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APA/dpa/Patrick Seeger

Zur Sprache finden: Wir müssen über Gewalt gegen Frauen sprechen

Gewalt gegen Frauen ist auch in Österreich entsetzlicher Alltag. Die Aktion „Verharmlosungsradar“ des Vereins „Aufstehn“ will jetzt Bewusstsein schaffen und verharmlosende Berichterstattung anprangern. Eine zwiespältige Initiative.

Von Maria Motter

Der südafrikanische Präsident ruft jetzt Frauen dazu auf, über die Gewalt, die ihnen Männer antun, zu sprechen. Die Aktivistin Josina Machel spricht in der CNN-Sendung der Journalistin Christiane Amanpour davon, dass Frauen in Südafrika jeden Morgen aufwachen und sich wie Soldatinnen fühlen. „Wir wissen nie, wie viele von uns vergewaltigt, geschlagen und ermordet werden.“

Schauplatzwechsel: In der Türkei hat die Ermordung einer Studentin diesen Sommer heftige Proteste ausgelöst.

Schauplatzwechsel: In Australien ist häusliche Gewalt inzwischen ein nationales Thema, ein dreifacher Familienvater hatte im Februar seine Frau und seine Kinder in das Familienauto gesperrt, das Auto angezündet und sich selbst danach erstochen. Als Tageszeitungen die Tat als „erweiterten Suizid“ bezeichneten, hat sich die Sprachlosigkeit über die grauenhaften Morde in Empörung - auch über die mediale Behandlung der Opfer - gelöst.

Schauplatzwechsel: In keinem anderen europäischen Land war der Anteil weiblicher Opfer bei Tötungsdelikten 2019 höher als in Österreich. Eine Vergewaltigung in der Ehe oder Lebensgemeinschaft ist in Österreich seit 1989 strafbar, in Deutschland trat ein entsprechendes Gesetz erst 1997 in Kraft.

Die Frauenhelpline gegen Gewalt ist österreichweit unter der Telefonnummer 0800 222 555 anonym und kostenfrei erreichbar. Rund um die Uhr bietet die Frauenhelpline Hilfe und Unterstützung – und das in mehreren Sprachen.

Egal, in welches Land der Welt man blickt, bei der Gewalt gegen Frauen kann die Gesellschaft nicht mehr wegschauen. Die Vereinten Nationen haben seit ein paar Jahren ein eigenes Büro und eine Sonderbeauftragte, denn sexualisierte Gewalt gegen Frau ist auch ein Kriegsmittel. Welche Formen indes häusliche Gewalt hat, beschreibt die Journalistin Jess Hill in ihrem erschütternden, doch großartigen Buch „See What You Made Me Do“, das darlegt, dass häusliche Gewalt sehr oft über Jahre erst psychischer Missbrauch ist, und Jess Hil eröffnet auch konkrete Handlungsmöglichkeiten.

Die Aktion „Verharmlosungsradar“ will Bewusstsein schaffen

So sehr all diesen Zahlen entsetzen, das Bewusstsein über Gewalt gegen Frauen ist ausbaufähig. Plakativ gestaltet es sich leider noch immer vielfach medial. Nachrichten prägen. Darum hat der Verein „Aufstehn“ kürzlich eine Initiative gestartet, die sich „Verharmlosungsradar“ nennt. Auch den Hashtag gibt es. Gesammelt werden Medienartikel, „die unsensibel und beschönigend über sexualisierte Gewalt und Frauenmorde berichten“. Diese verharmlosende und beschönigende Berichterstattung wird dann angeprangert, indem sie in Auszügen - etwa die Überschriften - erneut geteilt werden.

Dass diese Initiative eine zwiespältige Angelegenheit ist, erklärt die Kommunikationswissenschafterin Brigitte Geiger. Sie befasst sich seit vielen Jahren mit dem Riesenthema Gewalt gegen Frauen und hat für die EU und die Stadt Wien Richtlinien für verantwortungsbewusste Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen erstellt.

„Mit diesem Mittel arbeiten ja mehrere Kampagnen: Dieses Video ‚Männerwelten‘ von Pro7, diese Ausstellung, arbeitet auch sehr stark mit der Reproduktion der verbalen Übergriffe. Oder dieser Hashtag unhatewomen" des Hamburger Vereins Terre des Femmes gegen sexistische und Gewalt verherrlichende Rap-Texte“, sagt die Kommunikationswissenschafterlin Brigitte Geiger. Werden Berichte über Gewalttaten wiederholt, ist immer die Gefahr gegeben, dass damit Machtverhältnisse weiter bestärkt werden. „Das sind Versuche, das Thema sichtbar zu machen, wo man sich genau anschauen muss, in welche Richtung sie stärker wirken: Richtung Reproduktion oder Bewusstmachung und Sichtbarmachung.“

Philine Dressler von „Aufstehn“ sagt, die Hinweise auf verharmlosende Berichterstattung erfolgen nur in Schnipseln und man versuche, die Links zu den Artikeln nicht weiter zu teilen, um nicht weitere Klicks auf die Webseiten mit den Artikeln zu erzeugen. „Wir haben einige Rückmeldungen von Betroffenen bekommen. Sie wünschen sich, dass nicht über ihre Köpfe diskutiert wird. Deswegen haben wir am Ende der Seite zu Leitfäden und Tipps zur Berichterstattung verlinkt, die man sich gern durchlesen kann.“

Ohne Ambivalenzen können wir in unseren Medienumwelten auch schwer agieren, stellt Brigitte Geiger fest. „Also wir knüpfen immer an an bestehende Repräsentationsmuster. Sie haben eben diese Ambivalenz in der Frage, wie berichte ich über Gewalt, über sexualisierte Gewalt. Wenn sie das wiederholen oder darüber berichten auch über Gewalttaten, dann ist immer die Gefahr auch dabei, dass das dahinterliegende Geschehen und das Machtverhältnis reproduziert wird in der Darstellung. Für diese Gefahr muss man sensibel sein.“

Jess Hill schreibt: „Eine Frau in einer Gewaltbeziehung braucht im Durchschnitt sieben Anläufe, um sich aus der Beziehung zu lösen. Opferschutzverbände wissen: Ein Kind, das sexuell missbraucht wird, muss sich im Durchschnitt sechs Erwachsenen anvertrauen, ehe ihm geglaubt wird.“

Wer spricht?

Entschließen sich Menschen dazu, bewusst etwa Drohungen, die über soziale Medien verbreitet werden, nicht zu wiederholen, bleiben das Problem und die Gewalt ein Stück weit auch unsichtbar. „Das heißt, ein Stück weit müssen wir die Sachen auch wiederholen, um sie sichtbar zu machen und damit zu sensibilisieren und Bewusstsein zu schaffen. Dann kommt es eben darauf an: Wie schaffe ich es diese reine Reproduktion zu durchbrechen? Sei es durch Erläuterungen, durch auch künstlerische Interventionen, durch Verfremdung, durch wem gebe ich die Stimme? Ist es nur die Täterperspektive oder kommen die Betroffenen auch zu Wort?“, sagt die Universitätslektorin Brigitte Geiger.

Sie hat sich Medienberichte schon vor über einem Jahrzehnt genau angesehen. Ihre Empfehlungen lauteten schon damals: Respektvoller Umgang mit den Betroffenen, sich bewusst zu machen, dass es ein komplexes Problem ist, Hintergründe darlegen und es als soziales und strukturelles Problem thematisieren und nicht exzessiv den Fokus auf individuelles Leiden, die Sensation – Voyeurismus vermeiden.

Da Journalist*innen die Personalisierung und die konkreten Geschichten wollen, ist bei Interviews zentral, dass eine Vertrauensperson dabei sein kann und das Gegenlesen sein muss. Und dass Journalist*innen zu fragen aufhören, wenn die Situation für die Interviewten zu belastend wird.

Geschlechterkonstruktionen begünstigen Gewaltbeziehungen

Zentral ist, stärker Handlungsmöglichkeiten zu betonen. Frauen, Betroffene nicht nur als Opfer darzustellen, sondern schon auch zur Sprache zu bringen, welche Strategien sie haben, gerade bei länger andauernden Gewaltbeziehungen. „Also da wäre auch zum Beispiel die Täterarbeit zu nennen und stärker über Männlichkeitskonstruktionen, aber auch über Weiblichkeitskonstruktionen zu berichten, die doch bei aller Modernisierung so ein Grundmuster haben, das eben genau auch diese Gewaltbeziehungen begünstigt“, sagt Geiger.

Eine Informationsstelle gegen Gewalt

Und auch das soziale Umfeld kann aktiv werden. „Woran erkenne ich Gewalt, was kann ich tun, wo kann sich auch das Umfeld hinwenden? Weil oft einmal Schweigen ja auch damit motiviert wird, dass man nicht weiß, was ich jetzt tun soll. ‚Nur weil ich jetzt Schreie in der Nachbarwohnung höre‘, was mach ich jetzt?’ Man muss nicht allein agieren, sondern kann sich auf professionelle Unterstützung organisieren.“

Die Autonomen Frauenhäuser haben eine Informationsstelle gegen Gewalt eingerichtet.

Dennoch halten sich die Schlagzeilen von „Familientragödien“ und „Eifersucht“ in den Nachrichten. Mit dem verharmlosenden Begriff „Familientragödie“ verhält es sich wie mit dem Wort „Familiendrama“: „Damit wird weder klar, was ist jetzt die konkrete Tat – Mord oder versuchter Mord; es ist nicht klar, wer ist der Täter oder wer ist das Opfer oder wer sind die Opfer; Und dieses Drama und Tragödie impliziert Unvermeidlichkeit. Das ist so die griechische Tragödie, die einfach abläuft“, so Brigitte Geiger.

Und auch der Verweis auf Eifersucht als Tatmotiv ist irreführend.

„Zum einen ist das meistens ja so quasi eine simple Übernahme der Rechtfertigung der Perspektive des Täters, die oft dann auch über die Polizei kommuniziert wird. Da muss man fragen: Was für ein Liebesbegriff ist das? Dass man so ein Stück weit eifersüchtig ist, in gewissen Situationen, das können alle nachvollziehen, aber das führt im Regelfall ja nicht zu Mord. Da geht’s schon darum, dass es eine Eifersucht ist, die eindeutig Besitz- und Kontrollansprüche hat, die den anderen nicht als Person respektiert. Das betrifft jetzt vor allem die konkrete Chronikberichterstattung. Weil da ist die erste Informationsquelle sind die Informationen, die die Polizei gibt.“

Auf Nachfrage beim Innenministerium heißt es, dass es einen grundsätzlichen Medienerlass gibt, der die Öffentlichkeitsarbeit der Landespolizeidirektionen regelt und zentralisiert. Speziell bei Gewaltdelikten werde höchste Priorität auf den Opferschutz, den Schutz der Identität und der persönlichen Integrität der Betroffenen gelegt.

Doch gibt es eine Regelung, ob und inwieweit Aussagen des Täters über ein mögliches Tatmotiv an die Presse weitergegeben werden in den Pressemitteilungen? „Grundsätzlich gilt es hier den Einzelfall (bspw. berechtigtes öffentliches Interesse) abzuwiegen, an oberster Stelle stehen auch hier die Wahrung der persönlichen Integrität und der Opferschutz“, so die Antwort des Innenministeriums.

Keine „Sex“-Delikt

„Wichtig ist, sexuelle Gewalt sexualisierte Gewalt zu nennen und nicht dieses Kürzel Sex-Affäre, Sextäter zu verwenden. Weil Sex doch eher diese Sexualität betont, die halt auch mit Lust verbunden ist. Und genau diese Vermischung von Sexualität und Gewalt ist eines der Probleme in den Debatten um sexualisierte Gewalt und Übergriffe gegenüber Frauen, aber auch gegenüber Männern“, erklärt Brigitte Geiger.

Es geht darum, Taten auch möglichst konkret zu benennen, da bei allgemeinen Berichten vieles unter den Begriff „Übergriffe“ fällt. Also für einen Fall zu sagen, was es ganz konkret ist: Ist es eine Vergewaltigung, ist es eine verbale und sexuelle Belästigung und Beleidigung oder sind es unerwünschte Über- Berührungen oder Blicke, die die andere ausziehen oder das Vorführen von Filmen oder das Schicken von Pornobildern.

Der Begriff „Femizid“

Gewalt gegen Frauen ist keine Privatsache. Und noch weniger ist sie Frauensache. Manche Feministinnen plädieren für die Verwendung des Worts „Femizid“, um klar zu machen, dass eine Frau aufgrund ihrer Zuordnung zum weiblichen Geschlicht getötet worden ist.

Kommunikationswissenschafterin Brigitte Geiger verweist auch hier auf die Ambivalenz der Wortschöpfung. „Der Begriff ist klar und anklagend. Und klar ist auch der Kontext: Das ist ein Mord, den wir verankern im hierarchischen Geschlechterverhältnis und in der Abwertung von Frauen. Gleichzeitig ist der Begriff auch ein Stück weit undifferenziert und die Frage ist, ob er in jeder Situation angemessen ist; wie weit das Wort Femizid nicht doch auch Komplexitäten, Verschränkungen von Machtverhältnissen auch, doch auch die Veränderungen von Geschlechterzuschreibungen von auch männlichen Opfern, weiblichen Tätern und weiteren Differenzierungen, auch ein Stück weit verschleiert.“

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