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Publikum am Frequency Festival 2019

Franz Reiterer

„Es war keine Marktlücke, es war eine Marktschlucht“

Wir zelebrieren die 20. Ausgabe des Festivals mit Euch im Radio.

Von Susi Ondrušová

Das Festivalgelände, das die österreichischen Open-Air-Konzert-Fans geprägt hat, steht in Wiesen im Burgenland. Zum seit 1976 stattfindenden Jazzfest sind in den 90ern Rock-Festivals wie das Two Days A Week oder das Forestglade dazugekommen.

Sounds of FM4 Frequency Festival

Die 20. Ausgabe vom FM4 Frequency Festival feiern wir mit dir am 20. August on air auf Radio FM4. Von 15 bis 19 Uhr zelebrieren wir „Sounds of FM4 Frequency Festival“ mit euren Highlights und Anekdoten, jeder Menge Interviews, Stimmen von Fans und Livemomenten aus dem FM4-Archiv. Ihr könnt eure schönsten Frequency-Erinnerungen mit uns teilen via Whatsapp unter der Nummer +43 664 8284444.

„Es muss Wiesen ’89 oder ’90 gewesen sein“, antwortet Harry Jenner auf die Frage, wann er sein erstes Festival in Österreich besucht hat. Das Festivalgelände in Wiesen war mit einer Hauptbühne und 8.000 Besucher*innen recht überschaubar und gemütlich. Verglichen mit zum Beispiel Rock in Riem, dem Vorläufer von Rock im Park, das in den 90ern am alten Flughafen in München Riem stattfand. Mehrtägige Festivals für mehrere Zehntausend Besucher*innen, „genreübergreifend und mit Camping und Parken“, das war in Österreich neu.

2004 erst sollte Ewald Tatar, der damalige Geschäftsführer der Wiesen Festivals, die erste Ausgabe vom Aerodrome Festival in Wiener Neustadt für 65.000 Besucher*innen pro Tag veranstalten, im gleichen Jahr war das Szene Openair in Lustenau mit seiner damals 15-jährigen Geschichte mit 12.000 Besucher*innen erstmals ausverkauft.

Harry Jenner hat als DJ, Club- und Konzertveranstalter in der Eventbranche begonnen und ist 2001 ins „kalte Wasser“ gesprungen, um in der Arena Wien die allererste Ausgabe vom Frequency Festival aus dem Boden zu stampfen. „Kein Camping, kein Parken, keine großen Essensstandln drumherum und das ganze Feeling war einfach nicht das, was ich wollte.“ An zwei Tagen kamen 6.000 Besucher*innen in die Arena. Das Wetter, so erinnert er sich, war schlecht. Gespielt haben unter anderem Blumfeld, Stereo Total, 2Raumwohnung, Seeed. Was Jenner damals gelernt hat: Eine neue Location muss her. Aus der Idee, ein aufgelassenes Militärflughafengelände in den Nachbarländern Tschechien oder Polen zu bespielen, wurde nichts. Nach den ersten Gesprächen mit den Verantwortlichen vom Salzburgring riet man ihm vom Festival ab. „Das wird nie funktionieren, da kommt keiner! Und ich hab’s trotzdem durchgezogen!“

Auf die Frage, was man braucht, um ein erfolgreicher Veranstalter zu sein, meint Jenner: „Ein bisschen verrückt muss man schon sein. Man braucht Durchsetzungsvermögen und man darf nicht alles glauben, was einem Leute erklären, warum, was, wie, wann, wo so ist. Man muss es selbst machen, man muss dran glauben und dann einfach durchbeißen.“

FM4 ist von der allerersten Ausgabe des Frequency Festivals als Medienpartner an Bord. Anhand vom Festival kann man sehr gut auch die letzten 20 Jahre Popmusik beobachten: das Aufkommen der großen Indie Bands in den Nullerjahren, den Siegeszug von EDM und HipHop in den 10er Jahren. Früher sagte man Alternative, früher verkaufte sich Alternative auch, heute sagt man Pop und sieht die Genregrenzen verschwimmen. Das ist das FM4 Frequency Festival. Bei der ersten Ausgabe am Salzburgring kommen 10.000 Besucher*innen, um Sonic Youth, Tocotronic, Die Ärzte, Sportfreunde Stiller u.a. zu sehen. Im Jahr darauf titelt der Falter „Schluss mit beschaulich“, denn neben Travis, Blumfeld, Placebo und Beck sind Metallica als Headliner gebucht. Statt dem für das Salzburger Stadion angesetzten Gig, kann Jenner die Band nämlich fürs Frequency verpflichten. Mit viermal so vielen Besucher*innen wie zur ersten Festivalausgabe ist das Frequency erstmals ausverkauft.

Die ersten Jahre laufen alles andere als reibungslos ab. 2003, schätzt Harry Jenner, waren neben den 40.000 verkauften Tickets bis zu 15.000 Gäste ohne Bändchen auf dem Campingplatz und mit teils gefälschten Tickets/Bändern oder über den Zaun kletternd auf dem Kerngelände. Es war eng. Neben der Hauptbühne gab es am Gelände auch die zweite, kleinere Bühne, das „Alternative Tent“, das beim Auftritt von Seeed sehr überfüllt war. Hätte es zu der Zeit Social Media gegeben, wäre das ein handfester Shitstorm geworden. „Das ist auch noch was, das man sich überlegen muss, wie man die Besucherströme besser lenkt, wenn plötzlich 30-40.000 Leute zu einer Band gehen wollen“, sagt Harry Jenner in einem FM4 Interview vor 17 Jahren.

Ein Jahr später dann der Unfall mit einer kollabierten Brücke und 31 Verletzten. Die englischsprachige Wiki-Seite zum Festival hört interessanterweise 2007 auf: mit der Anekdote vom unglücklichen Nine-Inch-Nails-Auftritt. Damals war Trent Reznor als Co-Headliner gebucht und ist zwischen den Beatsteaks und den Ärzten aufgetreten. Von der Bühne blickt er in gelangweilte Gesichter, Menschen, die teilweise mit dem Rücken zur Bühne gekehrt telefonieren. Trent Reznor: „What are you guys here for anyways? Nine Inch Nails? Ok I’ll give you the benefit of a doubt. I assume somebody put something in your Wiener Schnitzel!“ Die wütenden Worte „Wiener Schnitzel“ klingen akustisch so, also ob Trent Reznor zeitgleich spucken, schreien und kotzen möchte. Am nächsten Tag beschreibt er den Auftritt als den schlimmsten der ganzen Tour.

FM4 Access All Areas Podcast

Radio FM4

FM4 Access All Areas

Im Festivalpodcast stehen jene Menschen im Zentrum, die die Festivalkultur in diesem Land geprägt haben. In Episode 2 zum Beispiel erzählen Booker davon, wie man ein Line-up-Programm zusammenstellt, in Episode 5 spricht Harry Jenner über die Geschichte des Frequency Festivals.

Jedem Frequency-Erlebnis, das sich auf der Minus-Liste im Kollektivgedächtnis eingebrannt hat, kann man auch mit positiven Erinnerungen auf der Plus-Liste entgegnen: das 15 Uhr-Nachmittagskonzert von Mumford&Sons 2010 und eine fulminante Co-Headliner Show 2017. Das erste Mal Alt-J sehen, bevor sie durch die Decke gingen. Ein sich auf und ab bewegender Menschenteppich bei Marteria. Das erste Konzert von Yung Hurn oder Billie Eilish. Ein Festivalgelände, das sich in den letzten Jahren nicht nur optisch, sondern auch im Gastro-Angebot verbessert hat und sicherheitstechnisch wenig mit den ersten Festivalausgaben gemeinsam hat.

Wer zu Beginn des Festivals am Salzburgring war, wird sich sehr wahrscheinlich an Dauerregen und Schlammrutschen am Campingplatz erinnern. 2009 hat man sich vom Salzburger Schnürlregen verabschiedet. Jenner zählt die Vergnügungssteuer mit zu den Gründen für den Umzug auf das neue VAZ-Gelände in St. Pölten. Hier hat man sich eine neue Spielwiese geschaffen, um den Besucher*innen ein „All-inclusive-Gesamterlebnis“ anzubieten. „Die Generation ist einfach anders und hat andere Bedürfnisse, andere Ansprüche, die wollen entertaint werden, wollen Action haben, wollen nicht nur den ganzen Tag im Zelt herumgammeln - wobei, die gibt’s natürlich nach wie vor auch noch - denen muss man etwas bieten.“

Camping an der Traisen, Glamping für Leute, die kein Camping mögen. Neben den zwei Open-Air-Bühnen noch das VAZ-Gelände mit einem Bühnenareal, das als „Nightpark“ bis zum Sonnenaufgang bespielt wird. Unterhaltung auf jedem Schritt und Tritt. Festival ist ein Ort der Freiheit: für ein oder vier Tage den Alltag hinter sich lassen. Man kann sich an diesem Freiheitsort holen, was man möchte. Auch wenn man eigentlich nicht weiß, was man genau möchte. Das kann eine Liveband sein, muss aber nicht. Man kann sich auch nur der Dynamik der großen Menschentrauben hingeben: hier bei dieser Attraktion stehen bleiben oder dort bei einer neuen Gruppe von Menschen andocken und mitziehen oder mitgezogen werden. „Free Hugs“, Riesenrad, Bungeejumping, Supermarkt, Foodcourt, diverse Comfort Lounges, Disco-Stationen und ein Galactic Fortress - Festival ist und hat A L L E S. Das kann auch ein Gefühl der Überforderung auslösen. Die Kolleg*innen vom The Gap haben hier vor fünf Jahren schon eine Art Best-Of-Frequency-Verriss von den beiden Standard-Kollegen Schachinger und Fluch zusammengestellt.

2016 war das Jahr des Umbruchs für das Frequency Festival: Um 18 Uhr, während die Foals auf der Hauptbühne spielen, finden sich „zwei, drei Tausend Menschen“ vor der Bühne. Am nächsten Tag beim Co-Headliner Massive Attack (damals mit Young Fathers auf Tour) schienen alle Festivalgäste in Begleitung eines imaginären Babyelefantens: „Das Publikum hat ein Machtwort gesprochen und wir müssen uns nach dem Publikum richten, weil sonst kann man die Hütte zusperren. Wenn nur mehr 2.000 Leute überhaupt kommen, brauch ich kein Festival! Ich weiß, dass viele bis heute es nicht verstehen und viele bis heute dem alten Line-up-Mix nachweinen. Ich kann aber auch sagen, dass viele davon einfach nicht mehr kommen. Sie jammern zwar, aber kommen tuns eh nimmer“, sagt Jenner über das Festivaljahr 2016.

Dazu kommt, dass 2016 und 2017 das Wiesen-Gelände mit neuen Boutique-Festivalformaten der Konzert-Agentur Arcadia Live bespielt wurde. Angesprochen auf das spanische Primavera Festival, das gerne als Gegenpol zu österreichischen Großfestivals genommen wird und das letztes Jahr unter dem Titel „The New Normal“ ein Line-up mit einer selbstauferlegten 50/50-Quote female/male-Acts präsentiert hat, meint Harry Jenner: „Wenn ich das Primavera Line-up in Österreich spiele, kommen nicht mal ein Drittel der Leute, und das werde ich nie beweisen können, weil das ist ein wirtschaftlicher Ruin.“

Mit 220.000 Besucher*innen an vier Tagen war das FM4 Frequency Festival letztes Jahr sold out. 2020 wollte man die 20. Festivalausgabe feiern, das Line-up konnte man für nächstes Jahr mitnehmen: Bilderbuch werden zum fünften Mal auf dem Festival auftreten. 2010 haben sie auf der Hauptbühne eröffnet, 2012 parallel zu The Cure auf der Weekender Bühne gespielt, 2016 waren sie Co-Headliner vor Deichkind, 2017 dann endlich Headliner.

Annenmaykantereit, Yung Hurn, Raf Camora, Mabel, Elderbrook und Kummer werden nach St. Pölten kommen genauso wie Martin Garrix, Marshmello oder Timmy Trumpet. Auch das ist Festival: serviert bekommen, was die Masse anzieht und sich das holen, was einem gefällt. „Jeder Generation ihr Frequency Festival“ schreibt Kollegin Lisa Schneider über den Line-up-Mix 2018 zum Beispiel. Laut Harry Jenner ist das Durchschnittsalter der Besucher*innen 22, einige schnuppern hier erstmals Festivalluft und kommen vielleicht irgendwann selber auf Ideen. So wie Harry Jenner in Wiesen oder Donington oder Riem - damals vor über 20 Jahren. Es ist ihm genau das geglückt, was er sich 2000 zu erträumen versucht hat, „etwas Genreübergreifendes, etwas Größeres, mit Camping und Parken“.

Im Coronavirus-Jahr der Sonderzustände und Ausnahmeregelungen hängt die große schwarze Wolke über uns als Livemusik-Fans: An manchen Tagen denkt man sehnsuchtsvoll an die eine Sekunde Stille, wenn der letzte Ton vom Song angeschlagen ist und bevor das Publikum in kollektive Euphorie ausbricht und die schönste Festivalapplaus-Geräuschkulisse erklingt. An manchen Tagen denkt man an eine Zukunft, die kommen wird mit einem neuen Normalzustand. An den meisten Tagen erinnert man sich, an die schönsten Begegnungen mit Menschen und Songs. An diesen sozialen und manchmal auch hygienischen Ausnahmezustand, wenn man ein Wochenende lang auf einem Festivalgelände wohnt.

Sounds of FM4 Frequency Festival

Die 20. Ausgabe vom FM4 Frequency Festival feiern wir mit dir am 20. August on air auf Radio FM4. Von 15 bis 19 Uhr zelebrieren wir „Sounds of FM4 Frequency Festival“ mit euren Highlights und Anekdoten, jeder Menge Interviews, Stimmen von Fans und Livemomenten aus dem FM4-Archiv. Ihr könnt eure schönsten Frequency-Erinnerungen mit uns teilen via Whatsapp unter der Nummer +43 664 8284444.

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