Ein Reagan-Double macht sich in „Der Präsident“ selbstständig

Jay Immer und Präsident Ronald Reagan könnten Zwillinge sein. Jay baut sich deshalb in der Pension eine zweite Karriere auf und wird Reagan-Doppelgänger. So die Prämisse von Clemens Bergers Roman „Der Präsident“, dem ein reales Vorbild zugrunde liegt. Alles läuft gut für Jay, bis er sein eigenes Machtpotenzial erkennt.

von Lena Raffetseder

Hinter seinem Rücken hat Jay Immers Frau Lucy ihn beim Doppelgänger-Wettbewerb angemeldet. Unter 179 Einsendungen wählt die Agentur den 55-jährigen Polizisten mit burgenländischen Wurzeln aus und Jay wird „der andere Reagan“. Von da an wird das Leben des pensionierten Paares noch einmal so richtig aufregend. Jay und Lucy reisen durchs Land, fliegen Erste Klasse, speisen in feinen Restaurants. Zwischendurch kürt Jay Sieger bei Hot-Dog-Wettessen und steht für Fototermine bereit. Manchmal weiß das Publikum, dass er nicht Reagan ist, manchmal nicht. Jubel gibt es immer.

„Ronald Reagan war ein Held. Ein nicht unbeträchtlicher Abglanz seines Ruhmes fiel auf Jay. Andere Männer hätten davon anderen Gebrauch gemacht. Jay Immer aber wusste, wem er sein neues Leben zu verdanken hatte. Und auch wenn er nur Einkaufzentren oder Vergnügungsparks einweihte: Seine Welt wurde größer.“

Sehnsucht nach dem Burgenland

„Der Präsident“ ist aber nicht nur die Geschichte eines Reagan-Doubles. Es ist auch eine Einwanderungs-Geschichte und beschreibt gut die Sehnsucht nach der romantisierten „Alten Welt“, die Jays Eltern bis zu ihrem Tod empfinden. Die Familie verlässt 1929 Oberwart und kommt nach New York. Aber die „Neue Welt“ wird den Eltern immer fremd bleiben. Für Jay scheint das Burgenland eine Heimat zu sein, die erst in der Erinnerung entsteht.

Mit dem ersten großen Einkommen seines Doppelgänger-Jobs reist Jay deshalb mit Lucy nach Österreich. Sie besuchen Wien und das Burgenland, diskutieren über Waldheim, trinken Spritzer. Jay hat einen Gastauftritt auf dem Interspar-Parkplatz in Unterwart und das Paar sieht den Eisernen Vorhang. Allmählich versöhnt sich Jay mit dem romantisierten Blick, den seine Eltern auf die Heimat hatten.

„Alte Bauernhöfe, Maiskolben und Knoblauchzöpfe, die von Arkaden hingen. Storchennester auf Feuerwehrtürmen. Er kam sich wie am Ende der Welt vor. Er war am Ende der Welt, der sein ungleicher Zwilling vorstand.“

Der echte Doppelgänger

Den Doppelgänger mit burgenländischen Wurzeln hat es wirklich gegeben. Autor Clemens Berger hat zu Auswanderern in die USA recherchiert und ist so auf Jay Koch, eigentlich Julius Koch, gestoßen. 1926 in Rechnitz geboren, während der Großen Depression in New York aufgewachsen, wurde Koch Polizist und schließlich Reagan-Double – nach dem Sieg bei einem Reagan-Doppelgänger-Wettbewerb. Jay Koch hat Ronald Reagan nicht nur getroffen, er hat ihn auch in kleinen Gastrollen in Hollywood-Filmen gespielt.

Aus Jay Koch wird Jay Immer und Clemens Berger lässt den Doppelgänger im Roman fiktive Dinge erleben und rebellischer sein. Denn Jay Immer ist allmählich immer öfter anderer Meinung als Ronald Reagan und erkennt sein eigenes Machtpotenzial. Es beginnt mit privaten Gesten an Gewerkschafter*innen, entwickelt sich zu einem öffentlichen Ruf nach Begnadigungen und gipfelt in einer ungewöhnlichen Allianz. Jay freundet sich mit dem Mikhail Gorbatschow-Doppelgänger seiner Agentur an und die beiden starten eine Umweltbewegung.

"Beendet den Kalten Krieg gegen das Klima!“

Klimakrise, Kalter Krieg, Sehnsucht nach einer Heimat, die es so nicht mehr gibt. Autor Clemens Berger reißt in „Der Präsident“ viele Themen an. Ein besonders schöner Aspekt des Romans ist aber die Partnerschaft zwischen Jay und Lucy. Berger beschreibt einfühlsam eine Beziehung, die 12 Präsidenten überdauert und eine Krankheit, die Jays letzte große Mission wird.