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Gangs of London Stills aus der Serie

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„Gangs of London“: Der Mainstream brennt

Mit seiner Gangstersaga will der britische Serienschöpfer Gareth Evans die bisherigen Härtegrenzen des Actiongenres überschreiten. Das gelingt ihm locker.

Von Christian Fuchs

Viele werden es gar nicht mehr wissen, aber in den 80er und 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts regierte die Filmzensur mit eiserner Faust. Staatliche Kontrollorgane und selbsternannte Jugendschützer stürzten sich in den USA, in Großbritannien, aber vor allem auch in Deutschland auf Splattermovies, Actionthriller und Horrorfilme. Etliche Produktionen auch bekannter Regisseure wurden zerschnitten oder sogar verboten. Auch aus großen Hollywoodproduktionen entfernte man damals blutige Szenen.

Der Zeitgeist hat sich gedreht, 2020 könnte die Stimmungslage nicht unterschiedlicher sein. Während etwa soziale Netzwerke beim kleinsten Ansatz von Nacktheit strafen, ist inszenierte Härte ein Massen-Phänomen geworden. Vor allem Serien drehen an der Gewaltschraube. „The Walking Dead“ lässt in späteren Staffeln die einst beschlagnahmten Zombiespektakel der 80er harmlos wirken. „Game of Thrones“ schaffte es mit oder trotz endloser Massaker-Szenen zum Welterfolg.

Eine britische Serie will nun aber die Konkurrenz diesbezüglich in den Schatten stellen. „Gangs of London“ ist einerseits eine neue und aufwändig beworbene Serienproduktion des Streaminganbieters SKY. Absoluter Mainstream also. Und andererseits brutaler als viele Underground-Schocker vergangener Dekaden.

Gangs of London Stills aus der Serie

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Multiethnische Verbrecherwelt

Die Gangstersaga wirkt stellenweise tatsächlich, als ob umstrittene Regieprovokateure wie Sam „Kugelhagel“ Peckinpah oder Lucio „Beuschelreißer“ Fulci mitgearbeitet hätten. Diese Herren ruhen aber längst im Filmhimmel. Gareth Evans, der Co-Schöpfer von „Gangs of London“, darf jedoch als ein legitimer Nachfolger bezeichnet werden.

Nach den Martial-Arts-Sensationen „The Raid“ (2011) und „The Raid 2“ (2014) hat es so ausgesehen, als verkörpere der walisische Regisseur die Zukunft des Actionkinos. Irrwitzigere und knochenbrecherische Fightszenen gab es bis dahin im Gegenwartskino nicht. Aber Evans hat sich schwer getan mit den Auflagen in Hollywood - und wollte keine Kompromisse eingehen.

Gangs of London Stills aus der Serie

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Jetzt taucht der Regisseur, nach dem Folkhorror-Zwischenstopp „The Apostle“, hinter den Kulissen von „Gangs of London“ wieder auf. Und überschreitet im Serien-Universum mit seiner speziellen Art der Actionchoreografie gezielt Grenzen. Neben den erwähnten Old-School-Einflüßen, zu denen man auch John Woo und Martin Scorsese zählen darf, ist Evans Ästhetik unübersehbar von Ego-Shooter-Spielen geprägt.

Also eine Triggerwarnung: Wer zerplatzende Köpfe, lädierte Körperteile oder explizite Folterszenen nicht verdaut, wer Hektoliter rote Farbe eher nicht als Pluspunkt empfindet, der oder die dürfte Probleme mit dieser Serie haben. „Gangs of London“ beginnt gleich in der ersten Folge mit der Exekution des alten schwerreichen Gangstermagnaten Finn Wallace (Colm Meaney), dem ein junger Attentäter in den Kopf schießt. Sein Sohn Sean (Joe Cole) schwört Rache und nimmt es mit der ganzen Londoner Unterwelt auf.

Gareth Evans teilt sich zusammen mit europäischen Genreprofis wie Colin Hardy und Xavier Gens die Regie und präsentiert eine multiethnische Verbrecherwelt. Weiße, Schwarze, Asiaten, Albaner und Kurden bekriegen sich in den 9 einstündigen Episoden. Dabei herrscht in der grimmigen Story auch absolute Geschlechtergleichheit. Die vielen toughen Frauenfiguren, darunter „Game of Thrones“-Star Michelle „Red Wedding“ Fairley, wirken in jeder Sekunde selbstverständlich.

Gangs of London Stills aus der Serie

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Actionporn in stylisher Verpackung

Nicht nur punkto Diversity - im Blutrausch sind alle gleich - zeigt Gareth Evans anderen Serien und Filmen, wie es funktioniert. Die zahlreichen virtuosen Kampfszenen und Gemetzel, die sich durch die meisten Episoden ziehen, lassen punkto Innovativität und Kompromisslosigkeit vieles verblassen. „John Wick“ oder „Atomic Blonde“ erinnern an einen Kindergeburtstag dagegen. Nur in einigen besonders übertriebenen Momenten wird die CGI-Unterstützung der Stuntsequenzen unangenehm sichtbar.

Was es neben all dem Actionporn auch gibt: Seitenhiebe auf die korrupte Politik, strenge Blicke (Joe Cole hat nur einen Gesichtsausdruck, aber der ist top), einen charismatischen Undercover-Cop (Sope Dirisu) mit Ansätzen von Moral. Dazu schnittige Kleidung, coole Frisuren, schicke Bärte. Der Schrecken kommt in einer stylischen Verpackung, die auch Guy-Ritchie-Fans gefallen könnte. Dessen Trademark-Humor sucht man aber vergeblich, Sean Finn und seine Bande gehen zum Lachen in den Keller.

Gangs of London Stills aus der Serie

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Fazit: Ein Muss für abgebrühte Actionfans, eine Herausforderung für zarte Gemüter. Wenn „Gangs of London“ Konsensunterhaltung zum Entspannen ist, dann steht der (Serien-)Mainstream lichterloh in Flammen.

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