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Was wir aus der Debatte über TikTok lernen können

US-Präsident Donald Trump will TikTok verbieten oder den Verkauf an eine amerikanische Firma erzwingen. Eine App wird zum Spielball der Mächte. Mitleid müssen wir trotzdem nicht haben.

Von Christoph „Burstup“ Weiss

Die US-Behörden befürchten, dass über TikTok die Daten von Millionen Amerikaner*innen an die chinesischen Geheimdienste gelangen könnten. Vielleicht ist das drohende Verbot aber auch die Revanche dafür, dass Tausende junge TikTok-User*innen sich Gratistickets für eine Trump-Wahlveranstaltung besorgt, dann aber nicht eingelöst haben? In der Folge sorgten die Bilder von leeren Tribünen ja für viel Spott.

Ist das drohende Verbot ein Revanchefoul, oder gibt es zu TikTok echte Sicherheitsbedenken?

Die Sicherheitsbedenken sind berechtigt. Erst vor wenigen Monaten wurde bekannt, dass TikTok den Copy-Buffer des Smartphones, also die Zwischenablage aus anderen Apps, alle paar Sekunden kopiert und an ByteDance, die chinesische Betreiberfirma von TikTok, gesendet hat.

Nun muss man wissen, dass in China jedes Unternehmen einen Stellvertreter der Kommunistischen Partei in die Firma integrieren muss. Bei größeren Firmen ist das ein ganzes Parteigremium. Dieses achtet dann darauf, dass über verbotene Themen nicht kommuniziert wird: zum Beispiel über „Tabuthemen“ wie Tibet, die Unabhängigkeit Taiwans, die Unterdrückung der Uiguren in Xinjiang und das Tian’anmen-Massaker.

ByteDance-Hauptquartier in Peking

APA/AFP/GREG BAKER

ByteDance-Hauptquartier in Peking

Der CEO von ByteDance in China ist selbst Mitglied der KPC, und das Unternehmen hat allein im Vorjahr 4.000 zusätzliche Zensor*innen eingestellt, um verbotene Inhalte zu löschen.

Das US-amerikanische Management von ByteDance sagte in einer Stellungnahme zur aktuellen Verbotsdebatte: „Chinesisches Recht berührt uns nicht.“ Sie vertritt also den Standpunkt, dass der amerikanische Ableger der Firma aufgrund ihres Sitzes in den USA nur dem amerikanischen Recht unterliegt und daher keine Daten von US-User*innen herausgeben muss. Das ist jedoch kaum glaubwürdig. Falls Daten von den USA nach China weitergeleitet werden, was zu vermuten ist, dann ist ByteDance aufgrund des Nationalen Sicherheitsgesetzes (vielen wohl aufgrund seiner vor kurzem erfolgten Einführung in Hongkong bekannt) zur Zusammenarbeit mit chinesischen Behörden und Geheimdiensten verpflichtet. Das schließt auch das Überlassen von Daten an die Behörden ein.

Werden TikTok-Videos auch im Westen zensiert?

Die in China übliche Zensur findet in ähnlicher Weise auch in der europäischen und nordamerikanischen Version von TikTok statt. Bekannt ist das unter anderem aufgrund zweier Leaks: Im September des Vorjahres und im heurigen März sickerten interne Vorschriften durch, aus denen ersichtlich ist, wie TikTok-Moderator*innen Inhalte zensieren müssen. Unter anderem steht darin, dass Videos von Usern unterdrückt werden sollen, die „zu hässlich, arm oder behindert“ sind.

Beiträge sollen auch daraufhin untersucht werden, ob im Hintergrund Risse in Wänden oder schäbige Dekoration zu sehen sind. Postings dieser User sollten dann zwar nicht gelöscht, aber schwer auffindbar gemacht werden - ein sogenannter Shadow Ban.

In den Vorschriften steht auch, dass Inhalte mit positivem Bezug zu Homosexualität blockiert werden sollen. „Intime Handlungen“ eines gleichgeschlechtlichen Paares wie Händehalten, Berührungen oder Küsse dürfen nicht gezeigt werden. Es dürfen keine spezifisch homosexuellen Gruppen, Nachrichten, Personen, TV-Sendungen oder Musik erwähnt werden.

Auch politische Themen sind im Westen eher unerwünscht. Mit einem Shadow Ban belegt wurden zuletzt etwa Videos über die Proteste in Hongkong, aber auch mit den Hashtags #blacklivesmatter und #GeorgeFloyd versehene Clips.

ByteDance sagt dazu, TikTok sei ein Ort der Unterhaltung, nicht für politische Inhalte. Den User*innen wird also eine schöne, heile Welt vorgegaukelt, in der es keine Armut, keine von der Norm abweichenden sexuellen Orientierungen, keine Menschen mit Behinderungen und vor allem keinen politischen Protest gibt.

Wird ein Verkauf von TikTok an ein US-Unternehmen die Sicherheit Privatsphäre erhöhen und die Zensur verringern?

Wir wissen, unter anderem durch die Leaks von Edward Snowden, dass westliche Social Media wie Facebook von den Geheimdiensten (und im letzten US-Präsidentschaftswahlkampf auch von Data-Mining-Firmen) angezapft werden. Von einem Verkauf TikToks an einen US-Konzern - derzeit ist Microsoft im Gespräch - würde die Privatsphäre der User*innen im Westen wahrscheinlich wenig profitieren.

Abgeschafft würden aber wohl die absurdesten der Zensurvorschriften wie etwa jene bezüglich von Menschen mit Behinderungen. Die Zensur von für China sensiblen Themen würde vermutlich nur ein wenig gelockert, im Wesentlichen aber weiterbestehen - denn wir leben in einer Zeit der Handelskonflikte mit China, und Microsoft will dort weiterhin seine Produkte verkaufen.

Letztlich zeigt die ganze Angelegenheit also ein Grundproblem der Social-Media- und Technologie-Konzerne dieser Tage: Facebook ist in China verboten. TikTok ist in Indien verboten. Apple passt sich, um nicht verboten zu werden, in verschiedenen Ländern gut an. So liefert Apple etwa freiwillig Daten ans chinesische Regime. Apple hat auch eine App, die bei den Protestierenden in Hongkong beliebt war, auf Drängen der Regierung aus dem Appstore verbannt.

Das Grundproblem sind also die zentral gesteuerten Plattformen unserer Zeit. Wir haben uns daran gewöhnt, unsere Software auf zentralisierten Handelsplattformen zu kaufen anstatt direkt auf der Website des Herstellers oder beim Einkaufsbummel durch die Stadt, und wir bemerken die ständige Zensur, Filterung und Fremdbestimmung durch Algorithmen nur noch in seltenen Ausnahmefällen.

Was wir stattdessen brauchen, sind mehr dezentral organisierte Plattformen und Social Media wie z.B. Mastodon, dazu ein auf Peer-to-peer-Netzwerken basierendes Internet, das weniger leicht manipulier- und zensierbar ist, offene Standards und kryptographische Identifikatoren, die wir von einem (dezentralen) Social Network zum nächsten mitnehmen können. An derlei Dingen arbeiten Visionäre wie z.B. Tim Berners-Lee, einer der Erfinder World Wide Web.

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