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Bäuerin Rehema Namyalo blickt auf das Land

pooldoks / Jana Fitzner

Malariabekämpfung als neokolonialistische Episode in der Doku „Das Fieber“

Die Wiener Filmemacherin Katharina Weingartner zeigt in ihrer neuen Kino-Dokumentation „Das Fieber“, wie sehr westliche Mächte Ostafrika als Experimentierfeld betrachten und behandeln.

Von Maria Motter

„Das Fieber“ ist ein wunderschöner Film über eine grauenhafte Krankheit und über die Fortsetzung einer ungeheuerlichen Kolonialgeschichte. Der Film ist zudem ein Krimi, der aufzeigt, wie Player wie die Weltgesundheitsorganisation, Pharmakonzerne und Stiftungen vom Leid der Menschen profitieren.

„Malaria tötet alle sechzig Sekunden ein Kind in Subsahara-Afrika“, informiert das erste Insert in der Kino-Dokumentation. Und Katharina Weingartners Film beginnt mit einer Frau, die erzählt, dass ihr Bub heute achtzehn Jahre alt wäre. Als Kind ist er in drei Tagen gestorben. Was die Frau mitteilt, ist erschütternd. Doch schon in dieser Szene bricht „Das Fieber“ mit jener weit verbreiteten Bildästhetik, die einen ganzen Kontinent als Elend kategorisiert. Die Schönheit des ländlichen Ugandas, das Vogelgezwitscher und die Farben von allem sind betörend. Regenwasser platscht in Plastikschüsseln, Kinder stellen sich an Hauswänden unter. Auf einem Reisfeld fischt der Insektenforscher Richard Mukabana Larven aus dem stehenden Gewässer. Die Menschen zu sehen und ihre Dörfer, ihre Umgebung und die Städte, ist einfach toll.

Filmstills aus "Das Fieber"

pooldoks / Jana Fitzner

Rehema Manyalo ist Bäuerin und versorgt Kinder und Mütter mit der Heilpflanze Artemisia Annua, dem Einjährigen Beifuß.

„Wir teilen nicht diesen Blick auf Afrika als einen leidenden Kontinent“, sagt Regisseurin Katharina Weingartner über ihren Zugang. „‘Das Fieber‘ ist ein Film über Menschen, die in Aktion treten. Die sich wehren. Die Mittel dazu hätten. Die nur vom globalen Norden die Erlaubnis bräuchten. Nein, Erlaubnis ist ein falsches Wort. Vielmehr das Mitdenken wäre es“, sagt Katharina Weingartner.

405.000 Menschen starben 2018 an Malaria, vor allem sind es Kinder unter fünf Jahren gewesen. Der jüngste verfügbare „World Malaria Report“ der Weltgesundheitsorganisation bezieht sich auf das Jahr 2018. Die Befürchtungen der WHO sind groß, dass sich aufgrund der SARS-Cov-2-Pandemie die Todesfälle dieses Jahr verdoppeln könnten. So Statistiken.

„Es gibt diesen fürchterlichen Mythos, dass diese Nähe und Mutterliebe irgendwie anders ist als im Westen“, sagt Katharina Weingartner. Die Autorin Noviolet Bulawayo hat als Dramaturgin am Film mitgearbeitet. Sie glaubt, dass die Toten im Westen als Nummern betrachtet werden. „Dass man sich im Westen vorstellt: Naja, die hat ja eh noch zehn zuhause“.

"Das Fieber startet diese Woche in den Kinos.

Katharina Weingartner und die Kamerafrau Siri Klug stellen große Persönlichkeiten wie allen voran die Bäuerin Rehema Namyalo ins Zentrum dieser beeindruckenden filmischen Reise nach Uganda und nach Kenia. Es wird auch kurz in die Schweiz, in die USA und nach China gehen. Die Erzählung ist nah an den Menschen und ihrem Leben. Rehema Namyalo baut Heilpflanzen an und betreut Kinder in einer Klinik für Kräuterheilkunde. Sie hält Vorträge und Workshops in anderen Dörfern, schenkt Tee mit der getrockneten und geschnittenen Artemisia Annua, dem Einjährigen Beifuß aus.

Filmstills aus "Das Fieber"

pooldoks / Jana Fitzner

Ein Kaleidoskop einer Kolonialgeschichte

Artemisia Annua wirkt gegen Malaria, auch vorbeugend, und gegen andere Krankheiten. Doch die Weltgesundheitsorganisation will von Kräuterheilkunde, wie sie die Bäuerin Rehema Namyalo betreibt, wenig wissen, klagt sie im Film. Zulassungsprozesse für Medikamente orientieren sich an der Pharmaindustrie. Der Film „Das Fieber“ wird zum Krimi, der aufzeigt, wie Mächte wie die Weltgesundheitsorganisation, Pharmakonzerne wie Novartis und Stiftungen wie jene von Bill und Melinda Gates vom Leid der Menschen profitieren.

Dabei entfaltet sich die Erzählung zu einem Kaleidoskop einer Kolonialgeschichte. Was die beliebte Zimmerpflanze Weihnachtsstern mit Malaria zu tun hat, wie giftig Moskitonetze eines japanischen Herstellers sind (und darum in der Europäischen Union verboten) und wie die Stiftung von Bill und Melinda Gates danach strebt, „Märkte auch den Armen zu erschließen“, wie es in einem Video der Stiftung im Film zu hören ist - davon berichtet die Dokumentation.

„Wobei ich mich stark abgrenzen will von dem, was mit der Gates Foundation von Covid-Leugnern auf Demonstrationen und in Verschwörungsforen passiert“, sagt Katharina Weingartner. „Wir haben ein grundsätzliches Problem mit Philantrokapitalismus, nicht nur mit der Gates Stiftung. Ich glaube an die Unabhängigkeit der Forschung und nicht, dass Konzerne und neoliberale Konzepte etwas in der Forschung verloren haben. Die Gates Foundation bezahlt keine Steuern für die Summen, die sie in die Forschung steckt. Das Geld könnte genausogut in die amerikanischen Steuern fließen und dort an die WHO gehen. Inzwischen aber ist Gates der größte private Financier der WHO geworden.“

Im Sommer 2019 hat das Wissenschaftskonsortium „Target Malaria“ genetisch veränderte Stechmücken in Burkina Faso ausgesetzt. Hauptgeldgeber von „Target Malaria“ ist die Stiftung von Bill und Melinda Gates.

Filmstills aus "Das Fieber"

pooldoks / Jana Fitzner

Eine Fortsetzung der Kolonialherrschaft

Dass die Anwesenheit von Stechmücken und in Folge von Malaria in afrikanischen Ländern Folgen der Kolonialgeschichte sind, ruft das „Fieber“ in Erinnerung. Katharina Weingartner hat intensiv in Bibliotheken in Nairobi, Kampala und in London recherchiert und versucht, möglichst viel über die Geschichte von Malaria vor der Kolonialisierung in Subsahara-Afrika herauszufinden. „Meine Vermutung ist, dass die Malaria, bevor wir beschlossen haben, uns Afrika unter den Nagel zu reißen, kein großes Problem war.“

Die Briten und auch die Franzosen setzten in der Kolonialzeit auf die Produktion von Reis, Zucker, Mais. Also von Lebensmitteln, die in Subsahara-Afrika nicht vorhanden waren, die aber das lokale Essen sukzessive ersetzten.

„Der Kampf mit dem Fieber“: Ein Bericht von den Dreharbeiten war in der Süddeutschen Zeitung zu lesen.

Katharina Weingartner hat in Archiven Briefe früher Tropenmediziner in Vorbereitung auf die Dreharbeiten ausgehoben. Auch die Rolle der Kirchen kann man nachlesen. „Vor allem protestantische Missionare haben die lokal verbreiteten Kräuterpraxen verteufelt und verboten. All diese Geschichten waren mir vorher völlig fremd.“ Katharina Weingartner hat versucht, mit sehr vielen älteren Menschen über ihre Erfahrungen als Kinder zu sprechen. „Ich habe niemanden getroffen, der nicht erzählt hätte, dass sie oder er nicht bittere Tees trinken musste während der Regenzeit.“

Malaria ist heilbar, wenn Medikamente verfügbar sind. Doch die müssen aus Europa importiert und verteilt werden. Laut Weingartners Recherchen ist Heilpflanzenkundigen die Herstellung von Medikamenten wie Zäpfchen mit Artemisia Annua in Uganda verboten. Die Weltgesundheitsorganisation setzt in der Behandlung von Malaria-Kranken auf das Medikament Coartem vom Pharmakonzern Novartis.

Filmstills aus "Das Fieber"

pooldoks / Jana Fitzner

Sieben Jahre Arbeit und institutionalisierter Rassismus

Ursprünglich als Wirtschaftskrimi gedacht, hätte „Das Fieber“ ein sehr gutes Produktionsbudget gehabt. „Da wäre es ein Krimi gewesen zwischen China und Basel und zwischen dem Walter-Reed-Army-Institut, das ist das amerikanische Tropeninstitut, das aus dem Militär kommt, und all diesen Players, die da unglaublich viel Geld verdienen an diesen Toten. Dafür haben wir auch einen deutschen und einen Schweizer Koproduzenten gewonnen, auch die ARD, das Schweizer Fernsehen und den ORF“, sagt Katharina Weingartner.

Ein weiterer typischer Anti-Globalisierungsfilm also wäre es geworden, „wo die ganzen bösen weißen Männer vor die Kamera gezerrt und vorgeführt werden.“ In der Recherche jedoch erweist sich der Ansatz für die Regisseurin und ihr Team als nicht vertretbar. „Es geht in diesem Film sehr stark um die Dekolonialisierung von diesem Blick. Natürlich: Wenn wir als weißes Team da hinfahren und uns auch diese Bilder holen, bleiben wir in diesem System verhaftet. Wir bekommen das Geld dafür, wir kaufen uns das mehr oder weniger ein und verkaufen das dann an das europäische oder westliche Arthouse-Publikum. Insofern machen wir nichts anders“, ist Weingartner bewusst. „Der Aufbruch für uns war, dass wir gesagt haben: Alle weißen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen – es sind nicht viele Frauen – raus aus dem Film!“

Und der Entschluss kam nach Interviews mit 150 Malaria-Expert*innen, Gesundheitsaktivist*innen und Politiker*innen auf vier Kontinenten. Die ursprünglichen Koproduzenten in der Schweiz und in Deutschland stiegen aus, nur wenige Fördergeber trugen die Entscheidung mit. Nur schwarze Protagonist*innen seien unglaubwürdig, musste sich Katharina Weingartner anhören. „Der Schweizer Redakteur hat gesagt, das können sie nicht ausstrahlen, Novartis würde klagen. Und der deutsche Produzent hat gesagt: Wenn bei Minute 33 noch kein Weißer vorgekommen ist, verlieren wir das deutsche Publikum“.

Das Österreichische Filminstitut dagegen hat die Entscheidung, den Film aus Uganda und Kenia zu erzählen, stark unterstützt. „Das Fieber“ kommt diese Woche in die österreichischen Kinos.

Für ihren nächsten Film „Stich für Stich“ will Katharina Weingartner mit einer nigerianischen Regisseurin zusammenarbeiten. „Es wird um den Zusammenhang der Vorarlberger Textilindustrie und der Sklaverei gehen, im Dreieck Lustenau, Lagos und wahrscheinlich Mississippi.“

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