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Julischka Stengele liegt schlafend in einem Bett

Magdalena Fischer

Als „Fat Femme Furious“ den Hatern den Spiegel vorhalten

Die queer-feministische Performerin Julischka Stengele kämpft gegen Fat-Shaming und patriarchale Machtverhältnisse. Für ihre radikalen Auftritte hat sie jetzt den H13 Niederoesterreich Preis für Performance bekommen.

Von Claudia Unterweger

In der eigenen Komfortzone zu bleiben, das schafft kaum jemand bei den Performances von Julischka Stengele. Wenn die hochgewichtige, queere Künstlerin das Publikum ganz nah heranholt und dazu auffordert, auf ihrem nackten Körper lippenstiftrote Kussabdrücke zu hinterlassen, entfährt so manch Angesprochenem schon mal ein nervöses Lachen.

Foto von Julischka Stengele als Kuchenobjekt auf einem Tisch

Teresa Novotny

Julischka Stengele, Fettverteilung (Kuchenobjekt), 2015, Domenig Galerie, Wien

Aktuelle Arbeiten von Julischka Stengele sind derzeit in einer Ausstellung im Kunstraum Niederoesterreich in der Herrengasse in Wien zu sehen. Ebendort lädt die Preisträgerin zum Artist Talk mit Stefanie Sourial am 12. September.

Die in Wien lebende deutsche Performerin liebt es, direkt zu konfrontieren. Und knallt dem Publikum ihre Arbeiten zu sexistischer Abwertung, Bodyshaming und Homofeindlichkeit um die Ohren. @fatfemmefurious nennt sich Julischka Stengele auf Instagram: „3 Dinge, die ich bin. Simple as that“, lacht sie auf meine Nachfrage im FM4 Interview. Abwertende Bezeichnungen eignet sie sich an, dreht den Spieß um. Mit Schweinemaske auf dem Kopf, nackt und auf allen Vieren zeigt sich Stengele manchmal auf der Bühne und macht die abwertenden Gedanken greifbar, die vielen beim Anblick dicker Menschen durch den Kopf gehen.

Julischka Stengele liegt auf dem Boden einer Galerie, rundherum stehen Menschen

Julischka Stengele

Julischka Stengele, Suit, 2009, Berliner Kunstsalon

Früh habe sie gespürt, dass sie ihre eigenen Bilder erschaffen will, erzählt Stengele. Damals hat sie noch als Aktmodell gearbeitet. Aber nach und nach habe sie sich selbst das Zeichnen und Fotografieren beigebracht und ihren Weg als Künstlerin gefunden. Mittlerweile waren ihre Arbeiten in 20 Ländern zu sehen.

Bühne ist ein Schutzraum. Ich habe die Kontrolle. In dem Moment, in dem ich performe, bin ich handlungsmächtig.

Beim Thema „Körper“ ist der erhobene Zeigefinger nie weit. Aber eigentlich geht es bei unseren Vorstellungen von einem „guten“ Körper weniger um die Gesundheit als um neoliberale Ideen von Leistung und Selbstdisziplin. Lange habe sie sich abgestrampelt, um ihren Leistungswillen zu beweisen, erzählt mir Julischka Stengele. Sie wollte den Vorurteilen gegen dicke Menschen widersprechen:

„Ich wollte zeigen: Oh ja, ich arbeite viel und bin daher auch ein wertvolles Mitglied dieser Gesellschaft, und nein, ich bin nicht krank, ich kann genausoviel schaffen wie alle anderen...“ Damit sei Schluss, lacht sie: „Jetzt hatte ich Lust, mich einfach mal dieser Rolle als ‚Schwerlast‘ hinzugeben!“

Julischka Stengele spritzt mit ihrem Mund einen Strahl Wasser in die Luft

Magdalena Fischer

Julischka Stengele, Bodies of Water (TQW studio version), 2020, Tanzquartier Wien

Welche Körper sind verzichtbar?

BALLAST I EXISTENZ nennt Julischka Stengele ihre neueste kapitalismuskritische Arbeit, für die sie den diesjährigen H13 Niederoesterreich Performancepreis bekommen hat. Die Fragen, die sie darin aufwirft, sind gerade jetzt besonders aktuell.

„Wie absurd ist es, Menschen als Ballast, als Müll, als Belastung für Steuerzahler und unser Gesundheitssystem zu bezeichnen?“ Menschenfeindliche Körpernormen und Zuschreibungen würden derzeit wieder zum Teil kritiklos aus der Zeit der Eugenik und des Faschismus übernommen, sagt Stengele. Wie selbstverständlich diese Begrifflichkeiten in Bezug auf Risikogruppen verwendet werden, erschrecke sie.

Julischka Stengele liegt auf einer Bühne vor Publikum, auf ihrem Rücken steht "Riot not diet"

Anna Konrath

Julischka Stengele, Riots Not Diets, 2016, Sisters, Wien

I’m fat. And I do not hate myself.

Auf der Bühne und als Autorin für das feministische Magazin an.schläge widersetzt sich Stengele der Pathologisierung von dicken und queeren Körpern. Skandalös sei weniger, dass man hochgewichtig ist. Sondern dass man sich dafür nicht schämt:

„Leute fühlen sich oft provoziert, einfach weil ich bin. Weil ich Dinge tue wie jeder andere Mensch auch: schwimmen gehen, Eis essen, tanzen, mich ausruhen. Aber die Provokation entsteht weniger dadurch, dass ich als Abweichung von einer - wie auch immer gesetzten - Norm definiert werde, sondern dass ich mich weigere, mich dafür zu schämen. Das macht das die Leute unglaublich aggressiv, wenn ich sage, ich lasse mich davon nicht runterdrücken. Das bringt alles ins Wanken.“

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