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Ortsbilder aus Vorderstoder

Simon Welebil / Radio FM4

Soll man 2020 noch in Schitourismus investieren?

Jedes Jahr investiert die Seilbahnindustrie Millionen in neue Bahnen und Beschneiungsanlagen, um ihre Geschäftsgrundlage aufrecht zu erhalten oder auszubauen. Doch in Zeiten des Klimawandels schwindet Verständnis dafür und immer öfter gibt es dagegen auch Widerstand. Das jüngste Beispiel dazu gibt es in Vorderstoder in Oberösterreich.

Von Simon Welebil

Vorderstoder ist ein überschaubares, Bergdorf in der Urlaubsregion Pyhrn-Priel. Im Norden des Dorfes ragt dominant der 2.388 m hohe Kalkstock des Warschenecks heraus, die 800 Einwohner*innen haben ihre Häuser zumeist in die sonnigen Südhänge gebaut. Der Ort ist vor allem landwirtschaftlich geprägt, touristisch setzt man bis jetzt vor allem auf einen sanften Wander- und Radtourismus.

Doch dieses recht ursprüngliche Bergdorf Vorderstoder ist in Gefahr, wenn es nach den Initiator*innen einer Online-Petition geht. Die Gefahr sehen sie in der geplanten Schigebietsanbindung an die Skiregion Hinterstoder auf der Höss, das durch den Skiweltcup bekannt ist: Drei neue Gondelbahnen sollen in den nächsten Jahren entstehen, Schipisten im Ausmaß von über 50 Hektar, drei neue Speicherteiche und Parkplätze für über 850 Autos. Dagegen wehren sich die Initiator*innen und sie haben schon fast 19.000 Menschen gefunden, die sie dabei unterstützen.

Ortsbilder aus Vorderstoder

Simon Welebil / Radio FM4

Kirche im Zentrum von Vorderstoder

Nicht die ersten Erweiterungspläne

Christine Zauner ist eine der Initiator*innen der Petition. Sie lebt seit fast 40 Jahren in Vorderstoder, hat hier den Kindergarten gegründet, ist in der Wandergruppe aktiv und auch sonst in der Gemeinde fest verwurzelt. Schon einmal hat sie sich gegen ein Ski-Erweiterungsprojekt engagiert, gegen den geplanten Zusammenschluss von Hinterstoder-Höss mit der Wurzeralm durch einen kilometerlangen Tunnel mitten durch das Warscheneck im Naturschutzgebiet.

Die Proteststimmung hat sie 2015 mit einer unabhängigen Bürgerliste sogar in den Gemeinderat von Vorderstoder getragen. Die Skischaukel Hinterstoder-Wurzeralm ist damals nicht genehmigt worden, aber die Skigebietsbetreiber um die Schröcksnadel-Gruppe haben andere Ausbaupläne wiederaufgenommen, um im Konkurrenzkampf der Skigebiete bestehen zu können, diesmal ins benachbarte Vorderstoder. Doch auch da will Christine Zauner nicht zusehen. Denn auch in diesem Projekt sieht sie alles andere als eine nachhaltige Investition.

Investitionen im Schitourismus

Kann eine Investition in Schitourismus in Österreich im Jahr 2020 überhaupt nachhaltig sein? Laut Robert Steiger von der Uni Innsbruck, der viel darüber forscht, wie der Klimawandel den Tourismus beeinflussen wird, kann man das nicht pauschal beantworten.

„In manchen Regionen in Österreich wird das Geschäftsmodell mit Beschneiung noch Jahrzehnte funktionieren, anderswo hat man schon heute große Schwierigkeiten, so zu beschneien, wie man es bräuchte.“ Ob eine Investition sinnvoll und nachhaltig sei, sei stark abhängig von lokalen Bedingungen. Je höher gelegen ein Schigebiet sei und je näher an einer Agglomeration, desto mehr Zukunft hätte es, wobei man Höhenlagen im Land nicht unbedingt vergleichen können. Im Osten Österreichs wäre die Schneesicherheit auf 1.000 m Seehöhe etwa eher gegeben als im Westen, weil das Klima bereits kontinentaler sei.

Sind massive Eingriffe gerechtfertigt?

Von der Südseite Vorderstoders hat man den besten Überblick über die Flächen, die für das neue Schigebiet umgewidmet werden sollen. Christine Zauner zeigt mit dem Projektplan in der Hand auf die Stellen, an denen Wald für Pisten und Lifttrassen gerodet werden soll. Vor Jahren hat es dort bereits ein kleines Schigebiet gegeben, die „Hackl-Lifte“ wurden aber inzwischen abgebaut, weil sie wegen Schneemangels allzu selten in Betrieb gehen konnten. Hier nocheinmal auf Skitourismus zu setzen, in einer Seehöhe von 700-1.200 m, ergibt für sie auf lange Sicht einfach keinen Sinn. Zumindest wäre es nicht wert, dafür den Charakter und die Ursprünglichkeit des Bergdorfes aufs Spiel zu setzen.

Ortsbilder aus Vorderstoder

Simon Welebil / Radio FM4

Christine Zauner mit Blick auf die Flächen für das projektierte Schigebiet

Bürgermeister Gerhard Lindbichler von der ÖVP steht jedenfalls hinter dem Projekt, das schon jahrelang im örtlichen Entwicklungskonzept der Gemeinde steht. Für ihn bedeutet der Anschluss an das Schigebiet Hinterstoder eine große Chance für den Ort, eine Belebung des Tourismus, aber auch die anderen Sektoren sollen davon profitieren. Die Handwerker hätten mehr Aufträge, die Landwirtschaft könnte mehr Produkte direkt an die Beherbergungsbetriebe verkaufen, und selbst der Friseurbetrieb würde mehr Kundschaft in Form von Tourist*innen bekommen.

Die Gegner*innen hingegen sind nicht so überzeugt, dass nach der Bauphase viel Wertschöpfung im Ort verbleiben wird. Die Einheimischen reißen sich nicht um schlecht bezahlte Arbeitsplätze im Tourismus, so Christine Zauner, und neue Investorenhotels würden die einheimischen Vermieter*innen vom Markt verdrängen, wie man es in Hinterstoder in jüngster Vergangenheit erleben konnte. Den Nachbarort, der zu den zehn Gemeinden mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung in Österreich zählt, nennt sie öfter als warnendes Beispiel.

Ortsbilder aus Vorderstoder

Simon Welebil / Radio FM4

Parkplatz statt Wiese. Die Projektgegnerinnen fürchten mehr Verkehr und eine Änderung des dörflichen Charakters.

Nur Panikmache?

Für Bürgermeister Lindbichler schüren die Projektgegner vor allem Ängste vor Veränderung. Es werde weder Massentourismus kommen, noch ein Verkehrskollaps oder Probleme mit dem Trinkwasser. Und selbst die Schneesicherheit bereitet ihm kein Kopfzerbrechen. „In Hinterstoder gibt es drei Talabfahrten bis auf 600 m Höhe, und es ist auch in schneearmen Wintern bis zum Saisonende möglich, bis ins Tal zu fahren. Natürlich ist der Klimawandel nicht zu leugnen, aber ich denke, dass sich das mit dem technischem Fortschritt in der Beschneiung kompensieren lässt“, sagt er im übers Telefon geführten Interview.

Die Wucht des Widerstand habe ihn allerdings überrascht, vor allem, da sie noch ganz am Anfang des Projekts stünden, bei der Änderung des Flächenwidmungsplanes. Es seien noch lange nicht alle Vorarbeiten abgeschlossen und es würde noch viele Änderungen und Studien geben müssen. „Wir sind keine Kommunikationsprofis, und wenn sich Alpenverein, Naturfreunde, Naturschutzbund, der Umweltdachverband und die Grünen zusammentun und ihre Kommunikationsprofis ans Werk lassen, da sind wir jetzt natürlich in der Defensive.“

Die Zahl von mittlerweile knapp 19.000 Unterstützer*innen der Petition beeindruckt ihn allerdings nicht, das sei ein Fischen im Teich der Gegner*innen des geplanten Schigebietszusammenschlusses der Ötztaler und Pitztaler Gletscherbahnen.

Doch sollen die nicht auch mitreden dürfen, was auf den Bergen in Österreich geschieht, als Naturliebhaber*innen, potentielle Urlauber*innen, aber auch als Steuerzahler*innen, die bei diesem Projekt auch mitzahlen würden? Christine Zauner würde diese Frage bejahen, „weil wir als Österreicher*innen Verantwortung tragen, was hier passiert, und warum sollte ich mich als Tiroler oder als Burgenländer nicht auch dafür interessieren, dass die letzen kleinen Idylle oder Naturjuwele in Oberösterreich erhalten bleiben?“

Die Diskussion um die Schigebietserweiterung in Vorderstoder ist mit der Petition und den Medienberichten dazu jedenfalls gewaltig in Schwung gekommen, und das schon ganz am Anfang des Projektes, wo erst die Änderung des Flächenwidmungsplans eingebracht ist. In den nächsten Wochen sind die Landesbehörden in Oberösterreich am Zug, die ihre Stellungnahmen dazu abgeben und vielleicht auch eine Umweltverträglichkeitsprüfung einfordern werden. Bis es dann im Gemeinderat von Vorderstoder zu einer Abstimmung über das Projekt kommen wird, kann also noch viel Zeit vergehen, und 2021 wohl mindestens eine Gemeinderatswahl.

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