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Warum es vielleicht gar nicht so schlecht ist, nicht zu verreisen!

Viele Menschen glauben, dass ein wichtiger Motor des Reisens die Suche nach unseren Kindheitsträumen ist.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Man kennt die Geschichte der Pyramiden vom frühen Kindheitsalter an und hat auf dem Nachttisch ein Buch über die Entdeckung des Grabes von Tutanchamun. Deshalb träumt man, dass man nach Ägypten reist um ein neuer Indiana Jones zu werden. Am Ende kommt man in Kairo an und man kauft sich den Rosettastein aus Plastik und eine kleine Papyrusrolle mit Anubis drauf, hergestellt in China.

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Die Pyramiden sind enttäuschend. Erstens weil man von Verkäufern von solchen Plastik-Souvenirs umkreist wird und zweitens, weil das Innere der Pyramiden stark nach Urin riecht. Der stammt aber nicht aus der Antike, sondern ist ganz modern. Man will so schnell wie möglich nach Hause. Dann findet man heraus, dass der Rosettastein längst in London ist und dass Anubis der Gott des Todes ist und man ihn gar nicht im Schlafzimmer auf sich herunter blicken lassen will. Der Kindheitstraum wurde zerstört.

Man will beim Reisen auch neuen Kulturen begegnen

Wenn man um die 70 ist und alter Hippie, kauft man sich Tickets nach Vietnam. Denn man erinnert sich an seine Jugend, wo man solidarisch mit den Vietnamesen gegen den amerikanischen Imperialismus war. Man reist dorthin und stellt enttäuscht fest, dass die Vietnamesen von heute sehr gerne amerikanische Touristen zu sich locken wollen. Das wirkt ein bisschen enttäuschend, denn man glaubt nicht mehr an der Gerechtigkeit. Man will aber die lokale Bevölkerung verstehen und sich unter sie mischen. Man ist also am zweifeln, ob man Hund oder Schlange essen soll. Am Ende entscheidet man sich für die köstliche Schlange. Danach verbringt man die nächsten drei Tage im Klo. Für Enkelkinder bleibt Vietnam „das Land, wo Opa Durchschiss hatte“. Zu Hause trinkt man Bier und isst man Wurst und versucht, Vietnam so schnell wie möglich zu vergessen.

Man will beim Reisen der Realität entfliehen

Vielleicht lebt man auch einfach das langweilige Leben eines Provinzjugendlichen. Dann fährt man auf Maturareise nach Dalmatien, weil es so cool ist. Zu Hause ist Schreien verboten, man muss immer ganz leise sprechen und als man heimlich vom Zirbenschnaps der Oma getrunken hatte, musste man hundertmal schreiben „Ich bin ein Taugenichts“. Das bleibt in der Psyche hängen. Deshalb erlebt man in Dalmatien die ultimative Freiheit und man will es allen zeigen. Man ist ständig betrunken und man hat einen Riesenspaß daran, einen der Animateure, die schließlich zur Bespaßung da sind, mit Wodka zu bespucken. Man wird zu einer Mischung aus großem Gatsby und Donald Trump. Man glaubt ganz arrogant, dass man zuhause ein Alpenschloss hat. Bis man wieder daheim ist im Familienhaus, wo drei Generationen zusammenleben und man vor Angst jedesmal zittert, wenn die böse Oma hustet. Man hat aber zumindest noch Erinnerungen an das Maturareise – da war man stark und schön.

Diesen Sommer wird uns vom Reisen abgeraten. Keine Sorge! Wenn man nicht reist, bleiben wenigstens die Träume noch Träume. Und was gibt es schöneres als Träume zu haben?

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