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Der Song zum Sonntag: Flut - „Zur Zeit“

Leere und Freiheit: „Zur Zeit“ ist ein Lied über das Nichts in freudigster Verzerrung, ein dystopischer Endzeitthriller und das lang überfällige Comeback der Gruppe Flut.

Von Christoph Sepin

Man möchte diesmal visuelle Komponenten gar nicht vom Audio trennen: Flut sind, und von Anfang an schon gewesen, eine Zusammenarbeit aus Video- genauso wie Soundtüftlern. Und da überrascht auch überhaupt nicht, dass das Video zur Rückkehr, „Zur Zeit“, kein einfaches Promotool ist, keine animierte Lyricübersicht oder eine simpel abgefilmte (Lockdown-)Bühnenperformance. Nein, das ist Kino und Vision und Ideen und spürbare Freude am kreativen Prozess. Allein schon deswegen sollte man sich über das Wiederauftauchen der Gruppe Flut freuen.

Das Album „Global“ erschien erst 2018, irgendwie fühlt sich das aber länger her an. Davor und dazwischen Lieder über Stahlstädte bei Nacht, über schlechte Manieren, Geheimagenten und Sterne überall am Himmel. Die Musik von Flut war immer schon von der Realität abgekoppelt bzw. betrachtete diese aus fantastischer Perspektive. Aber wohl noch nie ist das alles so deutlich, so durchdacht und raffiniert gemacht worden, wie im neuen Song „Zur Zeit“.

Der Schauplatz ist hier die „Mad Max“-Wüste: Zu Beginn ächzt alles und ist schwer, Mensch-Maschinen müssen zuerst einmal geölt werden: In den Getrieben steckt der Wüstensand, im Gitarrenverstärker auch, mitten im heißesten Sommer der Menschheitsgeschichte. Von irgendwann, nach oder während der Global-Warming-Endzeit, kommt uns „Zur Zeit“ entgegen, als Timetravel-Track aus den Future-Wastelands. Und ist müde und schwer und tobt noch einmal mit letzter Energie, wie es wohl Mutter Erde auch macht.

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Über was soll man dann noch singen, wenn es so heiß ist? Über alles, was noch einfällt in den verschwitzten Gedanken: „Sie sagen: mir geht nichts zu weit zurzeit,“ beginnt Johannes Paulusberger sein Lied und bespricht allerlei Dinge, die große Bilder malen: Kugel im Lauf, Wand aus Rauch, Stock und Stein und kein Licht trübt den Schein. Was soll das alles? „Zurzeit hab ich nichts zu sagen“, lautet der Refrain. „Stell mir keine Fragen zur Zeit“.

Ein Erzähler, der sich von der eigenen Geschichte abwendet, ist da drin zu finden. Und wenns nichts mehr zu erzählen gibt, bleibt scheinbar nur mehr Leere und Freiheit übrig: „Ich wandere von hier ab, ich bin jetzt befreit, zurzeit“, gehen Textzeilen weiter während sich rundherum Instrumente bekämpfen.

Dann nochmal schwere Metaphern und Momente: „Zurzeit peitscht es mich her“ und „Ich lauf im Kreis, mir hinterher“, wie das Tier im Zoo. Es geht um Selbstbestimmung, um Übergangsphasen und Veränderung: „Es hat vor 100 Jahren angefangen und viel zu lang wehgetan. Doch davon bin ich befreit“.

Das ist natürlich noch dieselbe Band, die mal „Linz bei Nacht“ besungen hat - aber jetzt ist das alles ums Notwendigste tighter und detailverliebter. Und doch, und das ist das Allerwichtigste, hört man zwischen den Glitches und Ecken und Kanten, dass hier eine Band ein Lied für sich selbst geschrieben hat - alles dort zu finden, wo es sein soll, also. Das nächste Evolutionslevel der Gruppe Flut klingt wunderbar, auch wenn es die Welt im neuen Song nicht ist.

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