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CC0 via Pixabay

Interview

Der Wolf provoziert viele gesellschaftspolitische Fragen

Der Wolf ist zurück in Österreich und sorgt für Schlagzeilen. Aber ist die Aufregung um das Raubtier gerechtfertigt? Das beantwortet uns der Wolfsexperte Klaus Hackländer.

Der Biologe und Autor Klaus Hackländer hat das Buch „Er ist da. Der Wolf kehrt zurück“ geschrieben, indem es um die lange gemeinsame Geschichte von Mensch und Wolf geht. Claudia Unterweger hat ihm einige Fragen gestellt, die sich nach der Lektüre dieses Buches ergeben.

FM4 Interview mit Klaus Hackländer, Wolfsforscher

Claudia Unterweger: Der Wolf ist ein Raubtier, gilt zugleich aber auch als scheues Wesen, scheut dann aber wiederum auch nicht die Gegenden, die dicht besiedelt sind; kann sogar Autobahnen überwinden. Müssen wir uns fürchten „vor dem bösen Wolf“?

Klaus Hackländer: Fürchten ist nicht notwendig. Aber wir müssen uns auf jeden Fall Gedanken darüber machen, wie die Koexistenz also das Zusammenleben zwischen diesem großen Beutegreifer und dem Menschen in unserer großen Kulturlandschaft funktionieren kann. Wir sind ja keine Wildnis, sondern wir haben Land- und Forstwirtschaft. Wir haben Nutztiere auf unseren Almen, wir haben Biolandwirtschaft, wo die Tiere draußen unterwegs sein dürfen. Und das ist natürlich etwas, was mit Wolf dann nicht mehr so gut funktioniert. Da muss man sich überlegen, was wir jetzt ändern müssen, damit das in Zukunft noch in Einklang zu bringen ist. Und das wird für uns eine Herausforderung sein.

Wie gefährlich ist eigentlich der Wolf für uns Menschen?

Übergriffe auf Menschen sind in Europa an der Hand abzuzählen. Das ist relativ selten. Liegt aber auch daran, dass die Bedingungen, wann es zu einem Angriff kommt, ganz speziell sein müssen. Zum Beispiel, dass der Wolf die Tollwut hat. Das ist eine Krankheit, die wir zum Glück in Österreich nicht mehr haben. Oder dass jemand über eine Wölfin mit ihren Jungtieren stolpert und sie sich dadurch in die Enge gedrängt fühlt. Aber das passiert natürlich auch nicht so oft. Wir haben aktuell in Österreich drei Rudel, also drei Familien, wo es Jungtiere gibt. Und die liegen nicht unbedingt vor den Toren Wiens, sondern die sind weiter weg, im Norden Niederösterreichs, wo man nicht so häufig unterwegs ist. Und wenn der Wolf an den Menschen gewöhnt wäre, dann wäre es auch gefährlich: Wenn man einen jungen Wolf anfüttert und ihm zeigt, der Mensch ist mit Nahrung verbunden, er kriegt dort was zu fressen, dann kann es gefährlich werden, wenn man mal nichts hat und dann könnte der Wolf natürlich entsprechend vielleicht mal reinzwicken in die Wade oder was auch immer. Das passiert aber ganz selten.

Wenn wir jetzt in die Länder schauen, in denen Wölfe nie ausgerottet waren, da funktioniert dieses Zusammenspiel zwischen Mensch und Tier ja auch sehr gut.

Wo wäre das?

Zum Beispiel in den Karpaten, in den sieben Ländern entlang des Karpatenbogens, von der Slowakei bis nach Rumänien. Oder es wäre zum Beispiel auch in Spanien, in Galizien, gibt es auch eine kleine Wolfspopulation. Und natürlich dann vom Osten weiter nach Sibirien, da gibt es natürlich sehr viele Wölfe. Und dort ist es so, dass die Menschen und die Wölfe sich arrangiert haben. Aber da gibt es auch die sogenannte „Entnahme“, also das Töten – legal oder auch illegal. Das heißt, da weiß der Wolf, dass der Mensch gefährlich ist und nähert sich ihm nicht. Das ist natürlich auch eine Geschichte, die wir uns auch in Österreich überlegen müssen, wenn dieser Rechtsstatus auch bei uns so ist, dass der Wolf streng geschützt bleibt, müssen wir irgendwann auch, wenn das Populationswachstum weiter so zunimmt, dafür sorgen, dass es Eingriffsmöglichkeiten gibt.

Wie viele Wölfe gibt es denn derzeit in Österreich?

Das ist schwierig zu sagen, weil es kein umfassendes Monitoring gibt. Wenn Risse da sind, also wenn zum Beispiel ein Schaf von einem Wolf getötet wird, dann meldet das der Bauer, wenn er dafür einen Ersatz haben möchte. Dann wird nachgeschaut, ob es ein Wolf war. So sammelt man peu à peu kleine Indizien, wie viele Wölfe tatsächlich da sind. Ich gehe davon aus, dass wir zwischen vierzig und fünfzig Wölfe haben, die momentan in Österreich unterwegs sind. Diese Zahl ergibt sich aus den drei Rudeln, die wir aktuell haben. Das sind also die Elterntiere und deren Jungtiere. Und dann ganz viele Einzelgänger, die von benachbarten Populationen zu uns gekommen sind und versuchen, hier ein Territorium zu finden, ein Rudel zu gründen, einen Paarungspartner zu finden. Das sind halt vor allem Jungtiere, die noch lernfähig sind. Die merken: Da vorne gibt es Schafe, da stört sich keiner daran, wenn ich eines reiße; Schafe sind jetzt meine Lieblingsspeise. Da muss man entsprechend Maßnahmen im Herdeschutz setzen, dass diese Schafe auch unbehelligt bleiben können.

Jetzt ist es so, dass sich die Stimmen etwa aus der Tiroler Landespolitik mehren, die eine Freigabe zum Abschuss fordern. Bauern sagen, einerseits haben sie Schäden, ihr Vieh wird gerissen, andererseits haben sie auch Angst: Im Großarltal sagen Bauern, sie fürchten sich, ihre Kinder allein zur Schule zu schicken. Können Sie diesen Ruf nach Abschuss nachvollziehen?

Dieser Ruf nach Abschuss gilt ja vor allem für die sogenannten „Problemwölfe“. Für Wölfe, die sich so verhalten, wie wir uns das wünschen, die also nur sich von Wildtieren ernähren, fallen ja nicht auf. Aber wenn ein Wolf feststellt, dass er eben sich auch sehr gut ernähren kann von den ungeschützten Nutztieren, Schafen oder Rindern, dann kommt es zu diesen Konflikten. Und wir haben halt sehr viele von diesen Schafen und Rindern auf unseren Almen. Und die sind ungeschützt. Der Mensch konnte sich das leisten die letzten 150 Jahre, weil es nicht notwendig war, sie zu schützen.

Jetzt kommt der Wolf zurück und der Mensch muss wieder Dinge anwenden, die wir aus früheren Zeiten kennen: mit Ziegen-Peter und solchen Dingen.

Die Nachbarländer haben das alles noch: Herdenschutzhunde, Hirten und Schäfer und Hütehunde. Das sind alles Maßnahmen, die man setzen kann. Und wir haben neue technische Möglichkeiten wie den Elektrozaun. All das ist mit Aufwand verbunden: Mit Kosten, aber auch mit Personalaufwand. Natürlich ist dann die erste Reaktion, dass man das nicht möchte als Betroffener, außer man bekommt die entsprechende Unterstützung und das ist natürlich etwas, was in den letzten Jahren verschlafen wurde.<<

Also müsste die Politik da mehr Geld in die Hand nehmen?

Auf jeden Fall. Und natürlich auch die Infrastrukturen schaffen. Wenn ich sage, „Kauf dir doch erst mal einen Herdenschutzhund“, dann muss ich erst mal einen haben. Die muss ich züchten, entsprechend ausbilden. Hätte man gut vorgeplant, hätte man das in den letzten Jahren machen können. Wir haben 2012 schon im Rahmen von Grundlagen und Empfehlungen für ein Wolfsmanagement in Österreich darauf hingewiesen, dass wir diese Infrastruktur brauchen. Wir haben keine ausgebildeten Hunde, aber wir haben auch keine ausgebildeten Schäfer im Alpenraum. Deswegen ist es wichtig, dass man hier schnellstmöglich Abhilfe schafft und dafür sorgt, dass Ressourcen zur Verfügung stehen. Das ist nicht nur Geld, sondern vor allen Dingen auch Beratung. Das heißt, der Landwirt steht vor dem Problem: Er hat seine Schafe auf der Alm und jetzt kommt der Wolf. Die Frage ist, was macht er. Er hat ja keine Erfahrung damit. Es braucht einen Berater, der zu ihm hingeht und ihm vorschlägt: Schau her, bei dir würde ich vorschlagen, machst du die und die Maßnahme, das Land unterstützt dich mit so und so viel Prozent, das sind die Anträge, ich helf dir beim Ausfüllen. Solche Strukturen müssen wir schaffen, damit die Bauern nicht allein gelassen sind mit diesem Konflikt.

Man sagt, an die 17.000 Wölfe leben in ganz Europa, nach verschiedenen Schätzungen. Warum sind eigentlich die Wölfe erst wieder in den letzten Jahren in Österreich unterwegs?

Das war ein ganz schleichender Prozess, der begonnen hat mit dem Fall des Eisernen Vorhangs. Die meisten Wölfe waren östlich dieses Vorhangs, in den weiten Ebenen des osteuropäischen Raums, und von dort konnten die Wölfe wieder nach Westen einwandern, nachdem der Eiserne Vorhang gefallen ist. Also wir haben einen Prozess seit den 90er Jahren und dementsprechend haben wir in den 2000ern die ersten Wölfe auch in Deutschland gehabt, die da reproduziert haben. 2012 hat es in Österreich angefangen, dass wir jährlich Wolfsnachweise hatten und 2016 dann die erste Reproduktion.

Es gibt zwar auch eine kleine Population in Italien, die sich von dort aus entlang des Alpenbogens nach Frankreich und weiter in die Schweiz ausgebreitet hat, aber der wirkliche Boost, dass wirklich viele Wölfe kamen, der kam aus dem Osten, also aus Polen, den Karpaten und auch aus dem Balkan.

Der Fall des Eisernen Vorhangs war 1989. Sie haben es gerade beschrieben: Die Entwicklung, dass der Wolf zurückkehrt nach Österreich, dauert jetzt schon eine ganze Weile an. Die österreichische Politik hat da einiges verschlafen. Geschätzt 40 bis 50 Wölfe sind derzeit unterwegs in Österreich, sagen Sie, laut Prognose der BOKU Wien könnten es aber bald 500 Wölfe sein. Wie wird das die österreichischen Almen verändern?

Die Almen sind sowieso in Österreich schon ziemlich am Tropf. Wir haben ein sehr starkes Betriebesterben. Die Almbauern geben auf, weil es im Prinzip kein Geschäft mehr ist. Es lohnt sich nicht mehr. Wenn Almbauern das heutzutage machen, dann häufig aus Liebhaberei und aus Tradition. Weil man die Almfläche hat und weil das der Papa und die Oma usw. schon gemacht haben. Aber es überlebt im Prinzip nur durch Förderungen von der Europäischen Union. Wenn ich jetzt zusätzlich noch einen weiteren Faktor ins Spiel bringen, nämlich den Wolf, bringt das oft eben das Fass zum Überlaufen und die Leute sagen, dann treibe ich meine Tiere nicht mehr auf. Das passiert mittlerweile in Österreich auch schon.

Man kann also den Wolf nicht dafür verantwortlich machen, dass die Almbauern ihre Almen jetzt aufgeben. Aber er ist ein Faktor mehr.

Noch dazu ein sehr Angsteinflößender, so in der Mythologie…

Genau. Das ist wirklich ein Faktor, den man nicht im Griff hat, weil man weiß nicht wann er kommt, woher er kommt, was er tut. Es kann auch sein, dass er auf die Alm geht und die Schafe nicht frisst, sondern die Rehe oder die Geiß von der Gams. Entsprechend ist es ein Thema, das im Alpenraum sehr viele Sorgen bereitet, weil diese Herdenschutzmaßnahmen, von denen ich gesprochen habe, selbst, wenn ich alle Strukturen hätte – Herdenschutzhunde, Schäfer usw. –, ist ja auch die Frage: Kann ich das dann überhaupt einsetzen, weil die Alpen zum Teil sehr schroffe Strukturen haben; sehr steile Hänge haben, wo die Schafe und die Ziegen zwar schön hinaufgehen können, aber wo es schwierig ist, als Mensch hinterherzukommen oder Elektrozäune aufzustellen. Das heißt, es wird sicherlich Gebiete geben, gerade im Zentralalpenraum, wo wir viele dieser technischen Möglichkeiten gar nicht einsetzen können. Da ist die Frage, was machen wir. Sagen wir, okay, dann hat der Wolf dort einfach gewonnen und wir ziehen uns zurück. Was für den Konsumenten, der gern Biomilch und Biofleisch zu sich nimmt, bedeutet: Landen dann die Tiere alle wieder im Stall? Man kann sich aber auch fragen: Brauchen wir überhaupt so viele Nutztiere auf unseren Almen? Also es kommen sehr viele gesellschaftspolitische Fragen auf, die der Wolf mit seiner Ankunft hier in Österreich provoziert.

Ich höre da raus: Es könnte auch die Biolebensmittelindustrie oder das Biolebensmittelangebot sich dadurch verringern.

Auf jeden Fall. Bio lebt ja davon, dass die Tiere eine gewisse Zeit im Jahr im Freien Auslauf haben, auf Weideflächen. Wenn ich die Weideflächen nicht mehr zur Verfügung habe, heißt das einfach, weniger Tiere. Weil ich kann nicht die wenigen Tiere, die übrig bleiben, auf die Fläche treiben, die dann noch am Ende übrig bleibt, sondern die brauchen ja eine gewisse Futterqualität, Futtermenge und auch soziale Aspekte sind zu berücksichtigen. Hier sehe ich dann ein geringeres Angebot an Fläche und eine Reduzierung der Tiere, die auf den Almen stehen werden.

Also die Tatsache, dass der Wolf wieder zurück ist in Österreich, hat ganz weitreichende Auswirkungen. Eine letzte Frage noch: Was mache ich konkret, wenn ich beim Wandern einem Wolf begegne?

Also zuerst mal sich freuen. Weil das ist schließlich immer noch ein besonderes Ereignis. Der Wolf lässt ja keinen kalt. Und selbst, wenn man Angst hat, ist es sicherlich etwas, was man nicht alle Tage sieht. Momentan. Das wird sich sicher noch ändern in Zukunft. Auf jeden Fall ist wichtig, Distanz zu halten. Der Wolf ist kein Kuscheltier und kein zukünftiger Hund, sondern es ist ein Wildtier. Hier muss man wirklich aufpassen, dass man Distanz hält. Die Experten raten so einhundert Meter Distanz zu halten. Also wenn man einen Wolf sieht: Nicht hingehen! Oder irgendwie das Wurstsemmerl hinschmeißen. Sondern wirklich Distanz halten. Wenn der Wolf keine Scheu hat und auf mich zugeht, muss ich ihm zeigen, dass das nicht gut für ihn enden wird. Das heißt, ich muss mich groß machen. Ich muss mich bewaffnen, auch zum Beispiel mit Steinen oder mit Stöcken, die am Wegesrand liegen. Ich muss schreien, muss laut sein. Und dann hoffen, dass der Wolf so reagiert, wie man sich das im Lehrbuch so schön ausdenkt. Wichtig ist auf jeden Fall, dass man seine Kinder nicht in Wolfsgebieten abseits des Weges herumstreunern lässt und auch die Hunde, falls man sie dabei hat, an die kurze Leine nimmt, so dass sie wirklich am Weg bleiben. Wenn der Wolf im Territorium die menschlichen Nutzungsmuster kennt, wird er diesen Weg auch meiden. Und man stolpert nicht zum Beispiel über eine Wölfin, die gerade Junge hat, und provoziert damit einen Konflikt, das heißt eine gefährliche Situation. Das heißt: Erstmal freuen, dann Distanz halten und dann eventuell in der nächsten Eskalationsstufe sich entsprechend wehrhaft zeigen. Dann sollte das alles gutgehen.

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