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Ein Buch gegen Herzschmerz

In ihrem Buch „Liebeskummer bewältigen in 99 Tagen“ schreibt die deutsche Autorin und Journalistin Michèle Loetzner gegen die Bagatellisierung von Liebeskummer an und zerlegt nebenbei patriarchale Strukturen.

Von Ambra Schuster

Manchmal ist man mit jemandem Jahre lang zusammen, verbringt Tag und Nacht mit der einen Person und dann – Zack. Bumm. Aus. Beziehung beendet. Das Gefühl danach ist einfach nur besch* und irrational. Hände hoch, wer’s kennt.

Liebeskummer schlägt ein, tut weh und ist meistens gekommen, um etwas länger zu bleiben. Diesem übergroßen Gefühl widmet die deutsche Autorin und Journalistin Michèle Loetzner jetzt ein Buch. „Liebeskummer bewältigen in 99 Tagen“ - Halb Sachbuch, halb interaktiver Ratgeber ist esvwohl eines der sinnvollsten seiner Art.

Michèle Loetzner ist 1982 in Heidelberg geboren und hat an der LMU München und der Universität Helsinki Literaturwissenschaft, Anglistik und Linguistik studiert. Sie arbeitet als freie Journalistin, Textchefin und Konzeptionerin u. a. für die Süddeutsche Zeitung, Die Welt, Die Zeit und Frauenmagazine wie Cosmopolitan oder Glamour.

„Ratgeber fangen meist mit einem achtsamen Gesäusel an. Irgendwas wie: ‚Schön dass du da bist!‘ oder ‚Du bist gut, so wie du bist.‘ So fangen wir hier nicht an, denn eines gibt es wohl mal ganz klar festzuhalten: Heute ist ein Scheißtag.“

Plattitüden wird man in diesem Buch keine finden. Michèle Loetzner schreibt auf Augenhöhe. Sie wollte bewusst keinen klassischen Liebeskummer-Ratgeber à la Herz-mit-Pflaster-am-pinken-Cover-vorne-drauf schreiben. Schließlich weiß man aus wissenschaftlicher Sicht mittlerweile viel über Liebeskummer. Und genau das gilt es verständlich weiterzugeben. Bisher eine Marktlücke in der Literatur, wie die Autorin findet: „Ich will mich doch nicht so verarschen lassen von Ratgebern, die mir sagen, ich soll mit Lippenstift ein Bild meines Ex malen und dann verbrennen. Ich hab‘ ein gebrochenes Herz und kein gebrochenes Hirn.“

„Ich habe ein gebrochenes Herz, kein gebrochenes Hirn.“

Liebeskummer ist kein Teenieproblem

Wer versteht, kann leichter loslassen, so die Devise des Buches. In „Liebeskummer bewältigen in 99 Tagen“ bricht Michèle Loetzner Studien zum Thema herunter und erklärt, was in unserem Hirn passiert, während sich unser Herz im Minutentakt selbst sprengt.

So schreibt sie etwa, dass Menschen mit Liebeskummer dieselben körperlichen und seelischen Symptome haben, wie Traumapatient*innen. Tatsächlich spielen sich psychischer und physischer Schmerz im gleichen Hirnareal ab. „Also sollte ich mit einem gebrochenen Herzen wohl ähnlich verfahren wie mit einem gebrochenen Bein“, betont Loetzner. Liebeskummer ist kein Teenieproblem und sollte auch nicht länger als solches abgetan werden.

„Als wäre es etwas, das man mit ein bisschen Zusammenreißen in den Griff bekommt.“

Loetzner kritisiert auch das Wort Liebeskummer: „Das redet das Gefühl so klein, als wäre es eine Bagatelle, als wäre es etwas, das man mit ein bisschen Zusammenreißen in den Griff bekommt. Das entspricht nicht dem, was körperlich mit uns passiert.“ Und es entspricht auch nicht dem, was Liebeskummer wirtschaftlich bedeutet. Laut einer Studie sind 16 Prozent der Deutschen schon einmal wegen Liebeskummer nicht arbeiten gegangen.

Lifehacks gegen Liebeskummer

„Wer mittendrin steckt in diesem grauenvollen Gefühlstsunami, dem tut einfach alles weh. Körperlich und seelisch. Liebeskummer fällt unter sozialen Schmerz, der wiederum wird im gleichen Teil unseres Hirns verarbeitet wie physischer Schmerz. Und was hilft dagegen? Schmerzmittel. Ja, Ibuprofen hilft gegen Liebeskummer, kein Scheiß. So, und jetzt denkst du wahrscheinlich: wtf? Gut so. Mehr dazu später.“

Auch der Hormonhaushalt steht bei Liebeskummer Kopf. Was in unserem Hirn nach einer Trennung vorgeht, ist vergleichbar mit einem kalten Drogenentzug. Das Ersatzfix kennen wir alle: Den Ex auf Social Media stalken oder alte Bilder ansehen. Was dagegen hilft? Eine „Shitlist“. Man soll sich eine Liste machen, mit allen schlechten Eigenschaften des Ex-Partners. Ist man versucht, auf Instagram den Namen des Ex einzugeben, sollte man stattdessen ein Blick auf die Liste werfen.

Shitlist, Schmerzmittel und zur Massage gehen, wenn einem Berührungen fehlen. Das Buch behandelt nicht nur interessanten Fakten über Liebeskummer, sondern ist auch gespickt mit Lifehacks.

Männer leiden länger an Liebeskummer

In mehreren, über das Buch verstreuten Essays erklärt Michèle Loetzner auch, was strukturelle Ungleichheiten und das Patriarchat mit Liebeskummer zu tun haben. Vieles was Liebeskummer ausmacht, wurde uns nämlich gesellschaftlich so eingetrichtert und wird gewissermaßen auch erwartet. Deshalb beschränkt sich dieses Buch dezidiert auf heterosexuelle Frauen. Nicht weil Männer keinen Liebeskummer haben sollen oder lesbische Frauen ausgeklammert werden sollen, sondern einfach, weil die Unterschiede zu groß sind. „Ich finde es immer schwierig, wenn Autor*innen da alle bedienen wollen. Es bräuchte eine Enzyklopädie.“

„Wieso verhalten sich Männer nach einer Trennung anders als Frauen? Warum ist es der Klassiker, dass sich ein Typ erst mal besäuft, während wir vor lauter Reflektieren zur Diskokugel mutieren? Und was hat das Ganze mit Feminismus zu tun?“

Buchcover "Liebeskummer bewältigen in 99 Tagen"

Dumont Verlag

„Liebeskummer bewältigen in 99 Tagen“ ist am 16. Juni 2020 mit 272 Seiten im Dumont-Verlag erschienen

Fest steht, Männer und Frauen sind anders von Liebeskummer betroffen. Je nach Alter und Lebensplanung bedeutet eine Trennung für eine Frau etwas anderes als für einen Mann. Frauen leiden außerdem kürzer, dafür intensiver. Männer leiden länger, weil sie verdrängen. Schließlich wurde ihnen über Jahrhunderte hinweg eingetrichtert, ein Indianer kennt keinen Schmerz und ähnlicher Schwachsinn. Das Resultat: Männer verfallen nach Trennungen häufiger in Depressionen und werden Langzeitsingles.

99 Probleme, aber lesen hilft

Zurückerinnern, Kompensieren, Loslassen. In drei Teilen begleitet das Buch „Liebeskummer bewältigen in 99 Tagen“ durch die Phasen nach einer Trennung. Michèle Loetzner nimmt die Leserin an der Hand und trifft den richtigen Ton. Trocken, zynisch und gerade so wissenschaftlich, dass man leicht was davon mitnehmen kann.

„Liebeskummer bewältigen in 99 Tagen“ ist ein Buch, das man gerne schon nach der letzten Trennung gehabt hätte. Es spendet Trost und Wissen. Ob das Buch hält, was der Titel verspricht, ist natürlich individuell. Liebeskummer dauert solange, wie er dauert. Aber 99 Tage sind in etwa eine Jahreszeit und mit jeder neuen Jahreszeiten kommt auch mehr Distanz in die Sache. Der Titel ist übrigens inspiriert von Jay Z „99 Problems“. „Die Liebeskummerbitch ist nach 99 Tagen hoffentlich nicht mehr das Problem der Stunde“, sagt Loetzner.

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