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Erich Moechel

Eigene Soziale Netzwerke für gesperrte Rechtsextreme

Warum die „Identitäre Bewegung“ von Twitter weltweit gesperrt wurde und welche Netze den Hinausgeworfenen jetzt offenstehen. Ein Blick hinter die Kulissen von „The Gab“.

Von Erich Moechel

Die Sperre der Twitter-Konten der sogenannten „Identitären Bewegung“ (IB) am Freitag in Österreich war keine Einzelaktion. Am Mittwoch wurden weltweit alle Präsenzen der rechtsextremen Bewegung deaktiviert, darunter auch der Account ihres einflussreichen Ideologen Stefan Molyneux. Auslöser dafür war eine am Dienstag in den USA erschienene Untersuchung des „Global Project Against Hate and Extremism“ über Verbindungen der IB zu rassistisch motivierten Morden in Neuseeland, Deutschland und den USA.

Bei Facebook zeigt der Anzeigenboykott internationaler Konzerne erstmals Wirkung. Am Donnerstag wurden die Konten des ehemaligen Trump-Beraters Roger Stone sowie getarnte Propagandanetze rund um den brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro gelöscht. Um solche Figuren vom rechten Rand rittern mittlerweile mehrere „Free Speech“-Plattformen, die beiden größten sind die Kurznachrichtendienste „Parler“ und „The Gab“.

Cover des Global Projects Against Hate and Extremism

GPAHE

Der Report des Projekts gegen Hass und Rassismus macht die Ideologie der Identitären für eine ganze Reihe rassistischer Morde von Neuseeland bis in die USA verantwortlich. (siehe weiter unten)

Wie das Netzwerk der Gesperrten wächst

Aktuell dazu in ORF.at

Die Amnestie für Roger Stone stieß auf heftige Kritik von Robert Mueller, des Sonderermittlers für das FBI zu den Verbindungen des Trump’schen Wahlkampfteams nach Russland.

Durch die Löschung des österreichischen Protagonisten der „Identären“, Martin Sellner, wurden seine gut 40.000 Follower auf Twitter führerlos und um diese werben Plattformen wie „Parler“ oder „The Gab“. „Gab hat in den vergangenen vier Jahren einen bedeutenden Anteil der konservativen, libertären, nationalistischen und populistischen Twitter-User kapern können, hauptsächlich deshalb, weil diese Benutzer von Twitter gesperrt wurden. Wir haben dort die Gelegenheit zur Gratiswerbung weidlich ausgenützt und eine Gemeinschaft in Millionenstärke rund um die Welt aufgebaut, ohne einen Penny auszugeben. Jetzt planen wir dasselbe auf einer anderen Feindesplattform: Facebook“. Das schreibt der Betreiber Andrew Torba in einem seiner wöchentlichen Editorials.

Wieviele User „The Gab“ tatsächlich hat, ist natürlich nicht nachzuprüfen, die Präsenz der Rechtextremen auf Facebook hat jedenfalls 17.000 „Freunde“. Anders als Twitter, wo die Sperren inhaltlich begründet wurden, löscht Facebook weiter nur aus formalen Gründen, wobei der am häufigsten genannte „coordinated inauthentic behaviour“ ist. Damit ist das Anlegen falscher Accounts gemeint, um eine große Anzahl von Anhängern vorzutäuschen und falsche Informationen für ganz andere Zwecke zu verbreiten, als die Inhalte der vermeintlichen Nachrichten suggerieren.

Screenshot The Gab / Profil von Stefan Molyneux

Screenshot The Gab / Molyneux

Der kanadische „Philosoph“ Stefan Molyneux ist bereits auf „The Gab“ angekommen, wo er als „friedlicher Familienvater“ firmiert. Seine „Philosophie“ des „realistischen Rassismus“ ist da schon weniger friedlich aufgestellt. Molyneux plädiert für eine weltweite Apartheid, weil die Vermischung der menschlichen Rassen furchtbare Folgen zeitigen wird. Dazu kommen Programme zur Erhaltung der Rassenreinheit und natürlich die Eugenik, also gezielte Tötung „unwerten Lebens“: Molyneux steht damit in direkter Nachfolge von Hitlers Afterphilosophen Houston Stewart Chamberlain und Alfred Rosenberg.

Die Alibiaktion von Facebook

Martin Blumenau über das Ende der Identitären als Jugendbewegung nach dem Massaker von Christchurch, Neuseeland.

Der an der rechten Peripherie seit Jahrzehnten umtriebige ehemalige Trump-Berater Roger Stone hatte zwar jeden Zusammenhang mit diesem verdeckten Propagandanetz auf Facebook bestritten. Die dort am häufigsten verbreiteten Postings betrafen allerdings seine Videos und Bücher, wer hinter der dieser Kampagne wirklich steckt, ist schwer zu sagen. Facebook wertete es als Versuch der bereits 2018 gesperrten „Proud Boys“ - ein Netzwerk gewaltbereiter Faschisten - erneut auf Facebook Fuß zu fassen. Dazu wurden gefälschte Konten reaktiviert, die offensichtlich aus dem Trump-Wahlkampf von 2016 übriggeblieben waren.

Dasselbe gilt auch für ein Desinformationsnetz in der Ukraine, das aus dem Präsidentschaftswahlkampf 2019 stammt, sowie das Propagandanetz, das Mitarbeiter des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro unterhielten. Es steckte also weit weniger dahinter, als es zuerst den Anschein hatte, für Schlagzeilen sorgte allein der Name Roger Stone, weil dessen Begnadigung durch Präsident Trump bei der Veröffentlichung der Sperre schon in der Luft lag. Stone, einer der Verbindungsleute Trumps zu Russland und Wikileaks war in diesem Zusammenhang wegen Falschaussagen, Behinderung der Justiz und Beeinflussung von Zeugen zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Am Freitag kam dann die Begnadigung.

Youtube Screenshot des Kanals Identitäre Bewegung

Youtube-Screenshot

Auf YouTube geht das Treiben der Identitären indessen ungebrochen weiter, dasselbe gilt auch für den Messengerdienst Telegram. Durch die Sperre sämtlicher Twitter-Konten ging allerdings ein Gutteil der Reichweite für diese letztlich mörderische Ideologie verloren. Die Stellungnahme von Facebook zu den Sperren der Kontakte von Roger Stone.

Der große Austausch

Neben den Konten Sellners wurden auch etwa 50 weitere Konten führender Identitärer in Deutschland, Frankreich und zahlreichen weiteren Staaten von Twitter deaktiviert. Sie dürften mit den am Dienstag vom „Global Project Against Hate and Extremism“ gelisteten 67 identitären Konten großteils identisch sein. Der Report schreibt nicht nur das Attentat auf eine Moschee in Neuseeland mit 51 Toten dem identitären Umfeld zu, sondern auch zwei Attentate auf US-Moscheen und die rassistisch motivierten Morde an Ausländern in Hanau und Halle (Deutschland 2019).

All diese Täter hätten der gleichen Ideologie angehangen, nämlich dem Glauben an den „großen Austausch“ der europäischen Bevölkerung durch andere Rassen. Der vor den Sperren verfasste Bericht enthält harsche Kritik vor allem an der Geschäftspolitik von Twitter und YouTube, die auf ihren Plattformen die Werbung für solch mörderische Ideologien erlaube.

Screenshot eines Artikelteaser über einen angeblichen Corona-Plan von Bill Gates, Soros, Fauci et. al.

Screenshot von The Gab

Hinter dem Ausbruch des Coronavirus steckt natürlich auch ein geheimer Plan, von dem nur die Verschwörer selber wissen und natürlich das Publikum auf „The Gab“.

Geimpft, sterilisiert und ausgetauscht

Wie Rechtsextreme ihre Botschaften mit neuen Memes verbreiten. Rassismus verpackt in Baby-Sprache und untermalt mit kindlichen Comics -bizarrer und unverständlicher als je zuvor.

Während der „Free Speech“-Microbloggingdienst „Parler“ eher vom rechten Rand der US-Konservativen bevölkert ist, ist „The Gab“ eine wilde Mischung aus selbsternannten Patrioten, Alltagsfaschisten, Frauenhassern, Antisemiten, Waffenfetischisten, Impfgegnern und Verschwörungstheoretikern jedweder Couleur. Es herrscht dort ein recht ähnlicher Ideologienmix wie weiland auf den berüchtigten 4Chan- und 8Chan-Messageboards, die Grundstimmung differiert allerdings stark.

Das Publikum von „The Gab“ ist im Schnitt deutlich älter als ehedem auf den Chans und über allem hängt eine Wolke von Paranoia. Die einen befürchten, dass sie von Bill Gates zwangsgeimpft und sterilisiert werden, die anderen, dass sie George Soros gegen Mexikaner tauscht, und alle plagt ein Horror vor selbstbewussten Frauen. Es ist also kein Wunder, dass in einer solchen Atmosphäre keine rechte Stimmung für Kommunikationen aufkommen will. Die dumpfe Stimmung in dieser Paranoia-Cloud zeitigt dafür andere Ergebnisse und dafür wurde „The Gab“ erstmals 2018 international bekannt. Nach einer Serie von rabiaten antisemitischen Postings auf „The Gab“ bewaffnete sich ein User namens Anthony Robert Bowers in Pittsburgh mit einem Schnellfeuergewehr sowie drei Glock-Pistolen und richtete in der „Tree of Life“-Synagoge ein Massaker mit elf Toten unter den betenden Gläubigen an.

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