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Marius Goldhorn

Tanita Olbrich/Suhrkamp

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Marius Goldhorn bringt einen neuen Sound in die deutschsprachige Literatur

Das Romandebüt von Marius Goldhorn erzählt von einem jungen Mann und seinem iPhone. Die Internetprosa klingt wie der Zeitgeist in gewissen Milieus: schnell, digital, voller Selbstzweifel.

Von Felix Diewald

Mit einem Erdbeben anfangen. Und dann langsam steigern. So, sagt zumindest eine alte Hollywood-Regel, sollte man eine packende Story erzählen. Marius Goldhorn macht’s anders. Sein Protagonist Arnold (Mitte zwanzig, introvertiert, ein bissl akward) ist ab Satz 1 dauernd am Handy:

Arnold ging in die Einstellungen. Es war 14.12 Uhr. Er änderte die Farbe seines Desktophintergrunds von Orange zu einer Art Gelbgrün, mit dem er eigentlich nichts verband. Arnold öffnete den Chat mit Odile. Arnold schrieb: ich bin jetzt im zug nach paris.

In „Park“ folgen wir Arnolds Gedankenstrom und seinem privilegierten und geschützen Leben, in dem, man kann es schon erahnen, nicht viel Besonderes passiert. Aber das ist gar nicht schlimm. Auf einer Party lernt er Odile kennen. Ab dieser Stelle finden sich im Text vermehrt E-Mails und Textnachrichten zwischen den beiden. Odile und Arnold haben dann für eine Zeit was miteinander. Dann zieht sie weg nach London. Nach einigen Monaten lädt Odile Arnold halbherzig dazu ein, sie in Athen zu besuchen, wo sie gerade eine Indie-Doku dreht. Obwohl es zwischen den beiden eigentlich schon vorbei ist, fährt Arnold trotzdem hin – nur um zu merken, dass es wirklich over ist.

Sie rasierten sich gegenseitig. Sie würfelten Tofu in die Instantnudelsuppe. Sie unterhielten sich über Bücher. Sie unterhielten sich über Theorie. Manchmal. Sie standen schweigend an der Kasse. Sie duschten zusammen. Sie lagen mit ihren MacBooks nebeneinander, jeder schaute irgendwas.

Nicht die oberflächliche Handlung ist das Besondere an Marius Goldhorns Debütroman. Die Erzählform ist es. Das sind superkurze Sätze, aufs Einfachste hingeschrieben. Immer Subjekt, Prädikat, Objekt. Mehr als Hauptsätze braucht’s oft nicht.

Marius Goldhorn

Tanita Olbrich/Suhrkamp

„Park“ von Marius Goldhorn ist am 15.6.2020 bei Edition Suhrkamp erschienen.

Kann man in einem Schwung lesen

Auch wenn man durch Social Media eine extrem kurze Aufmerksamkeitsspanne hat: Dieses Buch geht sich aus. Die 179 Seiten von „Park“ entwickeln einen Sog, sodass man das Ding auch gleich in einem Schwung fertig hat.

In der Welt des Erzählers Arnold ist alles gleich wichtig. Da blitzt ein kurzer Gedanke auf, im nächsten Moment schon driftet Arnold im Internet ab. Oder er löscht Spam-Mails am iPhone. Und dann kommt wieder irgendeine Beobachtung.

Aufrichtigkeit in der Literatur statt Ironie

Man merkt dem Autor beim Lesen seine Vorbilder an. Vor allem die sogenannte „New Sincerity“-Bewegung (zu Deutsch in etwa „Neue Aufrichtigkeit“ oder „Neue Ernsthaftigkeit“) aus den USA dürfte ihn beeinflusst haben. Autor*innen wie Tao Lin schaffen dabei – zuerst auf Blogs und auf Twitter, mittlerweile bei den großen Verlagen – eine ganz eigene MacBook-Poesie.

Die Vertreter*innen der New Sincerity wenden sich von der Ironie und dem Zynismus ab und schreiben stattdessen schonungslos offen und ohne doppelten Boden über sich selbst - und zwar über alles: Das darf auch ruhig banal und peinlich sein, Hauptsache, es ist ehrlich, persönlich und so intim wie möglich. Themen sind der momentane seelische Zustand, Sexualität, der eigene Körper, das iPhone oder auch der Internet-Suchverlauf. Nichts ist wichtig, nichts ist unwichtig. Alles, und zwar wirklich alles wird dokumentiert. Leben und Literatur vermischen sich.

Neue Art, auf Deutsch zu schreiben

Nicht jeder Roman der neuen New Sincerity ist unbedingt relevant. Aber was diese neue Generation an Autor*innen auf jeden Fall schafft, ist, die Verlorenheit eines gewissen Milieus in der digitalen Welt auszudrücken. Das vermag auch „Park“. Zumal der Roman als einer der ersten deutschsprachigen Romane dieser Gattung hierzulande auch eine neue Art zu schreiben vorstellt. So lakonisch, so heruntergekanzelt und fettfrei wie Goldhorns Dialoge klingen nur wenige.

Marius Goldhorn

Tanita Olbrich/Suhrkamp

Intimes Debüt, das sich was traut

„Park“, man könnte es im ersten Moment vermuten, ist keine Wiederkehr ironischer deutscher Popliteratur. Der Autor schafft es, dass sein Erstlingswerk klingt wie der Zeitgeist in gewissen Milieus: schnell, digital, voller Selbstzweifel. Der Roman erzählt intim von einem Studenten und seinem iPhone und traut sich, der Online-Kommunikation der Liebenden erzählerisch genauso viel Platz einzuräumen wie der im real life. Dabei wird wenig explizit ausgesprochen, vieles einfach stehengelassen. Schön.

„Park“ von Marius Goldhorn ist ein kleiner Debütroman in der deutschsprachigen Literatur. Aber nur auf den ersten Blick. In Wahrheit traut sich das Buch mit seinem neuen Sound nämlich ordentlich was.

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