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Gastrogutschein der Stadt Wien

ORF.at | Christian Öser

mit akzent

Cevapcici aus Papier

Meine Freundin Helena ist hart im Nehmen, aber dass jemand ihren Gastrogutschein von der Stadt Wien aus dem Postkasten klauen konnte, brachte sie völlig aus der Fassung.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Meine Freundin Helena am Telefon war fast am Weinen. Ich dachte, etwas Fürchterliches musste passiert sein, da Helena ein harter Knochen ist. Vor einigen Jahren schaffte sie es, einen Dieb zu fangen, der ihr ihr Fahrrad gestohlen hatte. Sie kam aus einem Geschäft und sah, wie der Typ sich mit ihrem Fahrrad entfernte. Ohne zu zögern, warf Helena ihre Handtasche auf ihn. Die Tasche traf den Dieb genau auf den Kopf, er verlor die Kontrolle über das Rad und fuhr direkt in einen Mistkübel. Danach floh er zu Fuß. Seitdem nennt man sie nur noch Helena „Old Shatterhand“. Und genau sie rief mich an und weinte fast.

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Irgendwer hatte ihren Postkasten aufgebrochen, um ihr den Gastrogutschein von der Stadt Wien zu klauen. Ich fragte mich, warum sie wegen der blöden 25 Euro weinte. Schließlich war Helena nicht am Verhungern und hat trotz der Coronavirus-Krise ihren Job behalten. Also versuchte ich herauszufinden, was das große Drama war.

Sie erzählte mir mit weinender Stimme die folgende Geschichte: Als sie und ihre Freunde herausgefunden hatten, dass die Stadt diese Gutscheinde verteilt, waren sie zunächst alle wütend. Denn das war eine klare Bestechung seitens der Bürgermeister kurz vor den Gemeinderatswahlen. Alle, die vom Balkan kommen, kennen das aus ihren Herkunftsländern. Vor Wahlen verteilen alle Parteien Cevapcici an das Wahlvolk. Je mehr Cevapcici, desto mehr Stimmen.

Es ist unmöglich, mit diesen „Papier-Cevapcici“ eine große Party zu veranstalten, denn sie gelten nicht für Alkohol. Das trieb die Stimmung von allen noch mehr nach unten. Niemand wollte einen Avocado-Burger um 15 Euro. Der Gastrobusiness war allen absolut egal und die Lokale kamen ihnen in den letzen Tagen sowieso überfüllt vor. Sie entschieden sich, ihre Gutscheine an Obdachlose zu spenden. Denn die Obdachlosen haben keine Meldeadresse und bekommen von der Stadt Wien nichts.

Genau da wurde Helenas Postkasten aufgebrochen (und nicht nur ihres sondern, alle von der ganzen Stiege). Da stand sie und stellte sich vor, was sie wohl mit dem Dieb machen würde, wenn sie ihn zu fassen kriegte. Sie ist schließlich Helena „Old Shatterhand“. Sie dachte kurz, sich bei der Polizei zu melden, doch was könnte die Polizei schon tun, und das wäre viel zu viel Aufwand für einen Postkasten. Alle ihre sozialbewussten Freunde würden jetzt denken, sie hätte, statt den Gutschein zu spenden, doch entschieden, sich selbst mit Cevapcici vollzustopfen. Sie weinte mit voller Stimme.

Ich versuchte, Helena zu beruhigen. Ihre Freunde würden ihr doch glauben und ihre Lage verstehen. Ein verschwundener Gastrogutschein werde sie doch nicht erschütteren können, sie doch nicht. Es sei gut, dass sie ihren Gutschein spenden wollte, sie könnte mit einem Gutschein sowieso nicht alle Hungrigen sättigen, und eigentlich müsste in Wien niemand hungern. Sie weinte nur weiter. Ich schlug ihr vor, ihr meinen Gutschein zu schenken, um sie trösten. Da war sie glücklich wie ein Kind, dem man Schokolade gibt. „Danke!“, sagte sie, „im Namen aller Hungrigen! Und diesen Dieb schnappe ich mit noch!“ Ich wollte noch dazu sagen, dass der Dieb wahrscheinlich auch Hunger hatte. Und das ist ziemlich schwer in einer satten Stadt. Doch sie hatte schon aufgelegt.

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