Überraschung! Das neue Taylor-Swift-Album ist da
Von Susi Ondrušová
Taylor Swift beherrscht die Kunst des album rollouts perfekt. Normalerweise heißt das, dass sie wochen- und monatelang im Voraus schon Botschaften und Hinweise über ihre Kanäle verbreitet, um den Spannungsbogen bis zum Datum X aufzubauen. Aber was ist schon normal. Mit weniger als 24 Stunden Vorlauf hat sie angekündigt, dass ihr achtes Album jetzt fertig ist. In Zusammenarbeit mit einem Produzenten und einem Gastsänger, der den „Swiftians“ nicht ganz so bekannt sein dürfte wie Jack Antonoff oder Brandon Urie. Taylor Swift ist jetzt Teil der Big-Red-Machine-Familie: Aaron Dessner und Justin Vernon sind auf „folklore“ zu hören.
Das Schwarz-Weiß-Foto, das Taylor Swift postet, um ihr Album anzukündigen, transportiert schon die Stimmung perfekt: Sie trägt einen langen Mantel, steht im Wald umgeben von riesigen Bäumen, die Sonne scheint durch, es könnte auch ein Morgentau-Filter über diesem Foto liegen. Das trainierte Auge wird schon vermuten, dass es sich um ein Folk- und Singer/Songwriter-Album handelt. Hört man dann auch noch Bon Iver und Selbstisolation, muss man unweigerlich an „For Emma, Forever Ago“ denken, das Debütalbum von Bon Iver, das Justin Vernon in der Jagdhütte seines Vaters in der Abgeschiedenheit der Wälder Wisconsins aufgenommen hat.
Nach der Zusammenarbeit mit Kanye West („Lost In The World“) ist Bon Iver nun also auch im Swift-Universum angekommen. Im Song „exile“ ist er nicht im Hintergrund zu hören, sondern eröffnet mit seiner tiefen Stimme die erste Strophe. Ein atmosphärisches „hooohoooo“ darf nicht fehlen. „exile“ scheint ein Dialog über Trennung und Abschied zu sein. „You are my crown, now I’m in exile, seein’ you out. I think I’ve seen this film before so I’m leaving out the side door.” Es ist ein sehr berührender Ohrwurm. Für die Zuschreibung “kitschig” ist es zu unaufgeregt. Wie überhaupt das Album leicht und sanft und melancholisch und sehnsüchtig und vor allem unaufgeregt klingt.
Universal Music
„my tears ricochet“ scheint genauso wie “exile” ein Abschiedslied zu sein. Swift fragt: „And if I’m dead to you, why are you at the wake? Cursing my name, wishing I stayed. Look at how my tears ricochet.” Laut Taylor Swift der erste Song, den sie für dieses Album geschrieben hat. Für den dramatischen Feinschliff war sie dann gemeinsam mit Jack Antonoff zuständig. Wer „Miss Americana“, die Netflix-Doku über Taylor Swift gesehen hat, konnte schon einen kleinen Einblick in die Arbeitsweise der Musikerin gewinnen. Taylor Swift ist niemand, der Texte serviert bekommt und ein Audiofile an eine Armee von Producern übergibt mit der Bitte um einen Hit und ein neues Image noch oben drauf. Die künstlerische Kontrolle liegt bei Taylor Swift, zeigt uns die Doku. Songskizzen werden ins Handy eingesungen, es wird allein am Klavier und der Gitarre gearbeitet und dann werden daraus eben Hits.
- Credits von „folklore“
- Laura Snapes im Guardian über “folklore”
Aaron Dessner, der Multiinstrumentalist bei The National, der auch schon an Alben von Sharon Van Etten (Tramp 2012) oder Frightened Rabbit (Painting Of A Panic Attack 2016) produziert hat, schreibt auf Instagram, er sei sich nicht sicher gewesen, dass die kreative Studioarbeit mit der Entfernung zwischen Tennessee und New York so überhaupt funktionieren würde. Taylor Swift hat ihn im April angeschrieben und zum Zusammenarbeiten eingeladen. Nach dem ersten Voice Memo, meint er, „the momentum never really stopped“. 11 der 16 Songs auf „folklore“ sind nun gemeinsam komponiert und von ihm produziert.
Die Guardian-Journalistin Laura Snapes meint über “folklore”: „More than one song evokes the intimate celestial tenderness of Sufjan Stevens circa Carrie and Lowell” und man könnte bei einigen Tracks auch an Bright Eyes oder Lana Del Rey denken. Wer bei Folk eine Mundharmonika oder lap steel guitar hören möchte, sollte sich die Songs “betty“ oder „illicit affairs“ anhören.
Taylor Swift hat die Zeit in Quarantäne mit Selbstreflektion verbracht, manche Songs, so sagt sie, sind über sie selber, andere über erfundene Charaktere. Gleich in zwei Songs wird das F-Wort verwendet. Ganze Diplomarbeiten über den Stammbaum des lyrischen Ichs auf „folklore“ werden auf Twitter in den nächsten Tagen geschrieben werden. So wie auch Theorien entwickelt, dass Taylor Swift das Album so kurzfristig herausgebracht hat, um Kanye West eins auszuwischen. Sein Album „Donda With Child“ hätte schließlich ebenfalls diese Woche veröffentlicht werden sollen. Jede und jeder wird sein Publikum finden.
„folklore“ ist ein Traum und die größte positive Überraschung seit Corona. Es ist übrigens kein Album back to the country roots, sondern nur ein logischer Schritt nach dem auch schon (im Vergleich zu „reputation“) unaufgeregten, aber auf Pop getrimmten Album „Lover“, das Swift letztes Jahr veröffentlicht hat. Das Album, mit dem sie erstmals als Headlinerin am Glastonbury oder Roskilde aufgetreten wäre. Produzent Dessner macht seinen Job auf „folklore“ jedenfalls perfekt und verpasst den gemeinsamen Songs ein sphärisches Soundbett. Manche könnten es auch „experimentell“ nennen, aber oft ist „experimentell“ auch nur ein Synonym für vielschichtig, wenn also mehr als die drei üblichen Instrumente (Stimme, Gitarre, Klavier) verwendet werden. Na, auf alle Fälle: Willkommen im Wald Taytay. Ich hab auf dich gewartet.
Publiziert am 24.07.2020