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Viele Wassermelonen

Aigner Marius, Start Up

Holt die Lebensmittelrettung!

Einzelne Bananen, „abgelaufenes“ Salz, geknickte Verpackungen: Warum die Verschwendung von Lebensmitteln gerade jetzt in der Krise noch weiter wächst, und wie ein engagierter Verein in Wien-Floridsdorf dagegen ankämpft.

Von Claudia Unterweger

„Angeprangert wird immer die böse, böse Wirtschaft dafür, dass ständig jede Ware bereitgestellt wird. Aber schuld ist erfahrungsgemäß hauptsächlich der Kunde“, knallt mir Alexander Mühlhauser gleich einmal eine deutliche Ansage ins Mikrofon. Der Obmann der Lebensmittelrettung Österreich empfängt mich im Verteilerzentrum seines Vereins auf einem Hinterhofparkplatz in Wien-Floridsdorf. „Fünf Minuten vor Ladenschluss wird im Supermarkt noch aufgebacken, weil der Konsument immer alles frisch haben will. Wir müssen umdenken, wenn die Verschwendung aufhören soll.“

Viel Obst und Gemüse

Aigner Marius, Start Up | Claudia Unterweger, Radio FM4

Mitarbeiter Peter führt mich umher zwischen meterhoch aufgestapelten Blätterteig-Paletten und Kisten voller Mangos und Melonen. Viele Ehrenamtliche sortieren hier kiloweise frische Ausschuss- und Retourware. Bis zu 25 Tonnen pro Tag (!) an bedenkenlos essbaren Lebensmitteln bewahrt der Verein so vor dem Landen im Müll, unverkäuflich im regulären Handel, weil das Mindesthaltbarkeitsdatum um einen Tag überschritten ist - wie zum Beispiel Hunderte Packungen Salz oder zu krumm gewachsene Gurken oder weil in den Pfirsich-Kisten einige der Früchte angeschlagen sind.

„Mindestens haltbar bis...“ heißt nicht „tödlich ab...“

Nach Schätzungen gehen eine Million Tonnen Nahrungsmittel pro Jahr in Österreich sinnlos verloren, das ist ein Drittel aller genussfähigen Nahrungsmittel, so der WWF. Tendenz steigend. Alle hängen mit drin - die Haushalte, der Handel, die Landwirtschaft. Durch die Coronavirus-Krise und den Einbruch der Wirtschaft wird nun noch mehr Essen weggeschmissen. Warum? Zum Beispiel weil die schwächelnde Gastronomie ihr Überangebot abstößt, sagt mir Alexander Mühlhauser: „Die Mengen, die wir tagtäglich aus Geschäften, Restaurants und Kantinen in ganz Österreich mit unseren LKWs abholen, hat sich verdoppelt. Wir bekommen jetzt auch Großgebinde dazu: 10-Liter-Kübel Milch, 10-Kilo-Packungen Topfen. Mir bricht das Herz, wenn ich ein verzehrbares Produkt in den Mistkübel schmeißen würde.“

Viel Obst und Gemüse

Aigner Marius, Start Up

Mit Foodsaving begonnen hat der Verein vor sechs Jahren. Per Lastenrad wurde damals die überschüssige Ware von türkischen Bäckern eingesammelt und in ein Souterrainlager zum Verteilen gebracht. Heute ist der Verein zur größten Lebensmittel rettenden Organisation Österreichs angewachsen, man kooperiert mit mehr als 200 Supermarktfilialen und Großhändlern.

Viel Obst und Gemüse, Kund*innen, Mitarbeiter Peter und Alex, Gründer und Obmann des Vereins

Aigner Marius, Start Up | Claudia Unterweger, Radio FM4

Ein Teil der Ausschuss-Ware geht gratis an Sozialmärkte und soziale Einrichtungen wie Obdachlosenheime und Frauenhäuser. Überall dort sei seit der Coronavirus-Krise und der steigenden Arbeitslosigkeit die Nachfrage nach günstigem Essen explodiert, berichtet Waltraud Schuhmeister, sie leitet den Foodpoint-Floridsdorf-Sozialmarkt. „Wir tun damit auch etwas für die nächsten Generationen“. Denn Lebensmittelverschwendung feuert neben der sozialen Ungleichheit auch die Klimakrise und das Artensterben an.

An der Kassa

Radio FM4 | Claudia Unterweger

Von der Ware, die frisch hereinkommt, gibt es täglich aktuelle Fotos auf den Social-Media-Seiten der Lebensmittelrettung. Günstig einkaufen können im Verteilerzentrum in Wien-Floridsdorf alle, der Nachweis sozialer Bedürftigkeit ist nicht notwendig.

Dennoch bleiben jeden Tag Tonnen an frischen Nahrungsmitteln übrig. Die kann jede und jeder bei der Lebensmittelrettung gegen einen Mitgliedsbeitrag - also einen Unkostenbeitrag von einigen Cent pro Kilo - in Wien-Floridsdorf kaufen. Es zahlt sich aus, für den Einkauf ein Auto zu checken, viele Kund_innen packen bei den Schnäppchenpreisen gleich den ganzen Kofferraum voll.

„Wir geben unverkäuflichen Lebensmitteln eine zweite Chance, bei uns wird nichts vergeudet“, strahlt Peter, der kurz vor seiner Pension steht und als neuer Mitarbeiter beim Verein jetzt selbst eine zweite Chance bekommt. „Wir sind Österreichs Brücke zwischen Überschuss und Armut.“

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