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Wie sollen wir mit diskussionswürdigen Denkmälern verfahren?

Auf Straßennamen und Denkmälern ist die Vergangenheit gegenwärtig - mehr oder weniger. Denn vielerorts gerät in Vergessenheit, welche Herrschaften im öffentlichen Raum auf Steinsockeln herumstehen und auf Straßenschildern zu lesen sind. Im Interview spricht die Historikerin Karin Schmidlechner-Lienhart über den Umgang mit diskussionswürdigen bis höchst bedenklichen Objekten.

Von Maria Motter

Statuen historischer Figuren, die Menschenrechtsverbrecher waren, sind in etlichen Städten weltweit in den letzten Wochen bemalt, zerstört und gestürzt worden. In Berlin kündigten die Verkehrsbetriebe via Social Media an, den rassistischen Namen einer U-Bahnstation zu entfernen - doch der nächstgelegene Straßenname, der für die Station jetzt angedacht ist, trägt den Namen eines russischen Komponisten, der antisemitische Werke verfasst hatte.

Ja vielerorts ist in Vergessenheit geraten, wer die - meist - Herrschaften waren, an die nach wie vor erinnert wird, und welcher Gesinnung sie folgten. Wien hatte eine Historiker*innenkommission für die Straßennamen, in Linz ist man dabei und die Stadt Graz wird zusätzliche Infotafeln zu den Straßenschildern montieren. Jetzt wird diskutiert, ob nicht auch alle Denkmäler Infotafeln bekommen sollten.

Aufregung um den Grazer Schlossberg

In Graz wird im Herbst das neue Schlossberg Museum eröffnen. Und die KPÖ empört sich jetzt über drei Gegenstände, die seit Jahrzehnten am Schlossberg und teils denkmalgeschützt sind: ein Relief, ein Urnengrab des Autors und ab 1938 NSDAP-Mitglieds Rudolf Hans Bartsch und die Büste des deutschnationalen Dichters Hans Kloepfer, der schon in den frühen 1930er Jahren in einem Naheverhältnis zum Nationalsozialismus gestanden ist.

Die Grazer KPÖ fordert eine „Entnazifizierung“ des Schlossbergs. Die FPÖ ist dagegen. Und seitens des Graz Museums heißt es, dass alle Objekte Informationstafeln erhalten. Das war von Anfang der Umbauten für das neue Schlossberg Museum Graz so vorgesehen, sagt der Leiter Otto Hochreiter.

Maria Motter hat mit der Historikerin Karin Schmidlechner-Lienhart über den Umgang mit diskussionswürdigen Objekten und bedenklichen Straßennamen gesprochen.

Karin Schmidlechner-Lienhart: Ich halte diese Diskussion für sehr wichtig. Gerade die Denkmalfrage ist jetzt auch angesichts der Ereignisse in den USA unglaublich aktuell geworden. An mehreren Orten werden Denkmäler gestürzt. Aber ich denke, dass es hier keine einheitliche Regelung oder Lösung geben kann, ob etwas gestürzt oder entfernt wird oder bleibt – das muss konkret an jedem einzelnen Fall auch überlegt werden. Es ist ein schwieriges Kapitel, weil im Prinzip: Wenn ich Denkmäler entferne, entferne ich natürlich auch den Kontext der Situation. Warum hat jemand ein Denkmal erhalten? Was hat die Person getan? Im Prinzip gefällt mir bei einigen die Lösung mit dem Umsturz ganz gut.

So wie es in Bristol mit der Statue eines Sklavenhändlers gemacht worden ist?

Genau. Und mit einer entsprechenden Erklärung natürlich auch.

Das soll nicht ein Aufruf sein zum eigenhändigen Entfernen, meinen Sie?

Nein! Das Umstürzen und Erklären mancherorts gefällt mir. Aber in Graz würde ich eher eine erklärende Tafel anfügen. Bezüglich der diskutierten Objekte am Schlossberg: Also Urnenentfernung würde ich auch nicht befürworten. Bezüglich des Reliefs, ist auch der Kontext entscheidend. Da sehe ich nicht die Notwendigkeit einer Entfernung. Weil die Tatsache, dass es diese Ausdehnung gegeben hat, ist ja nichts Erfundenes.

Im Gegenteil: Das zeigt ja eigentlich, wie aggressiv das Regime reagiert hat und wenn man dann heute die aktuelle Situation dazu stellt und sagt, so war das vorher und so ist das jetzt, kann man Bewusstsein schaffen. Da habe ich viel mehr Probleme mit dem Text unserer Landeshymne! Die tut ja noch so, als wäre das heute noch so. Das müsste wirklich nicht sein und ich wundere mich, dass Slowenien das so geduldig hinnimmt. Wäre das umgekehrt so, dann schaue ich mir an, wie der Kärntner Heimatdienst reagiert.

Wie sinnvoll ist das Anbringen von Hinweistafeln?

Das halte ich prinzipiell schon für sehr sinnvoll. Als Historikerin sehe ich schon die Problematik, dass die Vergangenheit ja dann nicht verschwindet, wenn man die Denkmäler entfernt. Im Gegenteil: Dann wird das Wissen um die Zeit noch geringer. Wenn ich das aber lasse und es durch einen Text problematisiere, ist zumindest die Information über die Vergangenheit noch da. Viele Menschen sind der Meinung, dass verdienstvolle Personen mit Straßenschildern geehrt werden – so sollte es ja auch sein.

„Die Vergangenheit verschwindet ja nicht, wenn man die Denkmäler entfernt.“

Und da scheiden sich natürlich die Geister, welche Kriterien es hier überhaupt gibt, dass eine Person hier geehrt werden soll und das ist ja auch jetzt unser Problem, wenn wir sehen, dass in den 60er Jahren extrem viele Personen hier auftauchen, die sich in der NS-Zeit sehr aktiv für das System betätigt haben. Das weiß aber heute natürlich kaum jemand, außer es handelt sich um sehr prominente Menschen, etwa Künstler. Ich sage jetzt absichtlich Künstler, weil wir gar keine Künstlerin aus der damaligen Zeit auf einem Grazer Straßenschild haben.

Aber bewirkt das nicht, dass nach wie vor auch Personen erinnert werden wie der Antisemit Jakob Lorber, der viel früher gelebt hat, 1800 geboren, oder Igo Etrich, der heute auch kaum jemandem mehr ein Begriff ist. Ist es nicht ein Problem, dass die auf Straßenschildern hochgehalten werden? Wäre es nicht besser, man entfernt diese Tafeln und benennt die Straßen um?

Das ist eben genau das Problem. Weil – zumindest ein Teil der Bevölkerung hier schon ein Bewusstsein entwickelt hat bzw. auch von politischen Gruppierungen darüber informiert wurde. Aber mit dem Entfernen ist das nicht so einfach. Es gibt gesetzliche Verordnungen, und wenn man sich die genauer anschaut, ist das fast unmöglich, also da müsste schon ein politischer Kraftakt erfolgen. Es ist fast unmöglich, so eine Umbenennung vorzunehmen.

Beispielsweise, wenn es eine Bürger*inneninitiative gäbe: Wenn alle Bewohner*innen einer Straße dafür sind, dass eine Umbenennung erfolgt, dann kann das im Gemeinderat behandelt werden. Aber das ist völlig utopisch. Diese Basisaktivität, die können wir vergessen, weil Menschen in der Regel hier nicht wirklich initiativ werden wollen. Es ist vielen Menschen einfach egal. Wobei man aber sagen muss: Es hat ja natürlich unmittelbar nach dem Krieg Umbenennungen gegeben, die bekanntesten Nationalsozialisten haben natürlich ihre Straßen, ihre Plätze verloren. Sonst hätten wir noch immer einen Adolf-Hitler-Platz und was auch immer. Also das ging nach 1945 sehr schnell. Was wir jetzt haben, ist ja die Tatsache, dass es auch Unbekannte sind, die mit dem System in unterschiedlichen Schattierungen kooperiert haben, nach denen Straßen benannt wurden.

Die zusätzlichen Informationstafeln kommen in Graz bei allen Straßennamen, mit denen eine Person honoriert wurde.

Grundsätzlich ist es als positiv zu bewerten, dass Hinweistafeln kommen werden für alle Straßennamen, aber es geht auch um den Text und wie der formuliert sein wird. Als Privatperson sage ich, dass es natürlich wünschenswert gewesen wäre, Umbenennungen vorzunehmen. Wenn das aber nicht der politische Wille ist und auch die Bürger*innen der jeweiligen Straßen daran kein Interesse haben, dann wird das nicht erfolgen.

Ich sehe schon ein Problem: Wenn jetzt alle eine Tafel erhalten, dann stellt sich eben die Frage, ob diejenigen, die hier also eigentlich keine Tafel haben sollten oder nach denen keine Straße benannt werden sollte, ob die dann nicht einfach gar keine Beachtung finden in dem Sinn. Weil ich kann eine Tafel so verfassen, dass nicht wirklich klar ist, ist das jetzt ein engagierter Nationalsozialist gewesen? Hat der aktiv auch an Verbrechen mitgearbeitet? Es gibt hier sehr viele unterschiedliche Varianten eines Engagements. Ist die Mitgliedschaft allein schon Grund genug? Weil dann müssten wir ja sagen: Es gibt ganz viele Menschen, die NS-Mitglieder waren, die nach 1945 dann zumindest erkannt haben, dass sie hier sich geirrt haben und die danach sehr achtbare Menschen in einem demokratischen System waren. Das ist die eine Schwierigkeit.

Und vor allem: Wir sprechen jetzt ja nur vom Nationalsozialismus und den Aktivitäten in diesem System. Aber es gibt ja auch vor dem Nationalsozialismus ein System, in dem Menschen auch mitgewirkt haben, dass beispielsweise die Demokratie abgeschafft wurde, und das ist für mich auch abzulehnen. Und da sind wir aber schon in einem Graubereich, nicht? Weil durch die Konzentration auf den Nationalsozialismus wird dieser Zeitraum meistens eigentlich wenig berücksichtigt.

Wissen Sie: Stimmt es, dass in Graz weniger Straßen nach Frauen benannt sind als nach Singvögeln und Flora?

Schmidlechner-Lienhart: Das ist durchaus möglich. Weil nur drei Prozent der Straßen nach Frauen benannt sind. Da muss man jetzt auch sagen, das ist ja nicht verwunderlich. Wir wissen ja, dass es bei uns bis in die 80er Jahre kein Bewusstsein darüber gegeben hat, dass Frauen auch etwas geleistet haben. Wenn ich von den drei Prozent der Straßen jene abziehe, die etwa nach Angehörigen des Hochadels und Heiligen benannt wurden, nach der Kaiserin Elisabeth, nach Maria Theresia oder Annenstraße, dann bleibt sehr wenig übrig.

Es gibt allerdings einen Beschluss des Gemeinderats seit einigen Jahren, dass bei Neubenennungen Frauen und auch Widerstandskämpfer*innen bevorzugt werden. Das ist zumindest eine erfreuliche Wendung. Dann kommt es aber darauf an, welche Straßen das sind. Wenn ich zum Beispiel schaue, wo die Paula Wallisch zu finden ist - die hat einen Kreisverkehr im Süden von Graz, bei Puntigam, also das ist einfach lächerlich. Dasselbe bei Martha Tausk: Über der Graben-Unterführung ist eine fünf mal vier Quadratmeter-Grünfläche, die ist nach Martha Tausk benannt. Also da gibt es schon noch Luft nach oben.

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