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Alexandra Riedel

Nane Diehl

„Sonne, Mond, Zinn“

In wenigen Stunden lässt Alexandra Riedel eine Familiengeschichte einer Sternschnuppe gleich sprühen. Die Beerdigung des Großvaters bildet den Rahmen dieses gelungenen Debütromans.

Von Zita Bereuter

Alexandra Riedel Sonne Mond Zinn

Verbrecher Verlag

„Sonne, Mond, Zinn“ von Alexandra Riedel ist im Berliner Verbrecher Verlag 2020 erschienen

„Sterne lügen nicht, sie verraten einem aber auch nichts, sie schweigen. Es gibt sicherlich kein ehrlicheres Schweigen als das der Sterne!“

Sterne waren die Leidenschaft von Anton Hamann. Ein Astronom. Es war nicht seine einzige Leidenschaft: Er hatte eine uneheliche Tochter. Die wiederum einen Sohn: Gustav Zinn, der Ich-Erzähler. Dieser uneheliche Enkel ist zur Beerdigung des Großvaters eingeladen. Bemerkenswert, kannte man sich doch bis dahin gar nicht.

Gustav Zinn besucht also die Beerdigung und seine sonderbare Neo-Familie, beobachtet die versammelten Trauernden und reimt sich seine Geschichte zusammen, die er an die Mutter richtet. „Dinge passieren. Menschen auch, sagtest du immer, wenn du von deinem Vater sprachst“ zitiert er seine Mutter. Und „Väter spielten bisher keine Rolle in unserem Leben, weder in deinem noch in meinem. Das war immer unser kleinster gemeinsamer Nenner, deiner und meiner“.

Das klingt beiläufig, ist aber schmerzhaft. Hier ein Leben ohne Väter, dort ein Vater ohne Leben. Beiden hat etwas gefehlt. Diese Leere will Gustav Zinn füllen. Er, der als Fluglotse auf einer Insel arbeitet, versucht auch in dieser Familienkonstellation den Überblick zu bewahren.

Alexandra Riedel

Nane Diehl

Alexandra Riedel kommt aus Süddeutschland, hat unter anderem am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig studiert, lebt in Berlin und wurde mit einer Lesung aus „Sonne Mond Zinn“ bei den Wortspielen in München ausgezeichnet.

Im Zentrum seine Mutter Esther. Der Name ist wohl nicht zufällig gewählt, bedeutet er doch im Hebräischen „Die Sternenträgerin“, „Die Leuchtende“. Die Hamanns tragen weniger strahlende Namen: Isolde die Frau des Verstorbenen, Ulrich und Anselm die Söhne, Baldur der Bruder und Susanne die Schwiegertochter. Eine sonderbare Familie, die Humor und Emotionen gut im Keller gekühlt halten.

Nur wenige Stunden dauert die Beerdigung und das Erzählte, dennoch reicht es vom Urknall zu den kleinen Explosionen in dieser Familie. Gelungene Dialoge, denen aber auch die nonverbale Kommunikation kaum nachhinkt. Hier wird mit einem Kopfnicken angeordnet, wird die Hand fest gedrückt, wird mit einem harten Hieb das Kissen zu einer Herzform geschlagen. Hier wird erzählt, erfunden und verschwiegen. Und von Gustav Zinn immer wieder fein beobachtet: „Ich verließ die Kirche und ging den kleinen Weg an der Nordseite der Kirche entlang. Auf Höhe des Chores eine Gabelung. Rechts der Friedhof, links der Kräutergarten. Tod und Heilung dicht beieinander. Dazwischen Holunder.“

Alexandra Riedel hat mit „Sonne Mond Zinn“ ein beachtliches Debüt geschrieben. Poetisch und zart, klar und reduziert, schlau durchdacht und konstruiert. Das geht bis zum Vorsatz des Buches (das ist das Papier, das den Buchdeckel mit dem Buch verbindet). Das zeigt Flammarions Holzstich „Wanderer am Weltenrand“ – ein auf dem Boden knieender Mensch, der aus der weltlichen Sphäre in den Himmel blickt. Ein Vorsatz, den auch der Erzähler hat, die Geschichte seiner Mutter und die Liebe in der Familie zu finden.

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