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Lisa Eckhart

APA/HANS PUNZ

Lisa Eckhart: „Nichts von dem, was ich auf der Bühne sage, ist spontan“

Lisa Eckhart ist eine Kunstfigur der österreichischen Kabarettistin und Poetry-Slammerin Lisa Lasselsberger. Wir haben mit ihr über Entschuldigungen, philosophische Theorien und die Macht der Kunst gesprochen.

Lisa Eckhart im Interview mit Thomas Edlinger in einer minimal bereinigten Transkription des Radiointerviews. Das ganze Interview gibt’s ab sofort im FM4 Interviewpodcast.

Thomas Edlinger: Auf der Bühne inszenieren Sie sich ja als souveräne Diva in so einem Retro-Glamour Stil und spielen mit Formen und mit Sprachen. Das Ganze wird in einer für mich teilweise enervierend blasierten Form dargeboten. Was will dieses Spiel eigentlich - außer gespielt werden?

Lisa Eckhart: Es will vor allem gesehen werden. Ich selbst, das ist auch ein Privileg des Ruhms, muss nicht die Intentionen meines eigenen Werks interpretieren. Da kann ich mich entspannt zurücklehnen und sehen, was die Menschen draus machen. Das ist nicht mit einer vorgefertigten Botschaft oder Haltung konzipiert. Das wäre dann ja wenig Kunst, weil wenig Spielraum für Ambivalenzen und Uneindeutigkeiten übrig blieben.

Was damit auf jeden Fall eingezogen wird, ist eine Art Distanz oder Fremdheit gegenüber dem Publikum. Im Gegensatz zu vielen anderen Kabarettisten und Kabarettistinnen, die vor allem Nähe und Empathie herstellen wollen, zum Beispiel auch über den Einsatz von Dialekt, Jovialität und Leutseligkeit. Ist das auch eine Art Absage an die Form des Kabaretts, obwohl das Ganze ja unter Kabarett firmiert?

Es ist eine Absage an die grassierende Vorstellung von Kunst als Alltagserfahrung, von etwas, was ich gern, immer diesen Beuys’schen Kreativkommunismus nenne, dass das, was ich auf der Bühne mache, dass das jedem gegeben wäre. Die Kunst, die da dargestellt wird, ist arrogant, abgehoben, elitär, aber nicht in der Rezeption. Im Idealfall ist es etwas für alle. Wo sich auch alle solidarisieren können. Im Notfall gegen mich. Aber keine Verbrüderung mit einem Kulturpublikum gegen einen unkultivierten Rest. Das, meine ich, passiert bei manchen Kollegen, die sich zwar im ersten Moment nahbar geben, aber letztlich dann doch auf einen sehr bestimmten Kreis von Publikum abzielen. Und das möchte ich nicht. Es soll etwas sein für alle. Da halte ich es mit Josef dem Zweiten: „Alles für das Volk, nichts durch das Volk“. Das schreibt sich mein Kabarett auf die Fahnen.

„Alles für das Volk, nichts durch das Volk. Das schreibt sich mein Kabarett auf die Fahnen.“

Ich muss jetzt nochmal auf das viel diskutierte Zitat 2018 im WDR zurückkommen. Im Rahmen der #MeToo-Debatte haben Sie mit Bezug auf den jüdischen Hintergrund von Harvey Weinstein, Roman Polanski und Woody Allen gesagt: „Denen geht’s wirklich nicht ums Geld, geht es um die Weiber und deshalb brauchen sie das Geld.“ Der deutsche Antisemitismus-Beauftragte Felix Klein nannte das geschmacklos und kritikwürdig. Was entgegnen Sie ihm und anderen Kritiker*innen, die solche Textpassagen als antisemitisch einstufen?

Dem muss ich gar nichts entgegnen. Da gibt es genug Antisemitismusforscher wie Götz Aly, der das eine dummdeutsche Hexenjagd nannte. Es gibt genug Menschen und nicht Stimmen des Volkes oder meine ergebenen Fans, die dem vollends widersprochen haben. Das war bei weitem nicht einhellig, und ich fand das schon eigentlich eher antisemitisch, dass da manche versucht haben, der gesamten jüdischen Gemeinde so eine Humorlosigkeit zu unterstellen, dass jeder einzelne das geschmacklos gefunden hätte, weil sehr viele auch erkannt haben: ich habe ja in dieser Nummer Antisemitismus vorgeworfen. Und dass das dann eigentlich in einer perversen Volte gedreht wurde, das haben sehr viele schon entdeckt.

Haben Sie sich eigentlich jemals für eine als beleidigend empfundene Äußerung entschuldigt oder eine bereut?

Nein, weil meinen Texten sehr viele Bedenken und Überlegungen vorangehen. Ich sage ja nichts im Affekt. Nichts von dem, was ich auf der Bühne sage, ist spontan. Ergo entgleitet mir auch nichts, wofür ich mich im Nachhinein entschuldigen müsste. Das sind ja keine privaten Äußerungen oder Fauxpas, die mir unterlaufen. Die müssen vorher eine Vielzahl von kleinen inneren und äußeren Zensurstellen passieren. Und wenn sie das getan haben, gibt’s im Nachhinein keinen Grund, sich zu entschuldigen.

In Ihrem Debütroman „Omama“ geht es unter anderem um „den Russ“, der noch nicht einmal Fahrrad fahren kann. Andererseits fallen aber auch viele Wuchteln, wie zum Beispiel über die im Krieg abgemagerten Dorfnachbarn: „Das Volk braucht Raum, besonders um die Hüfte“. Wer spricht da eigentlich? Bzw. wer spricht in Ihrem Kabarettprogramm?

Diese Frage kommt so oft. Foucault hat es ja gesagt: „Wen kümmert’s, wer spricht?“ Mich kümmert das auch nicht. Es ist wahrscheinlich ein Chor an Stimmen, dem man keine feste Identität zuweisen kann, außer vielleicht noch die der Sprache. Die Sprache spricht. Mehr nicht.

Sie haben ja in Paris Germanistik und Slawistik studiert. Paris war der Ausgangsort einer bestimmten philosophischen Strömung, die vor allem auf Differenz Wert gelegt hat, auf die Reflexion und teilweise auch Subversion dessen, was man Sinnproduktion nennen könnte. Nun gibt es eine Art Diskursverschiebung, und die Sprecherposition an sich ist aufgewertet. Es geht also in einem erhöhten Maße darum, wer aus welcher Position aus wen repräsentiert bzw. über wen spricht mit welcher Legitimation. Stichwort Privilegien und so weiter. Wie sehen Sie diese Diskursverschiebung?

Problematisch. Ich meine, es ist ein Rückschritt hinter all diese genannten Theorien. Die muss man nicht zur Gänze annehmen, aber sie haben uns schon ein bisschen vom Thron gestoßen. Zu Recht hat das große Cogito ein wenig Demut beigebracht bekommen gegenüber der Sprache. Das finde ich schon sehr sinnvoll. Und jetzt einzelne Sprecherpositionen wieder hierarchisch zu ordnen, das ist politisch schwierig und in der Kunst fatal. Dass Kunstwerke jetzt nicht mehr nach ihrer ästhetischen Beschaffenheit, ihrem qualitativen Wert gemessen werden, sondern nach der moralischen oder eher identitären Beschaffenheit des Künstlers. Das wird uns sicher nicht zu besserer Kunst verhelfen.

Ist das nicht eine kunstreligiöse Haltung, die da vertreten wird?

Ja, ich erachte das aber bislang noch als den besten Religionsersatz, den wir haben. Ich bin auch nicht froh, dass wir überhaupt einen Ersatz finden müssen. Ich habe mir erst viel vom Atheismus erhofft, und all meine Hoffnungen wurden enttäuscht. Und jetzt, wenn man in dieser transzendentalen Obdachlosigkeit herumschwirrt, halte ich die Kunst für eine neue große Instanz. Ich war immer für eine Ethik im Sinne der Ästhetik, dass die dort enthalten wäre. Für mich ist das ein sehr valides Methadon für Gott.

„Ich halte Kunst für den besten Religionsersatz, den wir haben.“

Im Roman „Omama“ gibt es ein paar Passagen, in denen Sie als Autorin heraustreten und den Leser direkt adressieren. Ich sage bewusst den Leser, weil Sie adressieren nur den Leser. Sie nennen sich selbst auch stellvertretend für Ihre Position „der Schriftsteller“. Wieso beharren Sie in solchen Passagen fast schon verhaltensauffällig auf das generische Maskulinum?

Mir scheint gar nicht so, dass ich so sehr darauf beharre. Ich bezeichne mich auch manchmal als Schriftstellerin. Das ist je nachdem, wie es die Metrik des Satzes gebietet. Also für mich geht die Ästhetik, also die Metrik, immer über Geschlecht und Identität. Dem muss ich einfach alles unterordnen. Wenn da eine weitere Hebung oder Senkung fehl am Platz ist, dann kommt sie da auch nicht hin. Völlig egal, als was ich mich persönlich sehen würde.

Sie haben selber Foucault erwähnt. Das ist alles schon ein bisschen länger her. Gehen wir vielleicht noch einmal zurück in die 90er Jahre. Da gab es einen legendären Late Night Show Host in Deutschland, der hieß Harald Schmidt. Harald Schmidt galt als ambivalenter Meister des Zynismus, wo man nicht genau dahinter sehen konnte, welche Position er eigentlich einnimmt. Schon damals wurde seine Haltung zum Erzählen von Polen-Witzen sehr ambivalent diskutiert. Waren Harald Schmidt und seine Haltung zu Medienauftreten und im Speziellen sein Einsatz von Zynismus für Sie prägend?

Dafür bin ich tatsächlich zu jung. Also Harald Schmidt habe ich dann erst im Nachhinein gesehen, und das in YouTube-Ausschnitten, die schon die Betitelung hatten „politisch inkorrekteste Stellen“. Ich habe Harald Schmidt aufgrund meines Alters nie in seiner zeitlichen Natürlichkeit erlebt. Jetzt wird es abgeklopft, im Nachhinein, mit dem Bewusstsein der heutigen Zeit, und dann wird da retrospektiv etwas analysiert. Als es damals lief, und zwar auch im Fernsehen, was eine gewisse Flüchtigkeit bedeutet hat, man musste zu dem Zeitpunkt vor dem Fernseher sein, man hatte nicht das Mediathekarchiv, wo man im Nachhinein noch sezieren konnte und einzelne Passagen herausschneiden, war das etwas völlig anderes als das, wie die Leute das heute wahrnehmen. Insofern ist es schwer für mich zu sagen, wie das damals empfunden wurde. Und es hat mich deswegen auch nicht geprägt, weil es einfach vor meiner Zeit war.

„Für mich geht die Ästhetik, also die Metrik, immer über Geschlecht und Identität.“

Ich hab jetzt gerade in einem neu erschienenen Buch über Christoph Schlingensief ein Interview mit ihm gelesen. Darin sagt er, Zynismus sei so etwas wie der Ausdruck von Desinteresse an allem. Ist das richtig?

Ich habe auch Zynismus immer eher für eine psychische Krankheit gehalten, die leider viel zu sehr akzeptiert wird, weil sie einen gewissen Unterhaltungswert an den Tag legt. Aber ich würde mich selbst nie als Zyniker sehen. Ich meine auch nicht, dass Harald Schmidt einer war. Das hatte immer etwas sehr Liebevolles, und ich merke auch bei mir letztlich - man muss es ja unterdrücken, um nicht wahnsinnig zu werden - aber schon einen gewissen missionarischen Eifer, was die Kunst betrifft. Und der Zyniker hat für mich etwas Resignatives, dem ich nicht nacheifere.

Dann vielleicht vor die Wahl gestellt, eher Jonathan Meese als Zyniker? Der meint ja auch, man sollte sich in den Staub werfen vor der Kunst.

Ja, die Diktatur der Kunst. Da muss man weniger Meese beglückwünschen als seine Mutter, weil ich glaube, das sind ganz bestimmte Brutverhältnisse, die so jemanden hervorgebracht haben. Eine Gesellschaft würde sicherlich nicht funktionieren, wenn wir alle wie Jonathan Meese wären. Aber Nietzsche sagt ja, man kann nicht wirklich auf einen großen Menschheitsfortschritt hoffen, sondern nur auf einzelne Lichter, die aufblitzen. Und Jonathan Meese ist sicher ein so ein Licht.

Eine häufig zu hörende rechte Position heutzutage ist: „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen“. Da wird oft vor Millionenpublikum beklagt, dass man nichts mehr sagen kann. Was sollte man tatsächlich nicht mehr sagen dürfen?

Man sollte grundsätzlich, finde ich, eher nicht den Eindruck haben, dass alles, was man sich denkt, gesagt werden muss. Es sind nicht einzelne Dinge, die ich gerne untersagt oder verboten hätte, sondern dass man eher den Zwang reflektiert zur ständigen Meinungsäußerung. Ich fände, Meinungsfreiheit wäre schön in dem Sinne, dass jeder berechtigt wäre, auch ab und an frei von Meinung zu sein. Es fällt mir schwer, sie als hohes Gut zu erachten, wenn wir alle am Ende des Tages 20 E-Mails in unserem Postfach haben, wo wir nach unserer Meinung gefragt werden. Wir werden eigentlich systemisch gezwungen, unsere Meinung kundzutun. So funktioniert eher Macht, dass man zum Sprechen zwingt und nicht nicht zum Schweigen bringt.

„Man sollte grundsätzlich, finde ich, eher nicht den Eindruck haben, dass alles, was man sich denkt, gesagt werden muss.“

Deswegen bin ich eher der Meinung, man sollte, was jetzt wieder paradox ist, wenn ich so eine Meinung kundtun, sich ein bisschen mehr - und sie ist ja in der Verfassung gleich daneben - auf die Gedankenfreiheit besinnen. Hinter sehr wenigen Meinungen steckt ein Gedanke. Und die Meinung per se - man merkt das dem Begriff ja schon an, etwas zu meinen, eigentlich einen ausgelutschten Konsens gewaltsam zu dem meinen zu machen - das halte ich für eine Kategorie der Äußerungen neben Wissen und Glauben, die wenig zielführend ist. Also ich bin grundsätzlich kein Verfechter der Meinung an sich. Man möge sehen, ob man es zu einem Gedanken bringt. Wenn nicht, kann man es fallen lassen.

Ein anderes Feindbild für Sie sind möglicherweise alle Positionen, die wissen, was richtig und was falsch ist. Was ist der Unterschied zwischen Recht haben und Rechthaberei?

Die Rechthaberei ist sehr laut. Ich habe meine stillsten Momente, wenn ich mir gewiss bin, Recht zu haben. Dann stellt sich nämlich auch bei denen, die tatsächlich Recht haben, ein gewisser Wissensgeiz ein. Was sich auch immer in den Religionsmissionaren vorwerfe. Wenn ich wüsste, welcher der richtige Gott ist, ich würde es niemandem verraten. Ich würde den Himmel für mich haben wollen. Ich hätte kein Bedürfnis, andere zu bekehren oder anderen eine Erkenntnis zu eröffnen, die ich lieber für mich behalten würde.

Interessanterweise würde das hier am ehesten mit der jüdischen Religionsausübung oder Auffassung zusammengehen. Es ist auch eine Religion, die nicht missioniert, obwohl sie monotheistisch ist.

Ich habe aber auch, das will man natürlich leugnen an vielen Stellen, die Juden immer sehr positiv hervorgehoben. Wo mir eigentlich früher vorgeworfen wurde, misogyn zu sein, weil ich die Frage gestellt habe, eher an Frauen: Wie habt ihr, wie haben wir es geschafft, ähnlich den Juden, zwar unentwegt unterdrückt zu werden, aber wir Frauen haben es trotzdem nicht dazu gebracht, einen genuinen Humor auszubilden. Wir sind bestenfalls hysterisch geworden, aber keinesfalls lustig. Da gab es eigentlich vielerlei Stellen, die sie dann aber aus Ihrem Gedächtnis gelöscht haben, weil es ihrer Causa widersprechen würde.

Es ist mir auch aufgefallen, dass es in der Gegnerschaft zu Ihnen es einen hohen Frauenanteil gibt. Woher rührt das?

Die Menschen, die mir am häufigsten auf der Straße entgegenkommen und sich bedanken, sind ältere Frauen. Frauen ab 50 würde ich schätzen. Unter denen findet man wenige Gegner meiner Kunst. Es sind eher, wie ich sie gern nenne, junge, weiße Gören, die sich auch in anderen Belangen auf eine ganz konträre Art zu mir äußern, weswegen es nicht verwunderlich ist, dass die mit mir keine große Freude haben.

Was macht das Görenhafte aus?

Das Görenhafte macht aus eine infantile Trotzigkeit, eine Rechthaberei. Ein Gewissheit, die keine Sekunde in Betracht zieht, die Schuld eventuell bei sich zu suchen. Die Möglichkeit, des sich Irrens. Und die lege ich jedem ans Herz. Und eine extreme, das ist vielleicht nicht so infantil, aber eine extreme Lustfeindlichkeit. Keinerlei Genuss am Spiel, an der Gefahr. Wenn man jetzt das Spiel der Erotik nimmt, das birgt immer eine gewisse Gefahr in sich. Und für so etwas haben diese jungen Damen sehr, sehr wenig übrig. Was mir einfach wie eine Generationsverschiebung erscheint. Vor allem was alte weiße Männer betrifft, wo ich immer gesagt habe: Ja, wahrscheinlich wurzeln unsere beiden Probleme, sowohl das der Göre als auch meine, in einem kleinen Vaterkomplex, aber ich sublimiere ihn eben amourös und nicht animos. Das ist vielleicht der einzige Unterschied.

Stichwort Infantilität. Im sogenannten Diskurs wird das ja auch mittlerweile benannt, in einem innerlinken Diskurs, nämlich als regressive Linke. Schillert der Begriff für Sie?

Das finde ich tatsächlich besser. Ich habe jetzt zwar selbst infantil gesagt, muss aber gestehen ich bin kein Freund des Begriffs, weil ich finde, dass es Kinder herabwürdigt. Das Problem dieser Menschen ist ja eher, sie wollen wie Kinder behandelt werden. Und das ist etwas, was ein Kind nie tun würde. Ein Kind will krampfhaft als Erwachsener gesehen werden. Es würde niemals Triggerwarnungen beanspruchen. Und diese Menschen jetzt? Deswegen ist Regression sehr gut, sie regredieren in einen Zustand, der ein ganz eigener ist, wie ein Kind ihn nicht an den Tag legen würde. Sie wollen geschützt werden vor den Übeln dieser Welt. Sie wollen sich nicht verletzen. Sie wollen sich nicht aufschürfen. Und ein Kind muss man zurückhalten, damit es sich nicht verletzt. Das ist getrieben von einer Neugier und auch von einem rücksichtslosen fast Masochismus, einfach nur auf der Suche nach Genuss, und nimmt dabei auch in Kauf, verletzt zu werden. Die Erwachsenen tun das nicht.

Das heißt die Kunst oder in diesem Fall besonders die Bühne, jetzt mittlerweile auch der Romantext, ist das Gegenteil eines Safe Space?

Im Grunde ja. Andererseits dann auch wieder nicht, weil ich die Kunst schon irgendwo in dem Sinne als Safe Space erachte, dass da scheußliche Dinge vorkommen, sowohl in meinem Programm als auch im Buch. Nichts davon ist keine Tragödie. Aber es ist eben Kunst. Es ist nicht die Realität. Sie sublimiert. Man kann sich dem kontrolliert aussetzen und ist danach noch unbeschadet.

Milo Rau, ein bekannter Theaterregisseur, den viele auch als eine Art Nachfolgefigur von Schlingensief sehen und der sicher unverdächtig ist, nicht links zu stehen, hat vor kurzem gemeint, er besteht nicht nur auf der Widersprüchlichkeit, sondern auch auf der grundsätzlichen Missverständlichkeit von Kunst. Ist das anschlussfähig an Ihre Position?

Ja, natürlich. Ich weiß nicht, ob ich es Missverständlichkeit nennen würde, sondern wahrscheinlich eher Unverständlichkeit. Die es gar nicht so sehr auf eine feste Erkenntnis anlegt, sondern eher auf eine Form von Transzendenz. Einfach etwas Dionysisches, was ja in keinem Fall etwas Fixes sein muss. Eben, wie man es heute leider so oft sieht, in der Kunst, eine Prèt-a-porter-Botschaft in sich birgt. Dagegen wehre ich mich sehr. Dagegen hat sich die Kunst auch gefälligst zu wehren.

Mindestens einen Widerspruch glaube ich auch zu erkennen in Ihren Positionen. Der eine ist: Sie haben vorher gesagt, quasi jeder Satz, jede Silbe ist durchkomponiert. Es gibt nicht so etwas wie Fehler, für die man sich entschuldigen müsste. Andererseits haben Sie dieser regressiven linken Positionen vorgeworfen, sie wäre nicht imstande, auch mal einen Fehler zu machen, geschweige denn diesen zuzugeben. Wie ist es dann bei Ihnen? Und der zweite Widerspruch, das Betonen des rauschhaften Dionysischen steht ziemlich im Kontrast zur Kontrolliertheit Ihrer Bühnenfigur bzw. des Textes. Wie geht sich das aus?

Das geht sich insofern aus, wenn man diesen Schritt von einer Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft nicht vernachlässigt. Wahrscheinlich ist heute das dionysischste, was wir zustande bringen, die strenge Form, weil sich die aufgelöst hat. Die gibt es eigentlich nicht mehr. Das ist das, was die Leute an meinem Roman am meisten enerviert. Eben nicht, dass es eine flüssige Collage ist, sondern dass es extrem manieriert ist. Es ist metrisch, es ist sprachlich taktvoll gesittet, und das ist heute eigentlich das Subversivste, was man machen kann. Die strenge Haltung nicht als innere Haltung, sondern als äußere. Insofern finde ich, geht sich das recht gut aus.

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Das ganze Interview gibt’s auch hier im FM4 Interviewpodcast.

In der aktuellen Kunst wird sehr oft über die Regelhaftigkeit von Kunst diskutiert. Der Kunst wurden ja immer große Werte beigemessen: Freiheit, Transgression, Autonomie, zumindest eine relative Autonomie, und so weiter. Wo beginnt so etwas wie Macht- oder Autoritätsmissbrauch von künstlerischen Positionen?

Ich finde, Machtmissbrauch in der Kunst beginnt da, wo man beginnt, seine Macht zu leugnen. Das ist das Übelste, was man heute anrichten kann. Autorität auszuüben, und das tun wir von der Bühne aus, und sie aber zu verschleiern, zu verschleiern durch eine sehr anbiedernde Optik, Kleidung und durch eine Rhetorik, die sich krampfhaft authentisch will. Ich meine, das ist Machtmissbrauch heute. Zu verschleiern, welche Machtmechanismen vorherrschen. Sie ist nicht mehr so sichtbar, und das ist heute das Gefährlichste an ihr, dass nichts mehr von dem, was Macht ausübt, so autoritär auftritt, dass man es leicht identifizieren und dagegen rebellieren könnte.

Vielen Dank für das Gespräch.

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