren Figuren verknüpft, wie er radikale Twists und Wendungen präsentiert, das ist halbwegs routiert. Aber von dem französischen Meisterregisseur will man doch kein bestenfalls passables Spionagedrama sehen. Die Geschichte des „Wasp Network“, das im Namen der kubanischen Revolution Mordanschläge durchführt, verdient eine fesselnde Umsetzung.

Filmstills aus den Serien  „Wasp Network“, „Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga“ und „Dark“

Netflix

Mit dem Terroristenepos „Carlos“ hat Assayas schon einmal überzeugend gezeigt, wie man Genreklischees spannend unterwandert. Auch damals hat der charismatische Edgar Ramírez die Hauptrolle gespielt. „The Wasp Network“ bietet zwar eine ganze Riege von Stars in weiteren Rollen. Aber auch wenn sich Gael Garcia Bernal, Ana de Armas oder Wagna Moura („Narcos“) redlich bemühen: Gegen die langweilige Inszenierung kommen sie nicht an. Einzig Penélope Cruz gelingt es, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.

Zwischen Glorifizierung und Karikatur

Ein Thriller ohne Thrills also. Darf man sich dann etwa vom künstlerisch und kassentechnisch abgestürzten Comedystar Will Ferrell auch keine Lacher mehr erwarten? Entwarnung, „Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga“, seine neue Netflix-Produktion, ist die schönste Überraschung auf dem Streamingsektor.

Dabei hat sich die Vorfreude wirklich in Grenzen gehalten. Regisseur David Dobkin hat die gerade mal die halblustige Komödie „The Wedding Crashers“ gedreht, ein verunglücktes Drama mit Robert Downey Jr. („The Judge“) und einige Maroon 5 Videos. Will Ferrell, der einstige Gott des improvisierten Klamauks, blickt eben auch schon länger auf eine stagnierende Karriere zurück. Und dann das Thema. Der Song Contest ist so sehr Selbstparodie, dass jede filmische Verspottung scheitern muss.

Aber siehe da, kleine Wunder passieren. Die Geschichte des Musikduos Fire Saga, das von Island aus die Welt des Chartspop erobern will, die ist schon ziemlich lustig. Will Ferrell und Rachel McAdams sind Lars Erickssong und Sigrit Ericksdottir, ein infantiler Songwriter und eine hippieske Sängerin, beste Freunde von Kindheitstagen an. Ihr Traum: Für Island den Songcontest zu gewinnen. Das Problem trotz Sigrits umwerfender Stimme: Lars ist ein tollpatschiger Loser.

Filmstills aus den Serien  „Wasp Network“, „Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga“ und „Dark“

Netflix

„Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga“ ist endlich die Rückkehr zur Form für Will Ferrell, die sich Fans wie meine Wenigkeit erhofft hatten. Beinahe zumindest. Der Songwriter Erick Erickssong wird wohl keine ikonische Figur wie der Nachrichtensprecher Ron Burgundy oder der König der Rennfahrer Ricky Bobby werden. Aber man kann sehr viel Spaß mit diesem Film haben.

Rachel McAdams spielt die esoterisch angehauchte Sigrit fantastisch, Dan Stevens reißt den Film als eitler russischer Schlager-Gockel manchmal an sich. Ja, auch Pierce Brosnan als grantigen Ferrell-Papa sollte man erwähnen und, psst, einige überraschende Gastauftritte bisheriger Song Contest Gewinner*innen.

Vor allem ist „Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga“ aber ein Film über die Liebe. Über die Liebe zweier schrulliger Menschen zueinander, die Liebe zu absurder Popmusik. Falsettsingende Typen im Heavy Metal Outfit werden ebenso gefeiert wie Autotune-Refrains und bombastisches Bühnen-Feuerwerk. Der Film spaziert gelassen an der Grenze zwischen Glorifizierung und Karikatur, ist aber tatsächlich für Song Contest Liebhaberinnen und Liebhaber gemacht - oder solche die es noch werden wollen.

Filmstills aus den Serien  „Wasp Network“, „Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga“ und „Dark“

Netflix

Dunkelheit und Licht

Wem die geballte Ladung guter Laune, die Will Ferrell & Co. als amerikanische Isländer zelebrieren, zuviel ist, kann einen Streamingklick weiter einen Abstecher ins deutsche Städtchen Winden machen. In dem Provinzort nahe eines AKWs gehen die Einwohner zum Lachen in den Keller. Was auch nicht stimmt, denn eigentlich werkeln die braven Bürger von Winden dort an ganz schlimmen Dingen. Und in der Serie „Dark“ schmunzelt grundsätzlich nicht einmal jemand heimlich. Das war in den bisherigen zwei Staffeln so und ändert sich nun in der finalen Season kein bisschen. Der Titel ist Programm.

Ein Teil der Faszination der Serie, vor allem im internationalen Raum, rührt sicher von dieser konsequenten Tristesse und Verbitterung, die sich durch sämtliche Szenen zieht. „Very german“, denken sich etwa amerikanische Genrefreaks, bei all den eingefrorenen Gesichtern und Gefühlen. Dass der beklemmend pulsierende Electro-Soundtrack von Ben Frost stammt und der melancholische Titelsong von Soap & Skin und Apparat, passt perfekt ins nachtschwarze Bild. Die Kids aus „Stranger Things“ müssten in „Dark“ Psychopharmaka schlucken, um durch den Alltag zu kommen.

Filmstills aus den Serien  „Wasp Network“, „Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga“ und „Dark“

Netflix

Vor allem ist es aber der Inhalt, der diverse Webforen hysterisch macht. Durch einen Tunnel im Wald können die Einwohner*innen zurück in die Vergangenheit spazieren, dort ihre Eltern beobachten oder sich auf die Suche nach verschwundenen Kindern begeben. Jantje Friese (Drehbuch) und Baran ba Odar (Regie) nähern sich der Zeitreise-Thematik mit einer wahnwitzigen Ambitioniertheit. Jede(r) ist mit jedem auf fatale Weise verwandt oder verbandelt in Winden, in Staffel 3 kommt neben etlichen Zeitebenen eine Parallelwelt dazu.

Jemand wie der Schreiber dieser Zeilen, der leider nicht einmal die „Kleinste Geschichte der Zeit“ von Stephen Hawking verstanden hat, kapituliert dabei natürlich öfter. Stößt besonders in Staffel 3 an die Grenzen der Hirnschmelze. Aber der Mindfuck-Faktor, der sogar „Lost“ oder „The Leftovers“ in den Schatten stellt, macht gleichzeitig süchtig.

Bei aller nerdigen Zuneigung hatte ich aber nicht mit einem derartigen Ende gerechnet. Wie Jantje Friese und Baran ba Odar da die Fäden zusammenführen, die kopfwehmachende Komplexität auflösen, das überraschte mich auf positivste Weise. Einen Moment lang regiert strahlendes Licht statt auswegloser Finsternis. Eine der tollsten Coverversionen der letzten Jahre ertönt, Herzen schmelzen und wunderbarster Kitsch neutralisiert die depressive Stimmung. Vielleicht ist Winden doch nicht weit weg vom Song Contest.

mehr Film:

Aktuell: