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Washed Out

Blair Greene

Fader Eskapismus: Washed Out und sein 4. Album „Purple Noon“

Fader Eskapismus und more of the same: Der Pastell-Softboy Washed Out veröffentlicht, zurück bei Sub Pop, sein viertes Album „Purple Noon“.

Von Katharina Seidler

Musik ist kein Internet Content, auch wenn Spotify-CEO Daniel Ek dies laut einem jüngsten Interview gerne so darstellt. Natürlich brauchen Künstler*innen und Künstler die Klicks und Likes ebenso - sie bräuchten dafür übrigens auch eine faire Entlohnung - aber vor allem ist ihre Kunst ein Mittel, mit der Welt oder auch mit dem eigenen Inneren in Kontakt zu treten, als Abrechnung oder Entgegnung, als Ergänzung oder auch als Weltflucht.

Als letztere will der US-amerikanische Produzent Ernest Greene seine Musik verstanden wissen, er erschafft mit seinem Alter Ego Washed Out seit über zehn Jahren kuschelige Rückzugsorte jenseits der daily news und anderer Unpässlichkeiten. Der Künstlername, wie man weiß, ist Programm; gerne surft Washed Out auf sonnenuntergangsfarbenen Klangspuren aus Synthiepop und DIY-Elektronik, evozierte wehmütige Erinnerungen an Sommer und Sehnsüchte, gefiltert durch den Lauf der Zeit. Strände, Wellen, Limonaden, wattiges Glück in rotblaugrün, abgespielt auf einem flackernden Röhrenfernseher.

Washed Out

Blair Greene / Sub Pop

„Purple Noon“ von Washed Out ist am 7.8.2020 bei Sub Pop erschienen.

Diese Ästhetik hat sich für Greene über den Verlauf von ein paar EPs und bisher drei Alben, deren letztes, „Mister Mellow“, gar eine augenzwinkernde Ebene durch verstolperte Samples einzog, ganz gut bewährt. Während sich Chillwave-Weggefährten wie Toro y Moi und Neon Indian jüngst aus den Lo-Fi-Klangwolken in eine knalligere Bubblegumpop-Gegenwart gebeamt haben, hat Washed Out, nach einem Ausflug zur verspielten HipHop-Labelschmiede Stones Throw wieder in den Schoß der Indie-Labelgiganten Sub Pop zurückgekehrt, sein soeben erschienenes, viertes Album nach Rezept produziert.

Auf dem Cover von „Purple Noon“, so der bildmächtige Titel, steht Ernest Greene an der Kante eines weißgetünchten Feriendomizils, hinter ihm Ozean, Himmel und ein paar verstreute Inseln, getaucht in, was sonst, pastelliges Sonnenuntergangs-Licht. Mehr zufällig als geplant, „weil die Lyrics so gut zu den bereits geschriebenen Melodien passten“ (Washed Out im FM4 Interview), ist „Purple Noon“ eine Art Konzeptalbum über die verschiedenen Stadien von Liebesbeziehungen geworden, vom ersten Flirt bis zum langwierigen Hin und Her vor der Trennung. Greene verarbeitet damit kein aktuelles Trauma, wie er sich beeilt zu betonen, lebt er doch selbst in glücklicher Ehe mit seiner Familie zurückgezogen in Atlanta, Georgia, wo sich sein Leben während der draußen wütenden Pandemie kaum von der Zeit davor unterscheidet. Das Thema, die Erinnerung an diverse Romanzen in den eigenen Zwanzigern, ist ihm also gewissermaßen passiert, und leider muss man sagen, dass auch die dazugehörige Musik eine ähnliche Beiläufigkeit ausstrahlt.

„You’re Always On My Mind
Can’t Wait Another Night
When Are You Coming Home?
I Need To See You Now“
(„Paralyzed“)

Zehn Nummern lang schlendert Washed Out also durch seine romantische Vergangenheit, verklärt dort, überhöht da, doch das Melodrama und die großen Gesten, die Greene im Skype-Gespräch beschwört, wollen sich nicht auf die Zuhörerschaft übertragen. Für den Musiker sind sie ja selbst eher Mittel zum Zweck, sich vor den großen Pop-Balladen der achtziger Jahre zu verbeugen, vor den samtigen Liebesschwüren von Sade oder dem Powerpop von Phil Collins mitsamt seinen bombastischen Drumfills. Es ist gleichzeitig unschuldig wie auch beinahe ärgerlich blauäugig, wenn Ernest Greene sagt, am liebsten sähe er seine Tracks als hochqualitativen Soundtrack zu einem luxuriösen Ferienressort am Mittelmeer.

Auch der Albumtitel „Purple Noon“ beruft sich auf ein diesbezügliches Milieu, nämlich auf die gleichnamige Verfilmung von Patricia Highsmiths „Der talentierte Mr. Ripley“ aus dem Jahr 1960: Lebenslustige Milliardäre, gute Outfits, italienisches Dolce Vita. „Ich fühle mich eh schuldig“, sagt Ernest Greene über die Filmreferenz und deren Bezug zur Soundästhetik seiner Platte im Interview, „ich habe mit diesem Jetset-Milliardärs-Lifestyle, der in der Film vorkommt, ja nichts zu tun. Diese Leute haben keine Ahnung, wie normale Menschen leben.“

Nun ist selbstverständlich kein*e Künstler*in verpflichtet, politische Kunst zu machen, und man soll Washed Out nicht vorwerfen, dass er in einem Scheißjahr wie 2020 ein Album released, das sich völlig von der Welt draußen abkoppelt und in private Lifestylefantasien abtaucht. Der fast schon aufdringliche Eskapismus in Pastellfarben, zelebriert über zehn einander stark ähnelnde Songs mit, leider, auch schülerhaft-romantischen Lyrics, fühlt sich derzeit aber geradezu nichtssagend an.

Dass Greene die körnigen Strukturen des frühen Chillwave mit den Jahren durch meisterhafte Produktion, auch auf „Purple Noon“, glänzend poliert hat, ist keine Hilfe: Herbeigeschriebene Sehnsucht, die nicht einmal den Künstler wirklich umzutreiben scheint. Auch ein paar zärtliche Ausreißer wie das akustisch-träumerische „Game of Chance“ können hier wenig retten.

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