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Mann mit vielen Tattoos steht mit ausgebreiteten Armen auf einer Straße

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„The King of Staten Island“: Ernsthafte Humor-Therapie

Der neue Film von Judd Apatow ist eine hinreißende, berührende und stellenweise auch anstrengende One-Man-Show des Comedy-Shootingstars Pete Davidson.

Von Christian Fuchs

Scott ist Mitte 20 und steht ziemlich neben sich. Hinter seiner verblödelten, ganzkörpertätowierten Fassade verbergen sich dunkle Abgründe. Als kleiner Bub hat er seinen Vater, einen Feuerwehrmann, bei einem tödlichen Einsatz verloren. Das Trauma lastet schwer auf dem jungen Mann, der im etwas verschnarchten New Yorker Stadtbezirk Staten Island durch den Alltag schlurft.

Weder seine gestresste Mutter noch die ambitionierte Schwester lässt er an sich heran. Mit der verhuschten Kelsey hat Scott zwar Sex, scheut aber sonstige Nähe. Nur mit seinem Kumpels, einer Gruppe dauerbekiffter junger Männer, fühlt er sich wohl. Wenn sie ihren Keller voller Junkfood, Jointresten und Playstation-Spielen einmal verlassen, hängen die Burschen am Hafen ab.

Scott träumt von einem Beruf als Tätowierer, seine Freunde sind die dazugehörigen Übungsobjekte, bisweilen will er auch schon mal einem vorbeispazierenden Kind ein Häfenpeckerl verpassen. Eines Tages, erklärt „The King of Staten Island“ mit strahlendem Grinsen, möchte er ein Restaurant mit angeschlossenem Tattooshop eröffnen.

Eine Frau und ein Mann sitzen auf einem Sofa und schauen fern

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Comedy gegen die Krise

Eine dysfunktionale Titelfigur, quälende Alltagssituationen und derbe Gags: All das kennt man auch aus anderen Filmen von Judd Apatow. Als Produzent und Regisseur hat der 52-Jährige die amerikanische Komödie seit den Nullerjahren neu definiert. Vor allem auch, weil Apatow sich bewusst als Talente-Förderer und Mentor sieht, der Kolleg*innen die Tür zum Erfolg öffnen möchte. Steve Carrell, Seth Rogen, Lena Dunham, Amy Schumer oder Kumail Nanjiani gehören mehr oder weniger zu seinen Entdeckungen.

Wer sein Midlife-Crisis-Meisterwerk „This is 40“ gesehen hat oder den misanthropisch-lustigen „Funny People“ mit seinem einstigen Jugendfreund Adam Sandler, weiß: Judd Apatows Filme können zwar extrem infantil sein, aber gleichzeitig intelligent, melancholisch und zutiefst humanistisch. Mit Pete Davidson als Scott wird der Tonfall aber nochmal eine Spur tragischer.

Das jüngste Mitglied der „Saturday Nightlife“-Crew hat selber seinen Feuerwehrmann-Vater in den Ruinen von 9/11 verloren. Davidson kämpft ganz öffentlich mit seinen Depressionen, twittert über Selbstmordgedanken, verpackt aber all seine Zusammenbrüche immer in absurde Comedy. Wem all dieses Ausstellen von drastischen Befindlichkeiten nicht ganz geheuer ist, wird in Interviews von Pete Davidson überrumpelt. Der Humor, der Drang, den Schrecken in Pointen zu transformieren, meint der Stand-up-Star, hätte ihm tatsächlich auf therapeutische Weise das Leben gerettet.

Mann führt zwei Kinder an der Hand

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Witzige Momente, einige Längen

Die Grenzen zur Figur Scott verschwimmen jedenfalls ganz bewusst in diesem Film. Man muss den Charakter Pete Davidson schon mögen, mit all seinen Defekten und dem dazugehörigen Nonstop-Verbalfeuerwerk, um diesen Film zu schätzen. „The King of Staten Island“ ist im Grunde eine One-Man-Show, die mitreißend, berührend und stellenweise anstrengend wirkt, voller großartiger witziger Momente und einiger Längen.

Ohne das tolle Ensemble, von dem Davidson umgeben ist, würde der Film aber nicht funktionieren: Marisa Tomei, Maud Apatow und Bill Burr in zentralen Nebenrollen gehören erwähnt.

Während dieser keinesfalls perfekte, aber höchst sehenswerte Film von Judd Apatow in den USA genau in den Lock-down rutschte - und nur online veröffentlicht wurde - ist er jetzt bei uns im Kino zu sehen. Einem schwer verunsicherten Typen zuzuschauen, wie er seine Krisen meistert, tut gut in diesen unsicheren Zeiten. Da verzeiht man „The King of Staten Island“ auch sein harmoniesüchtiges Ende.

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FM4 Film Podcast

Die neue Ausgabe des FM4 Filmpodcast ist ein Comedy Special. Pia Reiser, Christian Fuchs und Jan Hestmann plaudern über „Eurovision Song Contest: Fire Saga“ und „The King Of Staten Island“. Ein Gespräch über den Zustand der neuen amerikanischen Komödie, die Magie von Judd Apatow, Will Ferrells Karrierre und Pete Davidsons Durchbruch. Schenkelklopfer inkludiert.

Der FM4 Film Podcast ist ein Tauchgang in die Tiefen und Untiefen des (FM4) Filmuniversums. Christian Fuchs, Pia Reiser und Jan Hestmann unterhalten sich - manchmal mit Gästen - über aktuelle Filme, Superheldencapes, jump scares und jump cuts. Und über ihre Liebe zur Leinwand. Achtung, hier fließt Herzblut.

Im Radio FM4 Sommerprogramm immer dienstags von 21 bis 22 Uhr.

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