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Der Autor Cihan Acar

Robin Schimko

Cihan Acar erzählt in seinem lässigen Debüt von einem anderen „Hawaii“

Mit 21 ist Kemal Arslan schon Ex-Fußball-Profi - und zurück in Hawaii. Wie die Pazifikinsel wird ein Stadtviertel im deutschen Heilbronn genannt. Für vier heiße Sommertage und -nächte taucht Cihan Acars Debütroman „Hawaii“ ein in das Leben eines jungen Mannes, als Auseinandersetzungen zwischen Rechtsextremen und Migranten eskalieren.

Von Maria Motter

Am Ende eskaliert es. Und dann lässt Cihan Acar für seine Hauptfigur noch einmal die Sonne aufgehen: „Hawaii“ ist so toll geschrieben, dass man die Verfilmung beim Lesen vor sich sieht. Dass Buch ist ziemlich perfekt und dabei ein Debütroman.

Es ist Sommerbeginn, als die Hauptfigur Kemal Arslan auf einer Hochzeit an den Tisch der besten Freunde gesetzt wird, obwohl er den Bräutigam nur flüchtig kennt. Und dann wird er auch noch in die Mitte Tanzender geschubst. Kemal Arslan ist zurück im Viertel seiner Jugend, sein Gesicht kennen Fußballfans aus TV-Übertragungen. Die Karriere als Profifußballer für einen türkischen Verein wurde durch einen Unfall beendet. Übrig ist ein defekter Jaguar in einem Parkhaus, mit dem Kemal ebenso innere Dialoge führt wie mit scheußlichen Fliesenböden. In Kemals Fuß reiben Knochen auch nach Operationen schmerzhaft aneinander und Liebeskummer wegen Ex-Freundin Sina darf erst gar nicht aufkommen.

Das Cover von Cihan Acars Roman "Hawaii" ist eine Zeichnung von Häusern.

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„Hawaii“ von Cihan Acar ist 2020 bei Hanser Berlin erschienen.

Dieser junge Mann, das Kind türkischer Einwanderer, muss und will sich neu aufstellen, Schluss mit Hawaii machen und wieder mit Sina zusammenkommen. Doch der privaten Schwierigkeiten nicht genug, verändert sich die Atmosphäre in den Straßen und Lokalen seines alten Wohnviertels. Kemal, der seine Ex-Freundin mit einer Anekdote charakterisiert, in der Sina erreicht hatte, dass eine Frau sich für die rassistische Beschimpfung Kemals entschuldigte („Während sie das tat, stand Sina daneben und sah die Frau mit ganz kleinen Augen und spitzem Mund an“), lässt sich bei Diskriminierung lang nichts anmerken.

Das ändert sich, als die Nachricht von der Ermordung eines Jugendlichen durch einen Neonazi in Hawaii die Runde macht. Daraufhin eskalieren die Auseinandersetzungen zwischen Neonazis und den sogenannten Kankas, einer Gruppe, die sich Blutsbrüder nennt.

Cihan Acar erzählt in „Hawaii“ von Angehörigen einer Minderheit in Deutschland - ohne Pathos und derart leicht, dass die Geschichte einen Drive bekommt, der aktuelle gesellschaftliche und politische Eskalationen spiegelt, ja sogar vorweggenommen hat. Wie das alles kommt, wird sehr unterhaltsam, gegenwärtig und in schön schnörkellosem Stil erzählt.

Punchline an Punchline

Hip Hop hat Cihan Acar sehr geprägt. An Punchlines fehlt es auch „Hawaii“ nicht. „Mein Stil ist auch so, dass ich nicht für jede Handlung eine komplette Seite brauche, sondern versuche, die meisten Handlungen, Verhaltensweisen und Charaktere in wenigen Sätzen und so wenigen Wörtern wie möglich eigentlich auf den Punkt zu bringen. Es kann jetzt aber auch sein, dass ich mir das ein bisschen schön geredet habe und eine Verbindung herstelle, die nicht zu hundert Prozent besteht.“ Solche charmanten, oft sehr amüsanten Kommentare macht auch der Ich-Erzähler Kemal Arslan im Roman „Hawaii“. Doch das Buch ist nicht autobiografisch zu lesen.

Das deutsche Hawaii war als „Ghetto“ verschrien

Hawaii ist Cihan Acar nicht unbedingt vertraut, er hat selbst nie in diesem Viertel gelebt. In den Achtziger Jahren galt es als eine Art Ghetto der Stadt, die laut dem Ich-Erzähler des Romans nach Suppe riecht und in der viele Arbeiter*innen der Automobilbranche zuhause sind. Stuttgart ist nur fünfzig S-Bahn-Minuten von Heilbronn entfernt. „In meiner Kindheit und Jugend war es so, dass sich viele Geschichten um dieses Viertel gerankt haben. Aber lange Zeit habe ich es nur vom Vorbei- und Durchfahren und von einigen Bekannten gekannt, die dort gelebt haben“.

Ein erster und einziger Rap-Song

Der Verlag lässt uns wissen, dass Cihan Acer im Alter von neun Jahren seinen ersten und einzigen Rap-Song aufgenommen hat. „Von dem Song kann ich mich eigentlich nur noch an die eine Zeile erinnern, weil die am häufigsten darin vorkam: ‚Nennt uns nicht Kleine, sonst brechen wir euch die Beine‘. Ja, es war also reimtechnisch noch nicht so ganz fortgeschritten. Das Hauptthema des Songs war, dass wir zwar kleine Jungs waren, aber dass wir schon sehr gefährlich waren in dem Alter schon und dass man sich vor uns bitte in Acht nehmen sollte.“

Der Autor Cihan Acar steht vor einer Wohnsiedlung, hinter ihm hängt ein Teppich auf einer Wäscheleine

Robin Schimko

Cihan Acer

HipHop war kein Grund für ihn, mit dem Schreiben anzufangen. „Aber beim Schreiben war es schon so, dass HipHop mich sehr geprägt und inspiriert hat: vor allem US-HipHop aus den 90er Jahren, in denen junge Rapper aus ihrere Sicht schildern und beschreiben, wie es in ihrer Gegend zugeht, wie sie aufgewachsen sind, mit ihrem ganz eigenen Blick auf die Welt.“ Vor seinem Roman-Debüt hat Cihan Acer dann auch schon die Bücher „111 Gründe, Hip Hop zu lieben“ und „111 Gründe, Galatasaray zu lieben“ geschrieben.

Weil er sich als Student der Rechtswissenschaften ohne Hauptverdienst Neuerscheinungen nicht leisten konnte, war die Bibliothek die Quelle für Bücher und die Werke von Kafka, Salinger, Fante, Fallada und Camus brachten literarische Orientierung. Noch mehr geprägt und beeinflusst haben ihn allerdings Filme. Und deren Gestaltungsmittel hat er genau studiert. Im Studium will Cihan Acar weitermachen, Literaturkritiker*innen wünschen sich indes bereits die Verfilmung von seinem Erstling. Fatih Akin als Regisseur, schlug eine Kritikerin vor.

Tatsächlich gibt es erste Gespräche bezüglich einer Verfilmung, doch Autor*innen sind bei diesem Prozess eher außen vor. Für Cihan Acar wäre eine Verfilmung ein absoluter Traum: die ersten Notizen zu „Hawaii“ hat er gemacht, als er den Stoff noch als Drehbuch gedacht hatte.

Der Showdown in „Hawaii“ gestaltet sich auch erschreckend dystopisch: „Alles an gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in den letzten Jahren, die ich nicht so schön und positiv finde und bei denen man sich Gedanken machen muss, wie es weitergehen könnte, wollte ich einen Schritt weiterdenken. Durch die Eskalation gegen Ende der Geschichte dann auch aufzeigen, in welche Richtung es auch in der Realität gehen könnte, wenn alles ganz schlimm verläuft“, sagt Cihan Acar.

„Es ist natürlich ein Szenario, das man sich nicht wünscht. Aber ich denke, dass ein Roman beschreiben kann, in welche Richtung sich die Gesellschaft in naher Zukunft entwickeln könnte, wenn man gegen bestimmte Dinge nichts macht und nicht vorgeht.“

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