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Mjam-Zusteller*innen wollen bessere Arbeitsbedingungen

Am Höhepunkt der Coronavirus-Krise in Österreich waren Restaurants in Österreich geschlossen, durften aber Essen zustellen. Deshalb waren auch die Liefer-Plattformen im Internet sehr gefragt, die Fahrrad-Zustellerinnen und -Zusteller der größten Plattform Mjam arbeiteten ganz normal weiter. Allerdings war die Arbeit härter als früher - u.a. aufgrund längerer Wartezeiten in den Restaurants, größerer Zustellgebiete und dem Entfall von Trinkgeldern. Wie sieht die Situation für die Mjam-Fahrer*innen heute aus?

Von Christoph „Burstup“ Weiss

Während des Lockdowns habe sich die Zahl der Aufträge und Bestellungen erhöht, sagt der Mjam-Zusteller Stefan. Dadurch habe sich die Situation für die Zusteller aber nicht verbessert: „Wenn ein Restaurant viel zu tun hat, dann kann es sein, dass wir lange Stehzeiten haben. Das heißt, wir stehen vielleicht 15 bis 20 Minuten im Restaurant und warten, bis das Essen zubereitet wird.“

Stefan arbeitet wie 90% der Mjam-Zustellerinnen und Zusteller als freier Dienstnehmer. Pro Zustellung erhält er 3,24 Euro, dazu kommt ein Kilometergeld von 38 Cent. Letzteres wird allerdings pauschal ausgezahlt: Mjam nimmt 2 Kilometer Anfahrtsweg vom Restaurant zum Kunden an, egal wie lange der Weg tatsächlich ist. Und die Fahrt zum Restaurant wird gar nicht miteinbezogen.

Bewertung wie in einem Game

Batch-System 1

mjam

Wer in einem engen Zustellgebiet mit vielen Lokalen und Kunden arbeitet, verdiene mehr als die Fahrer in dünn besiedelten Gebieten, sagt die Arbeitsmarktexpertin Veronika Bohrn-Mena (GPA-djp). Denn wo man Dienst machen darf, hänge von strengen Bewertungen in einem sogenannten Batch-System ab: „Das funktioniert wie ein Computerspiel. Es gibt fünf Leistungsgruppen, also fünf Levels. Je nachdem wie brav und tüchtig man ist, desto höher ist man im Ranking. Und im Ranking ist man dann hoch, wenn man vier von vier Sonntagen arbeitet, in vier Wochen nicht ein einziges Mal zu spät kommt, in den vier Wochen jede angebotene Schicht annimmt und in diesen vier Wochen relativ viel arbeitet. In der ersten Leistungsgruppe, wo man dann auch eine kleine Krone angezeigt kriegt, hat man dann das Glück, dass man sich Dienste selbst aussuchen kann.“

Wer hingegen in einer niedrigen Leistungsgruppe ist, müsse die Schichten nehmen, die übrigbleiben: „Die, wo man am weitesten fahren muss, die geographisch am schlechtesten liegen, wo die wenigsten Bestellungen eingehen und die auch am kürzesten sind.“ Kurze Schichten dauern nur 45 Minuten. In dieser Zeit gehe sich meistens nur eine Lieferung aus.

Arbeitsrechtlich sagt Bohrn-Mena sei das Batch-System „grenzwertig“. Eigentlich müssten sich freie Dienstnehmer aussuchen dürfen, wann, wie lang und wo sie arbeiten. Tatsächlich würden sie bei Mjam durch das Batch-System einer extrem strengen Weisungsgebundenheit unterliegen. „Die Freiheit ist durch den hohen Grad an Kontrolle und durch die Disziplinierungsmaßnahmen eingeschränkt. Denn es ist ja eine Form der Disziplinierung, wenn die Fahrer*innen nur dann gute Routen bekomme, auf denen sie tatsächlich etwas verdienen, wenn sie im Ranking sehr, sehr weit oben sind - ob das dann wirklich noch freie Dienstnehmer*innen sind, bezweifle ich stark.“ Beim Lieferservice Mjam war für FM4 niemand für eine Stellungnahme erreichbar.

Wenig Trinkgeld

Aufgrund des kontaktlosen Lieferung während des Lockdowns, und auch weil die Menschen sparsamer geworden sind, erhalten die Fahrer weniger Trinkgelder als früher - während des Lockdowns seien sie um mehr als fünfzig Prozent eingebrochen, sagt Bohrn-Mena. Als Reaktion hat Mjam für Kund*innen die Möglichkeit eingeführt, online Trinkgeld zu geben. Der Zusteller Stefan weist drauf hin, dass Trinkgelder in vielen Jobs einen wesentlichen Teil des Einkommens ausmachen: „Es ist für mich unverständlich wie jemand, der in einem Penthouse im ersten Bezirk wohnt und um 50 Euro Essen bestellt, oder am Stadtrand im fünften Stock ohne Lift, nicht daran denkt, dass es vielleicht angemessen wäre, zehn Prozent Trinkgeld zu geben. Oder zumindest einen oder zwei Euro. Ich mache das ja auch, wenn ich in einem Restaurant essen gehe.“

Batch-System 3

mjam

Bei der Möglichkeit, online Tringeld zu geben, wünscht sich Stefan, dass dies direkt beim Bezahlvorgang für das Essen möglich sein sollte - bisher müssen die Kund*innen es nämlich nach der Bezahlung für das Essen gesondert überweisen. Außerdem wäre für den Fahrer mehr mehr Transparenz vonnöten - bisher können die Zusteller*innen nicht sehen, ob und wieviel ein Kunde Trinkgeld gegeben hat. Sie müssen also Mjam vertrauen, dass die Online-Trinkgelder korrekt weitergegeben werden. „Für mich als Fahrer soll sichtbar ist, ob mir ein Kunde Trinkgeld gegeben hat. Ich würde mich dann natürlich auch gerne bedanken, wenn das der Fall ist.“

Mehr Übersicht wünscht sich Stefan außerdem beim Kilometergeld: „Es ist wenig transparent, ob die Pauschale wirklich stimmt. Ich habe das Gefühl, dass wir viel mehr fahren.“ Die App der Zusteller*innen würde nur den Weg zwischen Restaurant und Kunden tracken. Die Fahrt und Distanz werden jedoch nicht aufgezeichnet. „Einige Fahrer haben darum nun begonnen, die komplette Schicht mit einer eigenen App zu tracken, um bei zukünftigen Verhandlungen bezüglich Kilometergeld etwas in der Hand zu haben.“

Arbeitsmarktexpertin Veronika Bohrn-Mena sagt, dass während der Zeit des Lockdowns die Zustellgebiete von Mjam vergrößert wurden - mit der Begründung, dass weniger Restaurants geöffnet hätten. Aber nach dem Ende des Lockdowns wurden die Gebiete nicht mehr auf die ursprüngliche Größe verkleinert. Die Zusteller*innen müssen jetzt also noch mehr radeln als früher - und verdienen in der gleichen Zeit weniger.

In einem Unternehmen, bei dem fast alle Mitarbeiter*innen mit dem Fahrrad unterwegs sind und sich niemals in einer gemeinsamen Arbeitsstätte treffen, sei es außerdem schwierig, sich für den Kampf um bessere Arbeitsbedingungen zu organisieren. Immerhin gibt es bei Mjam mittlerweile einen Betriebsrat. Und rund 50 Zusteller*innen haben begonnen, sich in einer Whatsapp-Gruppe zu organisieren.

Die Probleme, mit denen die Mjam-Zusteller*innen zu kämpfen haben, betreffen auch viele andere Menschen, die in prekären Dienstverhältnissen arbeiten. Die neue “Plattform-Ökonomie” bietet oft das schlechteste aus zwei Welten: Die Unfreiheit von Angestellten gepaart mit der Unsicherheit von Freelancern.

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