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Marco Krüger/Schramm Film

Petzolds „Undine“ ist vom Kapitalismus entzaubert

In „Undine“ erzählt Regisseur Christian Petzold den Mythos des mordenden Wassergeistes neu und holt ihn ins heutige Berlin. Mit Paula Beer und Franz Rogowski in den Hauptrollen.

Von Christian Pausch

Wie kann man in der heutigen Zeit ein Märchen erzählen? Regisseur Christian Petzold hat es sich zur Aufgabe gemacht, obwohl unsere Welt von schlechten Dingen wie dem Kapitalismus durchzogen ist und von guten Dingen wie dem Feminismus zumindest eine leise Ahnung hat. Die oberflächlich erstmal heile Märchenwelt hingegen ist von solch sozialpolitischen Themen meist unberührt.

Deshalb ist es auch so, dass das Märchen von Undine, der mordenden Wasserfrau, im Jahr 2020 natürlich anders aussehen muss: feministischer ja, aber auch vom Kapitalismus entzaubert. Wo kann noch Magisches passieren, wenn nur noch Konsum herrscht? Ein Schauplatz, der sich für diesen Spagat offenbar eignet wie kein anderer, ist Berlin. Dort arbeitet Petzolds Hauptfigur Undine - von Paula Beer verkörpert - als Historikerin in der Senatsstelle für Stadtentwicklung. Sie hat also Einblick in die Struktur der Stadt, aber auch in die Natur und somit auch die Wasserläufe.

Undine

Polyfilm

Berlin, erklärt Undine ihrem andächtig lauschenden Publikum bei einer Museums-Führung, sei auf Sümpfen gebaut. Daher komme auch der Name: „Berlin“ bedeutet „trockene Stelle im Sumpf“. Dass für die städtebauliche Entwicklung der deutschen Hauptstadt auch heute noch Sumpf- und Wasserlandschaften trockengelegt werden müssen, weiß man vielleicht nur als Berlin-Kenner*in, ist aber für den Film nicht unwesentlich.

Undines Lebensraum wird nämlich laufend kleiner, denn ja: Sie ist ein Wassergeist, eine Art Arielle, allerdings nicht lieblich singend und mit Muschelschalen als Büstenhhalter, sondern unauffällig gekleidet, mitten unter uns lebend und hin und wieder mordend. Undine, so sagt die Sage nämlich, bekommt erst dann eine Seele, wenn sie sich mit einem Mann vermählt, sollte jener aber untreu werden, ist das sein Ende.

In Petzolds modernem Märchen aus 2020 aber entscheidet sich Undine gegen das Ermorden ihres untreuen Geliebten, obwohl er gleich in der ersten Szene des Films mit ihr Schluss macht. Dass die Wasserfrau selbst eine Wahl hat, ob sie tötet oder nicht, dass sie den Bann aus eigenem Antrieb heraus brechen kann, mag als feministisches Momentum gelesen werden.

Ein anderer Grund für ihre Gutmütigkeit gegenüber dem Betrüger ist aber auch der, dass gleich darauf Christoph auftaucht, bezeichnenderweise ein Industrietaucher, sanft und einfühlsam dargestellt von Franz Rogowski. Als die beiden sich zum ersten Mal treffen, zerbirst ein Aquarium und die beiden landen klitschnass zwischen zappelnden Fischen, Algen und Scherben am Fußboden.

Undine

Schramm Film

Hauptdarstellerin Paula Beer gewann für ihre Darstellung der „Undine“ den Silbernen Bären für die beste Darstellerin bei der Berlinale, und ihr Schauspiel ist tatsächlich umwerfend. Dass sie nicht aus dieser Welt ist, aber trotzdem genau von hier, das sieht man Undine in jeder Sekunde des Films an.

Dass es, trotz des Stoffes, nie kitschig wird, ist die große Leistung von Regisseur Petzold. Denn bei Küssen unter Wasser, großer Liebelei und - man muss es sagen - dem Thema Meerjungfrauen im Allgemeinen, da hätte einiges schiefgehen können. Tut es aber nicht.

„Unpolitische Filme gibt es nicht.“
- Christian Petzold

Der Film „Undine“ kann leicht als seicht verstanden werden in seiner Ruhe und Gelassenheit und ohne große Bekenntnisse oder Parolen. Doch unter der Wasseroberfläche brodelt es hier ordentlich, wenn man es nur wagt, tiefer in diesen Film einzutauchen.

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