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Pauls Jets beim Radiofestival

Franz Reiterer

radiofestival

Raus aus der Essenz: Musikerlebnisse außerhalb der Bubble, bitte

Radiofestival, Tag 2: The Erlkings, Pauls Jets, Mathea

Von Katharina Seidler

Geschichtsstunde der Alten, Teil 2. Als man noch CDs (oder auch: irgendetwas) auf Amazon bestellte, in der Phase nach den After-School-Abstechern in die Charts-Abteilung beim Libro, stand unten die Empfehlung: Kunden, die „Californication“ kauften, kauften auch „Nevermind“ und „Toxicity“.

Das Radiofestival von Ö1, Ö3 und FM4

Wer elaboriertere Empfehlungen wollte, nutzte die Abstecher in den Plattenladen im nächsten Ort, wünschte sich zu Weihnachten ein Spex-Abo oder aber: hörte Radio. Heute empfiehlt ein Algorithmus in wenigen Sekunden eine eben erst erschienene politische Avantgarde-Techno-Nummer als Antwort auf eine letzte Woche erschienene politische Avantgarde-Techno-Nummer, aber er ist und bleibt nur eine Maschine, ein übervolles Datensammelgefäß, das auf bisher Bekanntes mit Ähnlichem reagieren kann.

Paul Buschnegg von Pauls Jets erzählt im Nachmittags-Interview am zweiten Tag des FM4- Ö3- und Ö1-Radiofestivals, wahrscheinlich unter einem Baum, dass er froh ist, seine Spotify- und Netflix-Accounts mit anderen Menschen zu teilen, durch deren unterschiedliche Musikgeschmäcker die Algorithmen verwirrt werden. Wenn man sich dem Anlass entsprechend also die Frage stellt, warum Radiofestival, warum überhaupt: Radio, dann lautet die Antwort: Weil ich nicht etwas serviert bekommen will, das perfekt auf mich zugeschnitten ist. Ich will, dass mir jemand etwas zeigt, das ich nicht fix mag, das mich aber auf jeden Fall bereichert.

So treffen auch an diesem heißesten Tag des Sommers im gut gekühlten Großen Sendesaal des RKH wieder drei höchst unterschiedliche Acts aufeinander, die die Welten der drei Sender-Hosts repräsentieren. Den Anfang machte als Ö1-Kandidat das österreichisch-amerikanische Quartett The Erlkings. Wie der Name schon überdeutlich suggeriert, transportieren diese Vier die Songs von Franz Schubert („vom Franzl“) via Tuba, Schlagzeug, Gitarre, Vibraphon, Cello und Gesang in die Jetztzeit, mit englischen Texten. Fünfmal Tod aus dem an Todesthemen nicht armen Werk von Franz Schubert haben sie für ihr knackig-knappes Radiofestival-Set ausgewählt. Aus „Totengräbers Heimweh“ wird so der Indie-Song „Gravedigger’s longing“, aus der „Forelle“ die leider ein wenig zu Humpta-ta-lastige „Trout“. Auch ist es ja schon prinzipiell nicht so einfach, ein Publikum zum Mitklatschen zu bewegen (dies aber bitte immer den Musiker*innen zuliebe machen, wir machen es alle nicht gern, aber da müssen wir durch) - aber die Menschen in einem aufgrund der Pandemie nur verstreut besetzten Sendesaal und angesichts einer Radioaufzeichnung zum Jodeln zu motivieren ist ein hehres und herrlich megalomanisches Ansinnen der Erlkings, dem man nur Respekt zollen kann.

Auftritt von „The Erlkings“ (Ö1-Act)

Mit elegantem Schwung geht es an diesem Abend von Ö1 zu FM4, denn Xavier Plus hostet regelmäßig die siebenstündige Ö1 Jazznacht, sitzt aber außerdem bei den FM4-Darlings Pauls Jets am Schlagzeug. Pauls Jets haben Ende Mai ihr zweites Album „Highlights zum Einschlafen“ veröffentlicht, ein Album tatsächlich voller Highlights, voll zärtlicher Hymnen und berührender Wahrheiten. Wie nur wenige Musiker in diesem Land hat Paul-von-Pauls-Jets-Buschnegg entdeckt, dass die ganz große Poesie nicht in der Verklausulierung und dreifachen Verschachtelung, sondern im Einfachen, gerade Herausgesagten liegt: Magst du mit mir eine Band gründen? Möchtest du mich wiedersehen? Es ist Null Uhr Drei, und jetzt Null Uhr Vier, wie spät ist es denn bei dir?

Rätsel und Geheimnisse bewahrt er seinen Lieder freilich dennoch. Den Hit-orientierten, eingängigen Indie-Pop ihres ersten Albums haben Pauls Jets 2020 größtenteils gegen glitzernde Innenschau getauscht, dennoch finden sich auf „Highlights zum Einschlafen“ zwei Handvoll Ohrwürmer und Herzenslieder, und auch die Parallelen zu den österreichischen Diskurspop-Vordenkern Ja,Panik in der Phase „The angst and the money“ bis „DMD KIU LIDT“ treten in den neuen Pauls-Jets-Nummern deutlicher hervor.

Ihr Set beim Radiofestival starten die Jets, heute mit neuem, vierten Band-Mitglied Kilian mit dem Album-Opener „Weißt du wie es wird?“ in einer Slow-Motion-Rock-Version. Die Songs, die werden echt: Zwischen Aufnahmen-getreuer Interpretation und zerdehnter, gerne auch noisig-experimenteller Live-Umsetzung findet die Band einen würdevollen Mittelweg. Eine Schweigeminute für Gernot Blümel, der sich keinen Laptop leisten kann, unterstreicht das Augenzwinkern, das bei Pauls Jets immer auch Platz findet, während ein Mundharmonika-Solo von Bassistin Romy in der Sehnsuchts-Ballade „Blizzard“ das Fragile und Verletzliche in ihrer Kunst unterstreicht. Im Abschlusssong, der einzigen der alten Nummern, „Diese Villa ist verlassen“, erzählt Paul Buschnegg von der Suche nach einer neuen Kunst nach dem Ende der bekannten Zivilisation, aber in der aktuellen Welt gibt es, wie man soeben erlebt hat, zum Glück noch jede Menge Schönheit zu entdecken.

Auftritt von „Pauls Jets“ (FM4- Act)

Im Gegensatz zum ersten Tag des Radiofestivals steht die Partystimmung heute am Ende des Programms. Die junge Musikerin Mathea aus Salzburg ist in den letzten zwei Jahren mit ihrem Hit „2x“ zu einem Shootingstar der deutschsprachigen Popwelt geworden. Auch abseits dieses perfekten Ohrwurms beweist Mathea mit Songs wie „Wach“ oder „Gib Bescheid“ Dancehall-lastige Hits im Programm, die eigentlich auf Freiluftbühnen in heißen Sommernächten erklingen sollten.

Den Song „1961-2017“ hat die Musikerin über den Verlust der Mutter einer ihrer Fans geschrieben, und sie verpackt als großes Kunststück dieses traurige Thema mit Würde und Eleganz in einen Radiohit, der weder voyeuristisch noch platt klingt; dafür serviert sie als Abschluss mit „Wollt dir nur sagen“ das, wie Paul Buschnegg neben mir sitzend bemerkt, „kühlste Liebeslied der Welt“. Die Menschen im Großen Sendesaal hält jedenfalls irgendwann nichts mehr in ihren Sitzen, und bei unserer allabendlichen Publikums-Umfrage nach der Show haben sowohl Mathea als auch The Erlkings als auch Pauls Jets neue Fans aus einer jeweils anderen Zielgruppe gewonnen. Vielleicht ist für manche Menschen auch das Gegenteil passiert, aber auch dies gehört zu einem Festival dazu. Dafür sind wir hier, genau hierfür gehen wir raus aus der Essenz.

Das Radiofestival live im Videostream

Ö1, Ö3 und FM4 veranstalten gemeinsam von 9. bis 11. Juli das Radiofestival im RadioKulturhaus Wien.

Am Samstag der Abschluss mit Marie Spaemann & Christian Bakanic (Ö1), Lou Asril (FM4) und Julian Le Play (Ö3). Ab 19 Uhr im Livestream hier.

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