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Junge Menschen demonstrieren in Bulgarien

APA/AFP/NIKOLAY DOYCHINOV

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Wenn gemeinsamer Protest Gegensätze überwindet

Zwei Freunde von mir aus Sofia sind absolute Gegensätze, Nasko sehr extroviertiert, Anton introvertiert. Proteste gegen ihre Regierung führen sie zusammen, wie Menschen in den USA, Weißrussland oder Hongkong auch.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Zwei Freunde von mir aus Sofia sind absolute Gegensätze. Nasko ist der vitalste und am meisten extrovertierte Mensch, den ihr euch vorstellen könnt. Er fährt sein Skateboard durch die Stadt mit dem gleichen Stolz, mit der andere ihren Porsche fahren. Und er würde nie das Skateboard gegen einen Porsche tauschen.

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Seine andere Leidenschaft ist, Mädels nachzulaufen, die anfangs absolut außer Reichweite stehen. Wenn er so eine Frau trifft, wird er so ambitioniert, als ob er sich vorbereitet, einen 8000er zu besteigen. Und immer wieder hat er mit diesen 8000ern Erfolg.

Der andere ist Anton. Anton ist komplett introvertiert. Er schreibt Gedichte, die oft von den Bewegungen einer Fliege handeln, die er morgens im Kaffeehaus beobachtet, oder von den Nüssen, die er in den Exkrementen des Nilpferds im Zoo bemerkt hatte. Er schreibt sie, liest sie und lauscht ihnen meistens alleine.

Auf einmal haben sich diese beiden Gegensätze vereint. Sie protestieren gemeinsam. Seit mehr als einem Monat sind sie täglich auf der Straße und schreien gegen die bulgarische Regierung. Sie wollen, dass die Regierung und der Generalstaatsanwalt zurücktreten. Sie sind sich sicher, dass die Gerichte in Bulgarien der Mafia dienen, die alle Andersdenkenden beseitigen mag. Meine Freunde sind sich sicher, dass diese Mafia das Land regiert. Sie zeichnen händisch sarkastische Plakate, auf denen die Machthabenden als Karikaturen dargestellt werden. Die Plätze in Sofia sind voll von solchen Plakaten. Das ähnelt uralten Kampfrituale, in denen der Feind erniedrigt wird.

Ich frage Nasko wer für ihn die Mafia symbolisiert. Er antwortet: „Alle, die an der Macht sind!“ Ich frage ihn, ob er glaubt, dass die nächsten, die an die Macht kommen, nichts mehr mit der Mafia zu tun haben. Nasko ist beleidigt, weil er glaubt, dass ich seine reinen Ansichten in Frage stelle. „Wenn man nicht an Veränderung glaubt, kann man einfach nicht vorwärts gehen!“

Ich versuche ihm zu sagen, dass Politik kein Besteigen von 8000ern ist. Nach der Freude, dass man den Gipfel bestiegen hat, muss man wieder runter. Anton will auch nichts davon hören. „Entweder sie, oder wir!“ , meint er.

Würde er sich selber mit Politik beschäftigen, nachdem die jetzigen Machthabenden weg sind, frage ich ihn. Jetzt ist er auch beleidigt und schaut mich an, als ob ich Gift in seinen Tee geschüttet hätte. „Politik ist ein dreckiger Job!“, meint er. Wie können dann die Politiker rein bleiben? „Rein ist mein Glaube an das Gute!“, sagt Nasko.

Nasko ist ein ehrlicher Mensch und ich will seine guten Ansichten nicht in Frage stellen. Anton droht mir, dass, wenn ich nicht mit dem Zweifel aufhöre, er mich zum Helden eines seiner Gedichten machen wird. Da ich nicht gemeinsam mit der Nilpferdkacke erwähnt werden will, bleibe ich still.

Nasko und Anton wollen Schluss mit den Kompromissen der vorheringen Generation machen. Auf der ganzen Welt von den USA über Weißrussland bis Hongkong glaubt man an Veränderung. Und jeder hat das Recht zu glauben.

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