FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Lovecraft Country Atticus & Letitia, Tentakel im Hintergrund

HBO/Sky

„Lovecraft Country“, die neue Serie von Jordan Peele

Ein Road Trip wird zur Road Trap: noch mehr als vor Monstern müssen sich Schwarze Menschen vor der Polizei vorsehen – und vor übermäßig freundlichen Weißen.

Von Jenny Blochberger

Mit „Get Out“ und „Us“ hat Regisseur Jordan Peele Entertainmentkino mit Tiefgang geliefert. Spannend vor allem bei seinem Erstling „Get Out“ war sein Zugang zu Rassismuserfahrungen Schwarzer Menschen in den USA, wo eine liberal-bürgerliche Fassade oft Abgründe maskiert, die noch um einiges schrecklicher sind als plumper, offen ausgelebter Rassismus.

We can’t stop here, this is Monster Country

Lovecraft Country englische & deutsche Ausgabe

Jenny Blochberger/Cover: Hanser Verlag

Hier geht’s zu unserer Besprechung des der Serie zugrundeliegenden Romans von Matt Ruff.

„Lovecraft Country“, von Peele und Co-Creator Misha Green für HBO als Serie nach dem Roman von Matt Ruff gedreht, führt in eine Zeit zurück, als unverhohlener Rassismus noch gesellschaftlich akzeptiert war: In den 50er Jahren galten großteils noch die Jim-Crow-Gesetze, die die Rassentrennung regelten und Schwarze systematisch diskriminierten. Auch dort, wo sich Schwarze Bürger*innen offiziell aufhalten durften, waren sie oft unerwünscht, mit mitunter fatalen Folgen. Reiseführer wie das „Negro Motorist Green Book“ waren unverzichtbar für sicheres Reisen, listeten sie doch auf, in welchen Hotels und Lokalen Schwarze mit gastfreundlicher Aufnahme rechnen konnten und in welcher Stadt sie nach Sonnenuntergang in Lebensgefahr schwebten.

In „Lovecraft Country“ heißt der Reiseführer „The Safe Negro Travel Guide” und wird herausgegeben von George Freeman, einem sympathischen, warmherzigen Verleger, der Science-Fiction- und Pulp-Romane und seine Familie liebt. Gemeinsam mit seinem Neffen Atticus und dessen Kindheitsfreundin Letitia bricht er zu einem Trip in den Süden auf, um seinen verschwundenen Bruder (also Atticus’ Vater) zu suchen und bei dieser Gelegenheit einige Lücken in seinem Guide zu füllen.

Innere und äußere Kämpfe

Der junge Atticus ist die zentrale Figur der Serie: Er ist intelligent und wissbegierig und sowohl von seiner Zeit im Koreakrieg als auch seiner schwierigen Vaterbeziehung traumatisiert. Was Letitias Vergangenheit betrifft, erfahren wir vorerst nur Andeutungen; vordergründig ist die junge Frau lebenslustig und sprüht nur so vor Charme und Witz, ihre Sprunghaftigkeit ist aber auch steter Quell der Enttäuschung für ihre Familie.

Ihre Reise in Georges rot-gelbem Packard, einem Traum von einem Fünfziger-Jahre-Straßenkreuzer, führt sie durch berüchtigte Sundown Towns zum herrschaftlichen Anwesen der Braithwaites, die a) eine Art Geheimloge führen, b) Atticus’ Vater gefangen halten und c) irgend etwas Suspektes mit Atticus vorhaben. Diese Gemengelage setzt mysteriöse Ereignisse in Gang, die sich nach dem verdächtig wohlwollenden Willkommen der drei Reisegefährt*innen durch die Braithwaites überschlagen.

In der Nacht vom 16. auf den 17. August ist die erste Folge von „Lovecraft Country“ in der englischen Originalfassung auf Sky X (in Österreich) und über Sky Q auf Abruf verfügbar. Die Ausstrahlung der zehnteiligen Miniserie erfolgt wöchentlich mit einer Folge. Voraussichtlich im Oktober gibt es „Lovecraft Country“ wahlweise auch auf Deutsch.

Die wahren Ungeheuer

Der Horror ist, wie bei Jordan Peele üblich, keineswegs rein metaphorisch: Ganz reale, vieläugige oder tentakelbewehrte Monster jagen unsere Held*innen durch Wälder und über Abgründe, Geister suchen sie daheim auf, und Illusionen versuchen sie in den Wahnsinn zu treiben. Keiner dieser plakativen Schrecken ist aber vergleichbar mit dem Grauen, das von den Menschen ausgeht. Unvergesslich in ihrer nervenzerfetzenden Spannung ist die wohl langsamste Autoverfolgungsjagd der Filmgeschichte, wenn der Sheriff Georges Auto im Schneckentempo zur Stadtgrenze nachfährt: Bis zum Sonnenuntergang müssen George, Atticus und Letitia die Stadt verlassen haben, sollten sie aber auch nur minimalst die Höchstgeschwindigkeit überschreiten, kassiert sie der Sheriff ein – und der hat wenig Zweifel daran gelassen, dass sie nach Einbruch der Dunkelheit Freiwild für ihn sind.

Lovecraft Country Still: Atticus im Auto

HBO/Sky

Fifties-Ästhetik erfreut das Auge

Optisch ist „Lovecraft Country“ ein farbensattes Freudenfest. So hässlich die menschlichen Abgründe sind, so schön ist die Fotografie, die den vorherrschenden Braun-, Gelb- und Blautönen ein sanftes Glühen entlockt. Die Ausstattung hat großzügig aus dem „Best of Fifties Style“-Katalog bestellt: Unfassbar schick sind Letitias Outfits, wie aus dem Oldtimermuseum gepflückt ist jedes einzelne Auto auf den Straßen, und die Abenteuersequenzen in unterirdischen Tunneln spielen sich wohl in auf Hochglanz restaurierten Teilen von alten Indiana-Jones-Sets ab.

Jonathan Majors hat heuer bereits eine der Performances des Jahres in „The Last Black Man in San Francisco“ abgeliefert. Ähnlich nachdenklich und sensibel legt er auch seinen Atticus an, der allerdings den in den Fünfzigern vorherrschenden Männlichkeitskonventionen stärker unterworfen ist. Jurnee Smollett, optisch eine Mischung aus Kerry Washington und der jungen Geena Davis, hat genau die Star Power, die Hollywood vor Begeisterung ausflippen lässt (zumindest einige Monate lang, bevor man dann den gehässigen Stimmen Raum gibt, die „sie noch nie leiden konnten“, hallo Jennifer Lawrence). Die weißen Schauspieler*innen Abby Lee und Jordan Patrick Smith bleiben zwar, pardon the pun, ein wenig blass; Jamie Neumann hingegen spielt ihre deutlich interessantere Rolle mit Gusto.

Lovecraft Country Still: 3 Menschen im Diner

HBO/Sky

Beiläufige Beobachtungen:

  • Viel zu selten werden in Period Pieces, in denen es um „schwere“ Themen wie Rassismus geht, Schwarzen Figuren verschrobene Charakteristika zugestanden, hier dagegen wimmelt es vor Nerdtum, ob bei der an Astronomie interessierten Hippolyta, deren Comics zeichnender Tochter oder den Science-Fiction-Freaks Atticus und George.
  • Letitia hat einen schönen Beyoncé-Moment – ich sage nur Baseballschläger. Und ein Lacher ist garantiert, wenn sie, auf die Ereignisse der vergangenen Nacht angesprochen, entsetzt nachfragt: „I shot the sheriff?!“
  • Ein feiner Kontrast zum durchgestylten Fifties-Setting ist die anachronistische Musikauswahl mit Songs von Cardi B, Frank Ocean, Nicki Minaj oder Kendrick Lamar.
  • Die Serie wurde zwischen März und Dezember 2019 gedreht, nimmt also keinen direkten Bezug zur aktuellen Black-Lives-Matter-Bewegung. Das Motiv der Polizei als Schwarzen Mitbürger*innen gegenüber feindselige statt beschützende Instanz liegt trotzdem auf der Hand. In einer bedrückenden wie starken Szene erwartet die Schwarze Hausgemeinschaft die von den weißen Nachbarn gerufenen Cops bereits kniend und mit den Händen hinterm Kopf.
  • Intersektionalismus kriegt auch einen Shout-out: „Don’t know what’s more difficult, being colored or being a woman.” (Ruby Dandridge)

mehr TV-Serie:

Aktuell: