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Schild Mattersburger Commerzialbank

APA/Robert Jäger

Blumenaus 20er-Journal

Der Fall Mattersburg oder: die ehemalige Normalität

Eine Bankenpleite öffnet den Blick auf die oftmals nicht oder nur mit Bauchweh legale Finanzierung des heimischen Vereins-Fußballs.

Von Martin Blumenau

Heute wäre (nach dem gestrigen letzten Entscheidungsspiel) eigentlich eine Saisonbilanz der heimischen Bundesliga angestanden und ich wollte mit der Feststellung beginnen, dass ich ja schon einige komplett irre Spielzeiten miterlebt habe (die Maul- und Klauenseuche von 1973 oder die wegen einer grotesken Ligareform sportlich wertlose Meisterschaft im Folgejahr), die unterbrochene Corona-Saison 2020, die das noch getoppt hätte, wobei im Gegensatz dazu wenigstens die sportliche Gerechtigkeit immerhin so gut wie nur machbar gewährleistet war.

Nun, dieser Zugang ist seit Dienstag Mitternacht hinfällig: Da sperrte die Finanzmarkt-Aufsicht die burgenländische Commerzialbank, die nun vor dem Konkurs steht. Und weil die Bank in Gestalt ihres Alleinherrschers Martin Pucher seit jeher die Finanzierung des SV Mattersburg in der Hand hält, wirkt sich das massiv auf das Schicksal des burgenländischen Vorzeige-Vereins aus. Von Insolvenz und Zwangsabstieg bis hin zu einer Corona geschuldeten Ausnahme-Regelung, die den Verbleib (sofern der Masseverwalter zustimmt) in Liga 1 sichert, ist noch alles drin - die nächsten Tage werden Klarheit bringen.

Was in der aktuellen Berichterstattung, auch in sonst kritischen Medien, verschämt verschwiegen wird (hier ist mit 90minuten.at die rühmliche Ausnahme), ist die Erwartbarkeit und die Normalität solcher Zustände. Eine Bankenpleite samt langjähriger Bilanzfälschung mag ein sichtbarer peak in einer sonst stark verschleierten Historie der halblegalen, moralisch verwerflichen oder kriminell erfolgreichen (eben nicht erwischten) Finanzierung des heimischen Vereins-Fußballs sein, das dahinterstehende Tun jedoch hat System und gehört zur österreichischen Fußball-Geschichte wie Cordoba oder Gijon.

Das reicht von sanftem Druck politischer Verantwortungsträger auf staats- oder gemeindenahe Betriebe doch eine Sponsor-Tätigkeit (eine Wiener Spezialität) auszuführen bis hin zur Akquise durch den Herrn Landeshauptmann persönlich (nicht nur im Süden der Republik); das geht von der doppelten Buchführung von Vereinen bis hin zur doppelten Buchführung von Firmen von Vereinsfunktionären. Manchmal werden Zuwendungen kreativ verbucht, manchmal wurden Koffer voller Geld aus krachenden Instituten geschleppt, manchmal waren es weißzuwaschende Gewinne aus der Rotlicht-Bereich und da war dann noch vieles andere eigentlich Unvorstellbare mehr. Seit die strengere Liga-Lizenzierung seriöse Unterlagen verlangt, hat sich die Lage gebessert; der Fall Mattersburg zeigt aber, dass vor allem dort, wo Alleinherrscher am Werk sind, immer alles möglich und immer mit allem zu rechnen ist.

Tatsache ist auch: Alle Beteiligten wissen davon (oder könnten sich die Indizien zu einer Ahnung hin zusammenreimen) und drücken trotzdem alle Augen zu solange der Schein des Anstands gewahrt bleibt. Auch weil in Österreich dieser an den sprichwörtlichen Balkan gemahnende Geschäftsumgang die einzige Möglichkeit ist um finanziell so halbwegs mit den mittelgroßen Ligen/Klubs mitzuhalten.

Zumal das kreative Finanzierungs-Modell von Pucher mit hoher Wahrscheinlichkeit für die Sicherung der Erstklassigkeit „seines“ Vereins erdacht wurde; neben anderen Community-Projekten im Bezirk Mattersburg (in dem das kleine Banken-Imperium tätig war) und wohl auch einem Teil an persönlicher Bereicherung - am Ausbau des Mattersburger Stadtzentrums wollte Pucher ordentlich abcashen. Insgesamt war Puchers Commerzialbank ein ökonomischer Stabilisator einer ganzen Region. So (bei Erfolg legal, bei Misserfolg eben desto weniger) funktioniert Wirtschaft im lokalen Bereich eben, nach diesem Muster arbeiten viele, von der Raika bis zur Mafia (wertfrei und vergleichslos). Wer allzu sehr hinter/nachfragt oder prüfen will, ist schnell der Nestbeschmutzer, Gefährder des Gemeinwohls, und dem ist es ja egal, ob es auf Sand gebaut ist oder nicht.

Pucher konnte wegen der von ihm deswegen vermittelten Stabilität (die ihn von anderen, deutlich finanzstärkeren CEOs immer abgehoben hat) zum wichtigen Player werden, auch zum Liga-Vize und schließlich zum Liga-Präsidenten aufsteigen. Er hat dem Verbund einen neuen Standort gebracht, dem Land ein Nachwuchs-Leistungs-Zentrum, der Stadt Beachtung, dem Verein ein Stadion, das europäische Klasse (Krakau, Basel) sah und Almer, Mörz, Kühbauer und Fuchs.

Wird das alles entwertet, weil die ökonomische Basis dafür illegal war? Wie lang zurückwirkend müsste man den SVM eigentlich aus der Wertung nehmen? Welche anderen Vereine hätten stattdessen an den Futtert-Trögen der obersten Liga mitnaschen können? Wie genau müsste man alle anderen relevanten Firmen, Sponsoren, engen Partner von zentralen Funktionären überprüfen, auch rückwirkend, schließlich wurden die Grundlagen für aktuelle Befunde vor Jahrzehnten gelegt? Sollte man Whistleblower die doppelte Vereinsbuchführungen oder schwarze Kassen aufblatteln, mit Geldanreizen locken? Inwieweit ist auch politische Einflussnahme auf Finanzierungsstrategien mehr als nur ein Compliance-Bruch, sondern strukturelle Korruption und ein Fall für die Staatsanwaltschaft? Und: wer bliebe dann noch über?

Ich hatte Anfang der Saison bei Mattersburg so ein komisches Gefühl, dem ich hier auch Ausdruck verliehen habe: Es schien als würde Pucher angesichts seines nahenden 65ers seinen Rückzug vorbereiten, mit Akademie- und langfristiger Sportdirektoren-Weichenstellung, aber auch so als würde man sogar einen Abstieg durchaus freundlich annehmen. Vielleicht war das sogar der Plan: gesicherte 2. Liga, finanzieller Rückbau. Ob das die Bank hätte retten können oder die mittelfristig nicht verhinderbare Entdeckung der Finanzlücken nur weniger schlimm für den Verein hätte gestalten wollen, ist natürlich Spekulation.

Tatsache ist, dass Mattersburg wegen der Schwäche der Konkurrenten (und dass es gleich drei waren, die sich ein Schneckenrennen gegen den Abstieg lieferten, spricht nicht für den SVM, sondern gegen die anderen) nicht so arg gefährdet war, also weiterwursteln konnte; im Bereich Fußball ist das gute österreichische Normalität. Und seit gestern haben wir die Gewissheit, dass es auch im Bereich der Finanzen dahinter so war und in Teilen immer noch so ist. Und wegen der Beständigkeit von guten alten Traditionen gehe ich davon aus, dass es auch in Hinkunft noch so sein wird.

PS: Die Saisonbilanz verschiebt sich dann auf morgen...

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