FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

25 Jahre Holzstock Fetsival Fanzine

kino-ebensee.at

FM4 Access All Areas: Die Festival-Anfänge in Wiesen und Ebensee

Im Festivalsommer der Ausnahmen und Sonderzustände reden wir über Festivals. Zum Beispiel über den Anfang und das Ende vom Holzstock Festival.

Von Susi Ondrušová

Warum fährst du auf Festivals? Das ist eine Frage die mich dauernd beschäftigt. Weil: ich vermisse die Festivals. Alles an Festivals vermisse ich. Ich war das erste Mal in Vorarlberg und Salzburg wegen Festivals. Festivals sind mein Österreich-Urlaub. Das geht so weit, dass ich letztens am Weg zur U-Bahn mit Phantomschmerzen an einem Bauzaun vorbeispaziert bin. Ich hatte plötzliche den 3.Festivaltag in der Nase: Pisse.

FM4 Access All Areas Podcast

Radio FM4

FM4 Access All Areas gibt es den Sommer über immer donnerstags von 21 bis 22 Uhr und hier als Podcast.

Ich liebe die Unvorhersehbarkeit von Festivals, die Zufallsbekanntschaften und auch das Warten. Man nennt es nur nicht warten. Auf Festivals gehen heißt, Ersatzhandlungen fürs Warten finden: trinken, reden, schlafen, feiern. Aber eigentlich wartet man immer: auf die eine Band, die zu Mittag spielt oder die andere, die um Mitternacht spielt. Oder man sucht: den Lieblingsmenschen. Findet wen zum Anhalten und Anstoßen. Klatschen. Immer klatschen.

Alle Festivalveranstalter, mit denen ich in den letzten Wochen gesprochen habe, eint die Liebe zur Musik. Der Wurlitzer im Gasthaus der Eltern, wo Ewald Tatar (Barracuda) einen Schilling reinwerfen durfte, um seinen Lieblingssong zu hören, die Verwandten von Hannes Hagen (Kulturverein Szene Lustenau), die beim Melken Led Zeppelin gehört haben, Thomas Zsifkovits (Barracuda), dem die Dead Kennedys „die Augen geöffnet haben“ oder Raphael Pleschounig (Verein Acoustic Lakeside), der meint, er ist der Absolvent der „Indie-School of 2005“.

Die Anfänge in Wiesen und Ebensee

Wer in den 90ern mit FM4 aufgewachsen ist und angefangen hat auf Festivals zu gehen, kennt sicher das Festivalgelände in Wiesen. Eine Erdbeere ziert das Wappen der Gemeinde. Neben Erdbeeren ist Wiesen auch für das Jazzfest berühmt.

Österreichs „Festivalpapst“ Franz Bogner hat 1976 die erste Ausgabe der Wiesener Jazztage veranstaltet. Das Zelt mit seiner Stahlseilkonstruktion, die ausrangierten Zugwagons im Backstage, der VIP-Balkon, das überdachte Areal, das 4000 Besucher*innen beherbergt und wo Open Air nochmal 4000 Menschen Platz haben. 1995 hat dort die erste Ausgabe vom Forestglade stattgefunden. Dieser Festivalname birgt Erinnerungen an Nick Cave & The Bad Seeds und Nine Inch Nails, aber auch an Therapy? und Guano Apes.

25 Jahre Holzstock Festival Fanzine

kino-ebensee.at

Buch zum 25. Jubiläum des Kino Ebensee

1995 war nicht nur Wiesen ein wichtiger Ort auf der Festivallandkarte, sondern auch Ebensee. Mit einem für 1995 und auch für 2020er-Verhältnisse traumhaften Lineup: Melvins, Babes In Toyland, Foo Fighters und Beck. Der Name des Festivals: Holzstock.

„Der Titel war unserer hinterwäldlerischen Abgeschottetheit im Salzkammergut geschuldet. Wir haben geglaubt, okay Woodstock! Toll. Super. Wir deutschen es ein und mit dem haben wir das Festival begonnen“ so Klaus Wallinger, Intendant vom Verein Kino Ebensee, bei dem er seit 1986 mitwirkt.

18 Festivalausgaben hat es in den Jahren 1977/1978 bis 1997 gegeben. Ursprünglich hat Wallinger das Festival ins Leben gerufen, damit seine Band mit dem wunderbaren Namen GesmbH Auftrittsmöglichkeiten hat. Die erste Bühne war damals auf einem Traktoranhänger.

An die GesmbH kann sich Florian Sedmak sehr gut erinnern. Florian Sedmak hat 1987 mit Schulfreunden aus Bad Ischl die Punkband Kurort gegründet. „In Ebensee hat es die für uns ganz, ganz wichtige Vorbild gebende Band GesmbH gegeben: mit den Gebrüdern Wallinger, der Klaus Wallinger, Bass, der Konrad Wallinger, das kann man sich heut fast nicht mehr vorstellen: Querflöte und Saxofon! Ganz die schräge Kombi. Der Walter Eisel, später dann wegen seiner Haarpracht der Rote Baron genannt: E-Gitarre. Ein begnadeter Autodidakt.“

Ebensee und Bad Ischl sind entlang der Traun 16 romantische Autominuten voneinander entfernt. Das Kino Ebensee war nicht nur für ihn, damals als neugierigen aber „musikalisch“ unterversorgten Teenager wichtig, sondern für die ganze Region und darüber hinaus.

Das Kino Ebensee wollte in Österreich „einmal ordentliche Alternative Music auf die Bühne bringen“ und ist so im Laufe der 1980er auch zu einem „home away from home“ für tourende Bands geworden. „Ohne Kino hätte dieses Festival nie so funktioniert, weil es ist bis heute so, dass die Bands sich in Ebensee und ins Kino verlieben und dort Stammgäste werden und mit dem Kino dann fast in Symbiose leben und auch drauf bestehen, immer wieder dort zu spielen, auch wenn sie vielleicht schon größere Häuser spielen könnten. Das ist dann wie Liebesbeziehungen.“

Nikki Sudden, Evan Dando, Helmet, ganze Bücher könnte Klaus Wallinger mit Anekdoten über die Geschichte des Hauses füllen. Die 1990er also: die Geburt von Alternative Rock. Mit Nirvanas Album Nevermind erobert der Underground den Mainstream. Dave Grohl gründet 1993 seine Foo Fighters und Beck veröffentlicht 1994 gleich drei Alben, unter anderem „Mellow Gold“ mit seinem zeitlosen Über-Hit „Loser“.

„Alle Agenturen haben sich gestritten um ihn zu buchen“, erinnert sich Klaus Wallinger. Also greift er zum Telefon und ruft direkt beim Booking Agent in Los Angeles an, um Beck als Headliner für das Holzstock Festival zu verpflichten. „Hab mir einen Haufen Kohle erspart.“

Paul Debnam von Psi Music, der heute Beirut oder Conor Oberst und Muse in Österreich veranstaltet, ist der „federführende Checker“ um im Rahmen der ersten Europa-Tour der Foo Fighters den Holzstock-Termin im Tourplan zu fixieren.

Seltsame Figuren im Backstage

Kollege Christian Fuchs hat das Holzstock Festival besucht um für das damals neun Monate alte Radio FM4 zu interviewen. Er erinnert sich an „seltsame Wesen“ im Backstage:

Zum einen Dave Grohl, weil den jeder mochte, jeder unglaublich sympathisch fand und weil der halt auch legendär und ikonisch war und gleichzeitig hat sich jeder gedacht: ‚mitten unter uns genauso angezogen, genauso verwildert, ist ein Millionär!‘ Und das war ja damals ein musikhistorisch sehr seltsamer Moment. Das war das eine seltsame.

Und der seltsamste Mensch, der sich eher in seinem Wohnwagen versteckt hat, war der damals sehr junge Beck. Er hat überhaupt nicht den damaligen Klischees entsprochen. Diese ganzen Noise-, Rock-, Grunge-Musiker, das war halt ein Typus, sag ich jetzt ganz blöd. Da ging es auch viel um Alkohol und Drogen. Beck war extrem schüchtern, extrem zurückhaltend, extrem höflich. Er kam wie von einem anderen Planeten und gleichzeitig hat sich dieses Junggenie schon abgezeichnet.

Also wenn Dave Grohl der Reiche im Bunde war, der auch total nett war, dann war Beck irgendwie weird auf eine ganz spezielle Weise. Ich bin dem gegenüber gesessen in seinem Wohnwagen. Ich war sehr aufgeregt beim Interview, weil ich das Gefühl hatte, da ist jetzt jemand, der schreibt gerade Musikgeschichte. Und man konnte ihn auch gar nicht einordnen. Er hat Blues gemacht, er hat auf der Bühne gescratched, hat so Hip-Hop-Dance gemacht mit seiner Band, gleichzeitig Folk Nummern wie Bob Dylan. Diese Mischung das war brandneu.

Florian Sedmak erinnert sich an die Melvins. „Im Cowboy Outfit, die man nur fünf Minuten vor dem Auftritt zu Gesicht bekommen hat und die nach der Zugabe wieder im Nightliner verschwunden sind.“

Ein Jahr später gab es dann noch eine Holzstock Festivalausgabe bei der unter anderem Attwenger, LTJ Bukem, Everclear, Fetish69 (die damalige Band von Christian Fuchs) gespielt haben. Auch Helmet, die für ihre Tour damals eine Woche lang im Kino Ebensee geprobt haben und ein „erratischer“ Tricky. Ein eklektisches Billing. Damals wie heute. Für die Holzstock-Festival-Ausgabe 1997 mussten KRS One als Headliner kurzfristig absagen. Aufgetreten sind dann u.a. Bloodhound Gang, Galliano, die Sterne und Sofa Surfers. Das Wetter war schlecht und das für 3000-4000 Menschen angesetzte Festival schlecht besucht.

Florian Sedmak dazu: „Man hat eigentlich zu dem Zeitpunkt, wo die erste Band auf die Bühne gegangen ist, schon gewusst, dass das finanziell ein Desaster wird. Also zumindest hinter der Waldbühne war das kein schöner Tag, so wie wenn du ein Fußball-Finale verlierst. Der Festival-Markt ist ja auch so explodiert, es hat immer mehr Festivals gegeben, eigentlich schon ein Verdrängungswettbewerb unter den Festivals oder regelrechter Bewerb um das größte Publikum. Entsprechend sind die Gagen rauf gegangen. Und da hat Ebensee nicht mehr mitbieten können.“

Klaus Wallinger meint, das wichtigste war, den Fortbestand der Venue nicht durch ein Festival zu gefährden. Das Holzstock Festival ist vom Kulturverein Kino Ebensee und der Unterstützung von „200 Freiwilligen aus ganz Österreich“ durchgeführt worden: „Für ein T-Shirt und Verpflegung.“ Schwingt Nostalgie in der Erinnerung mit? Das Gefühl von Verlust? „Ich vermisse sicher die Solidarität, die damals am Tag gelegt worden ist. Das ist durchaus auch ein kulturpolitisches Statement das da abgegeben worden ist.“

Den ökonomischen Druck vermisst er nicht. Festivals, das sollen nun jüngere Generationen in Angriff nehmen, sagt der heute 61-jährige Wallinger. Das Festival, das Wallinger auch persönlich besucht hat war das Roskilde Festival. Wegen The Cure ist er nach Dänemark gefahren. Das müsste dann 1985, 1990, 1995, 2001, 2012 gewesen sein? „Ist sicher schon lange her“

FM4 Access All Areas

Die jüngere Generation wird in den nächsten Wochen im Festivalpodcast „FM4 Access All Areas“ zu Wort kommen. Veranstalter*innen der großen und kleinen Festivals in Österreich.

Wir besuchen den Fuhrpark von Toi Toi Toi, reden mit dem Betreiber von ökologischen Festivaltoiletten. Es wird um „crowd management&safety control“ gehen, um Festivalfotograf*innen die im Bühnengraben den perfekten Moment einfangen versuchen. Um die Frage der Nachhaltigkeit bei Festivals, die Geschichte des Mehrwegbechers.

Und weil ich aus Sehnsucht nach Konzertgekreische und Hunger nach Festivalluft so gut wie nur mehr Livealben höre und mehr Festivalmitschnitte als Pressekonferenzen anschaue, gibt’s hier noch Wanda. 1, 2, 3, 4 es ist so schön bei dir.

Aktuell: