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Ennio Morricone

APA/dpa/Jörg Carstensen

Persönliches zum Tod von Ennio Morricone

Mit seiner Musik hat er das Kino erneuert und die Popkultur beeinflusst: Sehr persönliche Gedanken zu Ennio Morricone (1928-2020).

Von Christian Fuchs

Ferne Kindheitserinnerungen: Im Fernsehen läuft die ORF-Filmsendung „Trailer“ und Bilder von staubigen, verschmutzten Gesichtern füllen den Bildschirm aus. Zugekniffene Augen in Großaufnahme. Zittrige Hände an Pistolenhalftern. Schüsse peitschen auf. Und da ist Musik. Eindringliche, schneidende und gleichzeitig wunderschöne Musik. Jeder Ton gräbt sich tief in die Gehörgänge ein.

Sobald sich das kinofähige Alter einstellt - und das war, gemessen am Jugendschutzgesetz um viele Jahre zu früh - dann endlich die ganzen Filme zu diesen unvergesslichen Eindrücken sehen. Endlich Zusammenhänge herstellen. Reinkippen und wegdriften in die Meisterwerke des Italo-Western, die vom legendären Triumvirat Sergio Leone (Regie), Clint Eastwood (Augenzukneifen und Abdrücken) und vor allem Ennio Morricone, Il Maestro der tausend Ohrwurm-Melodien, geschaffen wurden. Sofort stellt sich Suchtverhalten ein.

Clint Eastwood

Paramount

For A Fistful Of Dollars

Spiel mir das Lied von Morricone

Da tickt eine kleine Spieluhr vor sich hin, dann summt ein Chor dazu die sentimentalste Melodie der Welt und dann spielen alle Orgeln und Trompeten des Jüngsten Gerichts dazu. Es schnalzt, rattert, pfeift und maultrommelt, bis zu einem plötzlichem Stopp. Schwere Pauken. Eine Mundharmonika. Mr. Eastwood, der Mann ohne Namen, der einsame Outlaw, spuckt den Zahnstocher aus und beginnt mit seinem dreckigen Job, das Dorf XY von einer besonders fiesen Bande zu befreien. „We can fight“, murmelt der Chor von der Tonspur. Spiel mir das Lied vom Tod, wieder und wieder.

Die Sucht hält an. Am besten die gesamte Schulzeit im Kino verbringen, Filme einsaugen, bis das Zählen unmöglich wird. Und dazwischen Soundtracks hören und dazu im Kopf (und mit einer billigen Super-8-Kamera) Filme drehen. Der Soundtrack zu unzähligen Italo-Western, das ist die eine Seite Ennio Morricones. Bald finde ich als Teenager in noch verboteneren Filmen, in grell-blutigen Spaghetti-Slashern von unter anderem Dario Argento, eine andere Facette des Komponisten heraus. Traumatische Schocksequenzen untermalt der Mann da so sehr mit süßlich-träumerischen Sounds, dass die Gänsehaut direkt schon weh tut. Wahnsinn.

Frau schreit

Arrow Video

The Bird With The Crystal Plummage

Süßlich-träumerische Schocksounds

Mehr davon. Mehr von diesen ungewöhnlichen Arrangements, den seltsamen Instrumenten, der Mischung aus schön und bedrohlich, ironisch und kindlich, minimalistisch und bombastisch. Irgendwann schließt sich der Kreis. Irgendwann sehe ich Metallica auf die Bühne kommen, zu den Klängen von „The Good, The Bad & The Ugly“.

Aber die Spieluhr tickt auch als Sample bei den Hip-Hop-Pionieren Stereo MCs. Der opernhafte Bombast lebt in gewissen Metal-Alben auf. Bestimmte Portishead-Tracks klingen wie eine Hommage an den Komponisten aus Rom. Mehr und mehr Bands und DJs flirten mit der Welt der Tonspuren. Essentielle 90ies-Beat-Labels wie Ninja Tune, Bungalow, Mute oder Mo Wax setzen verstärkt auf Kino für die Ohren. Kaum eine aufregende Gegenwartsmusik kann sich damals mehr dem verführerischen Einfluss von Morricone entziehen. Goldfrapp, Barry Adamson, Nick Cave, DJ Krush, Beck, Air, Sofa Surfers, Gorillaz, die Liste lässt sich lange fortsetzen.

Ennio Morricone

APA/AFP

1984

2014 sehe ich ihn erstmals leibhaftig, den strengen Maestro, der mit dem Dirigentenstab auf der Bühne der Wiener Stadthalle steht. Im Publikum sitzen alte eingefleischte Fans, italienische Familien, jüngere Menschen, die erst durch Quentin Tarantino auf Morricone aufmerksam wurden. Der Retro-Regisseur hat schließlich einige der schönsten Szenen in seinen Filmen, allen voran „Kill Bill“, mit klassischen Scores des Italieners untermalt.

Vor dem Auftritt mit einem enormen Orchester läuft ein Kurzfilm, der die ganz andere Seite des 1928 geborenen Ennio Morricone zeigt. Den ambitionierten Komponisten Neuer Musik, der mit Normen bricht. Danach, beim epochalen Konzert verschmelzen Pop und Bombast, Jazz, Avantgarde und Easy Listening, Gitarren und Groove, Rock und Clint Eastwood, süß und grausam, Dunkelheit und Licht. That’s a place I call home.

Oder wie Quentin Tarantino schreibt: „Wenn ich sage, Morricone ist mein Lieblingskomponist, dann meine ich nicht: FILMkomponist. Ich spreche hier von Mozart, Beethoven, Schubert. Das ist die Liga.“ Grazie Maestro, für das schönste aller Lebenswerke.

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