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Iris Wolff: „Die Unschärfe der Welt“

Die deutsche Autorin Iris Wolff erzählt in „Die Unschärfe der Welt“ die Geschichte von Menschen aus vier Generationen, die sich auch über Grenzen hinweg nicht aus den Augen verlieren.

Von Sophie Liebhart

Iris Wolff verbindet in ihrem Roman „Die Unschärfe der Welt“ die Lebenswege von sieben Personen, sieben Verwandten und Wahlverwandten aus mehreren Generationen.

Alles beginnt in Banat, einer Region in Südosteuropa, die heute in den Staaten Rumänien, Serbien und Ungarn liegt. Dort machen zwei junge Reisende aus der DDR einen Zwischenstopp am Hof von Florentine und Hannes. Was sie noch nicht wissen: Einer von ihnen wird Jahre später an den Hof zurückkehren. Bis dahin erstreckt sich jedoch eine Geschichte voller Schicksalsschläge und Wendungen - all das vor dem Hintergrund des zusammenbrechenden Ostblocks.

Buchcover "Die Unschärfe der Welt" mit roten Blättern drauf

Klett-Cotta

„Die Unschärfe der Welt“ ist bei Klett-Cotta erschienen.

Gelungene Charaktere

Der Roman „Die Unschärfe der Welt“ wächst mit seinen Figuren. Mit jeder geschilderten Lebensgeschichte wird das Erzählte weniger unscharf, die Verknüpfungen und Verwebungen werden deutlicher.

Samuel, der Sohn von Florentine und Hannes ist sehr introvertiert und still, sein Leben ist so etwas wie ein roter Faden in Iris Wolffs Roman. Er lernt das Leben und Lieben kennen. Gemeinsam mit seinem Freund Oz beginnt er auch am kommunistischen System zu zweifeln, das ihrer beider Leben bislang bestimmt hat:

„Oz war zu dem Schluss gekommen, dass schlichtweg alles erfunden war. Jedes System ein Phantasieprodukt. Die Sache mit der Religion, dem Fußball, dem Kommunismus. Dieses Land hielt eine Ordnung aufrecht, an die nur unter Mühe (oder gleich gar nicht) geglaubt wurde. Dennoch wurde darauf beharrt, es sei eine objektive Wirklichkeit.“

Eines Tages beschließen die beiden in den Westen zu fliehen. Entgegen aller Erwartungen gelingt ihnen die abenteuerliche Reise mit einem geliehenen Kleinflugzeug über die Grenze.

Traumhafte Sprache

„Die Unschärfe der Welt“ ist ein sehr feinfühliges Buch. Iris Wolff versteht es, Gefühle in Worte zu packen. Ihre Sprache ist verträumt und fast poetisch, aber trotzdem sehr präzise, etwa, wenn sie von der Sehnsucht schreibt: „Es gab Sehnsucht nach etwas, das verloren war, Sehnsucht nach etwas, das sich nicht erfüllt hatte, Sehnsucht danach, etwas zu finden, und manchmal auch danach, etwas zu verlieren.“

„Die größte aller Einsamkeiten war die des Verlassenen.“

Oder aber auch von den unterschiedlichen Arten von Einsamkeit: „Es gab verschiedene Einsamkeiten. Die des Berges, der schon immer da war. Die der offenen Landschaft und dem Gefühl des Verlorenseins. Die der Großstadt mit ihrer Gleichgültigkeit. Es gab die Einsamkeit des Lehrerzimmers, der überfüllten Straßenbahn, der leeren Wohnung. Jene, die von Vorwürfen ausgelöst wird, begleitet von Wörtern wie „nie“ oder „immer“, ganz gleich ob von jemand anderem oder als Selbstanklage. Es gab die Einsamkeit, nachdem sein Vater gegangen, seine Mutter, Jahre später, gestorben war und ihm bewusst wurde, jetzt hast du niemanden mehr. Aber die größte aller Einsamkeiten war die des Verlassenen. Wo ein anderer gewesen war, war jetzt nichts mehr. Es musste alles neu erfunden werden, wie man durch den Tag kam, was gegessen werden sollte, wer man war.“

Verlust und Neuanfang

Verlust und Neuanfang gehen in „Die Unschärfe der Welt“ Hand in Hand. Iris Wolff erzählt von Freundschaft und familiärem Zusammenhalt - auch über Grenzen hinweg. Und dazwischen verpackt die Autorin großartige Lebensweisheiten:

„Für Anfänge musste man sich entscheiden, Enden kamen von allein, wenn man sich nicht entschieden hatte.“

Dennoch - das Ende von „Die Unschärfe der Welt“ wirkt nicht, als wäre es ungeplant passiert. Denn gelungen choreografiert schließt sich der Kreis: Man kehrt wieder an den Ort zurück, an dem alles begonnen hat: nach Banat.

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