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Arca leckt an einem Spiegel

Hart + Lëshkina

Auf „KiCk i“ ist Arca Viele/s

Chaos und Harmonie gehören bei Arca zusammen. Schmerz, Reflexion, Mutation und Energie sind die sich stetig verändernde DNA von Arcas Werk, die im neuen Album „KiCk i“ wieder sichtbar wird.

Von Natalie Brunner

Die Elektronik-Innovatorin Arca macht seit ihrem ersten Auftauchen musikalisches und intellektuelles Neuland hörbar und lässt es in die Popwelt einsickern. Es macht keinen Sinn, Arca eine nationale Identität oder ein binäres Geschlecht zuzuordnen. Arca hat diese Existenz - und Ausdruck beschränkender Kategorien - in ihrem Werk und mit der Inszenierung ihres Körpers ausgehebelt. Als Dissidentin eines binären Geschlechtersystems benutzt Arca momentan das Pronomen „She“ für sich. Der Opener von „KiCk i“ ist „Nonbinary“, ein Manifest. Es gibt keine Grenzen mehr, die Unterschiede Mann/Frau, Mensch/ Maschine sind obsolet geworden: „I don’t want to be labeled as one thing, being nonbinary doesn’t end with gender identity. It’s become a mindset where no one thing has to be just one thing, where multiple meanings, multiple realities can coexist in superposed balance.“

Veränderung und Offenheit sind die Konstanten für die mittlerweile vier Alben der Musikerin und Künstlerin, inklusive dem 2019 veröffentlichten, 62 minutenlangen Track „@@@@@“. Die Schönheit in Arcas Werk entwächst den Kontrasten, Gegensätzen und den Zusammenbrüchen der Erwartungshaltungen, die Zuhörer*innen an Popsongs haben.

Reggaeton-Mutationen, Rave-Transzendenz, Synthieopera und Glitches sind in elf der Songs von Arcas neuen Album „KiCk i“ zu hören, die alle im für Arca ungewöhnlichen, 2-3-Minuten-Rahmen sind. Ausnahme ist die letzte Nummer „Non Queda Nada“, zu deutsch nichts bleibt, nichts ist mehr übrig. Es ist eine reduzierte, noise- und irritationsfreie Produktion, ein emotionaler Song, der von Arcas Stimme getragen wird.

Albumcover von Arcas "KiCk i"

XL Recordings

Björk arbeitet seit 2015, seit ihrem Album „Vulnicura“ mit Arca zusammen. Auf „KiCk i“ ist bei der Nummer „Afterwards“ Björks (Sirenen-)Geheul zum ersten Mal auf Spanisch zu vernehmen.

„KLK“ mit Rosalía ist eine Clubzerleger-Nummer und mit der Süd-Londoner Rapperin Shygirl hat Arca die Nummer „Watch“ gemacht. Sie haben eine digitale Grime-Nachfahrin geschaffen. „La Chiqui“ ist das Gipfeltreffen mit der ebenfalls aus der Zukunft kommenden Sophie, akustisches Origami, eine digitale Mini-Oper.

Ich habe Arca einmal beim Donaufestival gesehen und die letzte Nummer war eine Reggaeton-Nummer. Arca ist rappend, nackt bis auf Strapse und Plattformschuhe, ins Publikum gesprungen und hat dort performt.

Dabei zu sein, wie Arca ihren dissidenten Körper völlig furchtlos in die Menge schmeißt, war eine Supernova der Befreiung, Angst war ausgelöscht von Energie, Kraft, Mut. Auch meine Wahrnehmung von Reggaeton hat Arca durch die Performance verändert. Es ist nicht mehr primär Party- und Aufforderungsmusik zur promiskuitiven Heteropaarung. Das bleibt im Mainstream übrig, aber in erster Linie nehme ich Reggaeton als Musik der Menschen zwischen Monterrey, Tierra del Fuego und der lateinamerikanischen Diaspora wahr, und das sind Universen von nicht kanonisierten und kartographierten Ausdrucksweisen und Identitäten.

"Reggaeton hat auf „KiCk i“ einen prominenten Platz. Arca destilliert aus dem Genre, das auch ein Echo ihres Aufwachsens in Venezuela ist, ungeahnte Stimmungen und Begehren.

„Mequetrefe“ und „Riquiqui“ sind „Non-Binary-Latin-X-Digital-Native-Gangsta-Rap-Reggaeton“, nicht weil es konzeptuell gut kommt, sondern weil es die Welt braucht, und diese Dringlichkeit und Energie ist hör- und spürbar.

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