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Radiofestival

Patrick Wally

Vom Senden und Empfangen: Tag 1 beim Radiofestival von FM4, Ö3 und Ö1

Mavi Phoenix, Folkshilfe und Alma live im Wiener Radiokulturhaus

Von Katharina Seidler

In Zeiten, in denen man einander noch anstupste, in denen das „Uh-Oh“ des ICQ und das Versprechen „Ich adde dich auf StudiVz“ noch Geräusche des täglichen Lebens waren, sagten Menschen ab und zu auch den Satz: „Ich höre FM4 Musik.“ An der Wand hinter ihnen hing dabei beispielsweise eine Weltkarte oder ein Poster mit Bob Marley, Mick Jagger und Peter Tosh, im Becher war warmer Sangria, und hinter ihren Worten, da stand eine ganze Welt. Was für eine schönere Ehre kann es für einen Radiosender geben, als wenn er zu seinem eigenen Genre wird? Die Liebe zur Popmusik strebt ja auf herrlich widersprüchliche Weise zum Einen nach Abgrenzung von und Rebellion gegen etwas, während sie andererseits auf der ewigen Suche ist nach „den anderen“, die so sind wie man selbst. Sie ist somit wie keine andere Kunstform Safe Space und Mittelfinger in Gefühlsunion.

Das Radiofestival von Ö1, Ö3 und FM4

Die Zeiten haben sich allerdings geändert, auch wenn wir doch hoffen, dass der Begriff „FM4 Musik“, in seiner neuen und ständig verwandelten Form auch heute keine leere Worthülle ist. Aus der „only alternative“ wurde eine von Hunderten, aber die Frage muss heute anders gestellt werden als in den neunziger Jahren, sie hat es nun schwerer mit der Abgrenzung: Alternative zu was? Wer hantiert heute ernstzunehmend noch mit den Kategorien „Underground“ und „Mainstream“? Wem ist es noch peinlich, einen Charts-Superhit zu mögen, wenn man normalerweise nur Aphex Twin-Bootlegs daheim auf den Plattenteller legt?

Heute produzieren Avantgardist*innen wie Arca für Superstars wie Kanye West und Beyoncé holt sich DJ Lag an Bord, und diese Zusammenarbeiten sind längst und glücklicherweise nicht mehr als rein ausbeuterisches Abgrasen der mutigsten Musiken von morgen zu verstehen, sondern führen nicht selten für alle Beteiligten zu befriedigenden und zukunfsweisenden Ergebnissen. Eine Band wie Bilderbuch spielt vor zweimal 15.000 Leuten in Schönbrunn und interessiert sich keine Sekunde lang dafür, ob sie nun als „FM4 Indie“, „der neue Austro Pop“ oder „Zukunftsmusik“ eingestuft wird. Und recht haben sie.

Radiofestival

Patrick Wally

Mavi Phoenix

Ähnlich geht es, um nun endlich zum Event der Woche zu kommen, Acts wie Mavi Phoenix, der gestern die erste Festivalkollaboration von FM4, Ö3 und Ö1 eröffnet hat. In den vier bis fünf Jahren seit Beginn seiner Karriere hat sich für ihn nicht nur Einiges, sondern beinahe alles verändert, auch eine körperliche Transformation steht unmittelbar bevor. Von einem Mittags-Slot an den Linzer Donaulände vor beinahe ausschließlich Klassenkolleg*innen (Mavi: „Ich wünsch uns allen viel Glück für die Matura“) hat der Künstler den Sprung auf die großen Festivalbühnen geschafft, hat vor 20.000 Menschen performt und mit „Aventura“ einen Hit in einem Werbespot des katalanischen Design-Labels Desigual gelandet.

Einhergehend mit seinem Outing wurde der Kontakt zu den Fans für Mavi Phoenix mit steigender Bekanntheit allerdings keineswegs abstrakter, sondern immer persönlicher. Dementsprechend beziffert er seinen größten Erfolg nicht in Likes oder Zuschauerzahlen, sondern freut sich am meisten über die Fertigstellung seines Debütalbums „Boys Toys“, das diesen Frühling wegen ehschowissen zur denkbar ungünstigsten Zeit herausgekommen ist.

Wiewohl durch die ausgefallenen Gigs der persönliche Austausch mit dem Publikum für Mavi Phoenix wegfiel und die vermeintlich stressigste Zeit des Jahres plötzlich zur allerruhigsten wurde, erreichte „Boys Toys“ die Menschen durch die veränderten Umstände auf eine andere Art in ihrem persönlichsten Bereich, nämlich bei sich daheim, in Ruhe, mit Möglichkeit zur Reflektion und zum genauen Hinhorchen. In gewisser Weise war auch das Setting beim gestrigen Radiofestival-Auftakt eine Entsprechung dazu, ein Sitzkonzert statt ausflippender Massen, die Zuhörenden im Schachbrettmuster gesetzt auf den historischen Holzstühlen des Großen Sendesaals.

Interview mit Mavi Phoenix

Mavi aber hat merklich Lust am Spielen, durchmisst die Bühne gutgelaunt und bringt sogar einige Menschen zum Aufstehen. Während „Boys Toys“ zwar ein Album über Selbstfindung ist, geht es darauf aber einfach auch um Spaß und dicke Hosen, und genau diese Mischung aus Verletzlichkeit und Selbstbewusstsein strahlt Mavi Phoenix beim gestrigen Gig aus, nach langer Zeit auch gleichzeitig wieder der letzte für lange Zeit. Aus jeder Faser kommt ein Leuchten. Nicht nur, aber auch, als sehr talentierter Songwriter und Performer hat sich Mavi Phoenix gefunden, wirklich gefunden.

Radiofestival

Patrick Wally

Folkshilfe

Wer nun die musikalische Brücke von Mavi Phoenix zu Folkshilfe, von FM4 zu Ö3, wenn man so will, schlagen will, nimmt über das besagte „Aventura“ eine elegante Abkürzung, denn Flo, der langhaarige Frontmann der oberösterreichischen Landsmänner Folkshilfe, hat zu diesem Jahrzehntesong das Gitarrensolo beigesteuert. Mit ihrem Song „Schewan“, einer Zusammenarbeit mit dem Linzer Rapper Average, sind die Quetschnpop-Erneuerer Folkshilfe, die auf Youtube Millionenklicks für Songs wie „Simone“ oder „Seit a poa Tog“ verbuchen, auch im Tagesprogramm von FM4 vertreten.

Interview mit Folkshilfe

„Es ist an der Zeit, dass Musik nicht mehr in Genres stattfindet,“ sagt Folkshilfe-Flo über das Radiofestival im sehr sympathischen Interview mit Ö3-Mann Benny Hörtnagl, und jener zitiert einen früheren Sager der Band, den man ebenfalls gerne unterschreiben will: „Die Quetschn muss auf die Festivals.“

Dies hat sie geschafft; Folkshilfe spielen beispielsweise auf dem Donauinselfest als Co-Headliner vor Zehntausenden Leuten. Auch dieses Jahr hätten sie das getan, stattdessen tourt allerdings ein DIF-Bus mit unbekanntem Lineup als Mysterium durch die Stadt, und Folkshilfe widmeten den Frühling anstatt einer ausverkauften Tour zu ihrem dritten Album „Sing“ einander und der Zeit im Studio. Ohne dies esoterisch zu meinen, kann Florian Ritt dem Ausnahmezustand des Jahres 2020 auch viel Positives abgewinnen, dieser Zeit ohne Zukunft, die einen durch das unberechenbare Zunichtemachen aller Pläne zur Konzentration auf das Hier und Jetzt zwingt. In einem der berührendsten Liebeslied des Abends, „Hey Du“, geht es dementsprechend um die Freundschaft der Bandmitglieder zueiander, ganz ohne schulterklopfende Dude-Mentalität:
I foah so gern mit dir fischn,
zwoa, drei Bier nebenbei zischn,
jetzt weam ma olle öda,
i tua nu imma ohne Köda.
I mog koane Forelln, I mog nur mit dir redn.

Radiofestival

Patrick Wally

Alma

Den Abschluss des ersten Radiofestival-Abends machen dann Alma, ins Rennen geschickt von Ö1, als kammermusikalische Antiklimax zur Partystimmung davor. Laut Eigendefinition macht dieses Quintett „alternative Kammermusik mit Bandcharakter - slash zeitgenössische Volksmusik“; anders als in der Volksmusik-Tradition setzten sie in ihren Sets allerdings auf zwei Drittel Eigenkompostionen. Für das Radiofestival haben Alma ihre eher poppigeren Stücke ausgewählt, also jene Nummern, die am ehesten auf alle drei Sender passen könnten, und wirklich werden zum Ende des Abends dieselben Menschen, die zuvor bei Mavi noch Zeilen wie „I’m just a little blond bitch but I got a big cock“ mitsangen, zu Jubelschreien hingerissen.

Mit ihren drei Geigen, Kontrabass und Akkordeon erzählen Alma abwechselnd sehr alte oder ganz neue Geschichten. Während das traditionelle Liebeslied „Questa Mattina“ aus Süditalien eine bittere Liebesgeschichte wieder aufleben lässt, ist die neue Nummer „Im Regent’s Park um 12.00“ ein Lied über den Volkssport Klatschen und Tratschen daheim im österreichischen Dorf. Ein Instrument spielt ein Motiv, es wird von den anderen aufgegriffen und weitergeführt, bis alle zusammen einen vielstimmigen Chor ergeben. Vielleicht kann man diese Nummer symbolisch für die Musik von Alma sehen. Ebenso, wie ihr Name das spanische „Seele“ gleichermaßen aufgreift wie die österreichische Alm und das ungarische Wort für „Apfel“, verweben Alma in ihren Kompositionen Stränge unterschiedlichster Herkunft zu einem neuen Ganzen.

Interview mit Alma

Woher kommen diese Einflüsse, und wer sind ihre Empfänger? Auf welchem Sender sollen sie laufen? Das Schöne im Jahr 2020, diesem Jahr, das für so viele Musikschaffende so harte Zeiten eingeläutet hat, ist, dass diese Fragen keine Relevanz mehr besitzen. Während der letzten Nummer gehen durch einen riesigen Stromausfall buchstäblich die Lichter im ganzen Funkhaus aus, Alma aber spielen ihre analogen Instrumente in der Dunkelheit weiter, auch die Radios senden die Live-Übertragung unbehelligt in den Äther in die Küchen und Köpfe der Menschen. Genau darum geht es.

Das Radiofestival live im Videostream

Ö1, Ö3 und FM4 veranstalten gemeinsam von 9. bis 11. Juli das Radiofestival im RadioKulturhaus Wien.

Am Freitag gehts weiter mit The Erlkings (Ö1), Pauls Jets (FM4) und Mathea (Ö3). Ab 19 Uhr im Livestream hier.

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