FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Viele Stimmen in der Dokumentation Disclosure

Netflix

Die Doku „Disclosure“ wirft einen umfangreichen Blick auf die Repräsentation von Transpersonen

In der 100-minütigen Doku spannt „Disclosure“ einen Bogen von den ersten Darstellung von Transpersonen hin zur heutigen Zeit. Die Doku scheut dabei auch nicht davor zurück, Klassiker der Filmgeschichte kritisch zu hinterfragen.

Von Philipp Emberger

Ein Freund hat vergangenes Wochenende die Dokumentation „Disclosure“ mit den Worten „an alle J.K. Rowlings da draußen“ in seiner Instagram-Story empfohlen. Aktueller könnte dieser Text wohl nicht beginnen. Während die Harry-Potter-Autorin viel Kritik für ihre transfeindlichen Tweets einstecken muss, liefert Regisseur Sam Feder mit „Disclosure“ eine umfangreiche und wichtige Dokumentation über die Repräsentation von Transpersonen in Filmen und Serien.

Hollywood hat über Jahrzehnte das öffentliche Bild von Transgenderpersonen mitbestimmt, über Jahrzehnte wurden transsexuelle Menschen meist negativ portraitiert. Ihre Auftritte haben sich auf Darstellungen von Opfern, psychopathischen Serienkillern oder Sexarbeiter*innen beschränkt. GLAAD, die „Gay & Lesbian Alliance Against Defamation“, hat über 100 Auftritte von Transpersonen in TV-Shows untersucht. Das Ergebnis: In den meisten waren sie als Sexarbeiter*in zu sehen. Dieses Bild will die Dokumentation nun in einen Kontext rücken. Aufgrund von Diskriminierung am Arbeitsplatz werden Transgender häufig an den Rand der Gesellschaft gedrängt, eine Arbeit als Sexarbeiter*in bleibt oft die einzige Möglichkeit. Das ist eine wichtige Information, die in Filmen und Serien meist verschwiegen wird.

In 100 Minuten durch die Geschichte

Die Dokumentation spannt einen großen Bogen von den Anfängen der Filmgeschichte hin zur heutigen Zeit. Mit der Amerikanerin Christine Jorgensen zeigt „Disclosure“ die erste Transperson, die in den 50ern nach einer geschlechtsangleichenden Operationweltweit für Schlagzeilen sorgte und viel für die Trans-Bewegung getan hat.

Christine Jorgensen in der Doku Disclosure

Netflix

Christine Jorgensen (1926-1989)

Heute gibt es beispielweise mit „Pose“ (absolute Empfehlung!) eine Serie über die Ballroomszene im New York der 80er und 90er, die den größten Transgender-Cast ever aufweist. Das klingt nach einem großen Fortschritt (ist es auch), aber darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir erst am Beginn der Repräsentation von Transgender in Mainstreammedien stehen.

Der Name ist Programm

Die 100-minütige Doku wird ihrem Namen treu und legt mitunter schonungslos offen, denn sie bewertet Klassiker der Filmgeschichte neu und hinterfragt Darstellungen von beliebten Rollen. „Das Schweigen der Lämmer“ steht dabei ebenso in der Kritik wie Alfred Hitchcock Klassiker „Psycho“. Zwar ist Norman Bates bei Hitchcock keine Transperson, kritisiert wird jedoch, dass Bates Neigung sich Frauenkleider anzuziehen als Indiz für mörderisches Verhalten ausgelegt wird. Hitchcock hat damit gewissermaßen ein Vorbild für den Rollentypus „Psychopathischer Serienmörder in Frauenkleider“ geschaffen. Das hatte und hat bis heute Auswirkungen und Einfluss auf die Darstellung von Transpersonen in der Popkultur.

Für Fans dieser Werke mag diese Kritik schmerzhaft sein, sollte aber kein Grund für Zimperlichkeit sein. Denn diese Kritik ist notwendig und es ist Regisseur Feder hoch anzurechnen, dass er auch diese Aspekte nicht ausspart, sondern unangenehme Wahrheiten schonungslos anspricht und in Filmklassikern mit unserem heutigen Wissensstand neu beurteilt.

Plakat der Dokumentation "Disclosure"

Netflix

Die 100-minütige Dokumentation „Disclosure – Hollywoods Bild von Transgender“ ist auf dem Streamingdienst Netflix zu sehen.

Die Dokumentation kritisiert aber nicht nur auf der Ebenene der Popkultur, sondern wird auch politisch. Die Macher*innen werfen auch einen Blick auf das Spannungsverhältnis der Gay Rights Bewegung und der Trans Community. Die Historikerin und eine der bekanntesten Trans-Right-Aktivist*innen Susan Stryker beschreibt das Verhältnis in der Dokumentation so: „You know, I think sometimes it’s people who feel closest to something that frightens them who are the most vicious, and some of the most transphobic reactions that I know of actually come from gay men."

Diese kritischen Töne werden ebenso angesprochen wie der Fakt, dass viele Transpersonen - aus mangelnden Möglichkeiten heraus - Rollen in Filmen und Serien gespielt haben, die ein problematisches Narrativ vorantreiben und die sie heute kritisieren. „Disclosure“ verurteilt diese Entscheidungen aber nicht, sondern versucht einfühlsam die Hintergründe offenzulegen, nachvollziehbar zu machen, ohne dabei zu werten.

Doku mit Herz und Verstand

„Disclosure“ reiht sich ein in die immer länger werdende Liste an Queer-Geschichten, die Netflix in den letzten Wochen und Monaten veröffentlicht hat. Im Gegensatz zu „Visible: Out on Televion“ greift sich „Disclosure“ aber einen spezifischen Aspekt der queeren Geschichte heraus und thematisiert diesen umfangreich. Die Doku hat absolut das Zeug zu einem Standardwerk über Transgeschichte zu werden.

Die Macher*innen lassen ausschließlich Transpersonen zu Wort kommen. Neben bekannten wie Laverne Cox oder Candis Cayne zeigt die Doku auch neue Stimmen, die in Zukunft hoffentlich häufiger Gehör finden. „Disclosure“ ist eine Doku mit Herz und Verstand und bietet eine wichtige Perspektive an. Sie zeigt, dass Transpersonen schon immer da waren und immer da sein werden.

mehr Film:

Aktuell: