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Billy Nomates

Billy Nomates / Invada Records

Die Kraft von „Nein“

Die britische Musikerin Tor Maries alias Billy Nomates ist der neue Stern am Postpunk-Pop-Himmel der Schule Sleaford Mods. Ihr Debütalbum ist soeben auf dem Label von Geoff Barrow erschienen.

Von Katharina Seidler

Mit Bands wie den Sleaford Mods, Idles oder Fontaines DC schwappt seit einigen Jahren eine Musikwelle aus UK und Irland über den Ärmelkanal, die gute alte Punk und Postpunk Traditionen wiederaufleben lässt. Die Inseln waren ja schon immer das Paradies für dunkelgraue Soundentwürfe mit politischem Anspruch, rund um das Label Speedy Wunderground passiert da aktuell mit Bands wie Squid oder Black Midi ebenfalls sehr viel Gutes, und ein paar dieser Bands haben es auch schon in die Liste für den renommierten Mercury Prize geschafft. Die zeitgenössische Neigungsgruppe kantige Basslines, Sprechgesang und Working Class Ethos ist allerdings, wie man sieht, ein ziemlicher Boys Club, zumindest bist jetzt. (Ausnahme: Die fantastische irische Poetin Sinead O’Brien).

Auftritt: Billy Nomates, geboren in Leicester in Mitte von Großbritannien, heute pendelnd zwischen Bristol und Bournemouth an der Südküste. Erschienen ist ihr Debütalbum „Billy Nomates“ vor wenigen Tagen auf Invada Records, dem Label von Portishead-Institution Geoff Barrow, aber mit Trip Hop hat ihre Musik wenig am Hut. Vielmehr ist Billy Nomates ein breath of fresh air am britischen Postpunk-Pop-Himmel.

Billy Nomates

Billy Nomates / Invada Records

Billy Nomates’ selbstbetiteltes Debütalbum ist am 7.8.2020 bei Invada Records erschienen

Jahrelang hat die heute 30jährige Tor Maries, so ihr richtiger Name, in verschiedenen Bands gespielt und sich mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen. Depressionen, Prekariat, fehlende Perspektiven, all das setzte ihr zu, bis sie die Macht des Wortes „Nein“ entdeckte. Ein Wort als Befreiungsschlag: „Nein“ zu Schlankheitswahn und Selbsthass, zu Nächten, in denen Frauen nicht alleine auf der Straße gehen können und zu Gesprächen, in denen sie nicht zu Wort kommen.

Dennoch ist „No“ keine rein feministische Hymne, es geht einfach um Selbstbestimmung als Menschenrecht. „Ich habe eigentlich erst mit Ende Zwanzig gelernt, wirklich Nein zu sagen, zu Ideen, die mir nicht gefielen, und Dingen, die mir nicht gut taten“, erzählt Tor Maries dazu im Interview. „Mein Leben war zu dem Zeitpunkt, als ich diesen Song schrieb, in vielerlei Hinsicht beschissen, und als ich plötzlich beschloss ‚Nein, so will ich mich nicht mehr fühlen‘ wurde alles besser.“

No is a power, anytime, anyplace.
No I won’t die on your floor
No I’m not righteous anymore
No I don’t fit in your pocket
I won’t shave everything off i’m not twelve

Musikalisch setzt Billy Nomates auf minimalistischen Postpunk und Pop mit klaren Aussagen. Es brauchte schließlich nicht erst eine Pandemie, um die Brüche in der modernen Gesellschaft deutlich zu machen. Ausbeuterische Jobs, die Kluft zwischen Arm und Reich, Rassismus, Sexismus und - im UK des Jahres 2020 - auch noch der Brexit. Jene ältere Generation, der die jungen Brit*innen den Brexit vermutlich zu verdanken haben, kommt in dem Song „Happy Misery“ zu Wort: Ah fuck it I quit the future, Immʼa live in the past, What’s it to ya?

Billy Nomates Songs sind inhaltlich ernst, aber musikalisch alles andere als nur düster. Wo ihre musikalischen Verbündeten im Geiste, die Sleaford Mods, in rotzigen Nihilismus abbiegen, ergänzt Tor Maries ihren Sprechgesang durch funky Hooklines und poppige Melodien. Auch Humor spielt eine wichtige Rolle. In „Hippy Elite“ etwa singt Billy Nomates davon, dass sie sich ja gerne als Umweltaktivistin engagieren würde, aber es bleibt eben keine Zeit dafür, wenn man sich mit schlecht bezahlten Jobs über Wasser halten muss. „Wenn ich nicht bei Wholefoods, sondern bei Aldi einkaufe, dann hat das einen Grund“, erzählt die Künstlerin. „Die Arroganz wohlhabenderer Umweltaktivisten, die darüber die Nase rümpfen, ist einfach nicht angebracht.“

All the things they do I donʼt disagree
Hug a tree for me
If I could only quit my job I’d join the hippy elite

Jason Williamson von den Sleaford Mods schaut in „Supermarket Sweep“ für eine Gaststrophe vorbei, und Geoff Barrow fungiert als behutsamer Co-Produzent. „In Wahrheit hat Geoff aber nicht mehr viel damit gemacht“, sagt Tor Maries. „Die Versuchung war zwar groß, alles von ihm auseinandernehmen und hübsch neu machen zu lassen. Aber ich wollte, dass mein Album seine Herkunft und seine Anliegen auch gut repräsentiert. Darum geht es.“

Billy Nomates is done taking shit from the world, bemerkt der Pressetext zur Platte richtig. Die Kunst, die vom unbedingten Müssen und nicht vom reinen Wollen kommt, wird sich immer durchsetzen, und glücklicherweise hören Tor Maries mehr und mehr Menschen dabei zu.

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