FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Hände Senioren

Pixabay CC0

Die 24-Stunden-Betreuer*innen organisieren sich

Zwei Euro pro Stunde. So wenig bekommen manche 24-Stunden-Betreuer*innen für ihre Arbeit in Österreich. Zu 99 Prozent sind es Migrant*innen aus dem ost- und zentraleuropäischen Raum, die diese Knochenjobs verrichten. Die Coronavirus-Krise hat ihre Situation verschlechtert, jetzt organisieren sie sich.

Von Melissa Erhardt

24-Stunden-Betreuer*innen haben als sogenannte Ein-Personen-Unternehmen weder Anspruch auf bezahlten Urlaub und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall noch auf ein 13. oder 14. Gehalt. Sogar die Familienbeihilfe für die Kinder von Betreuer*innen wurde gekürzt. Viele von ihnen verrichten Pflegeleistungen, für die sie gar keine Ausbildung haben. Wenn etwas passiert, haften sie trotzdem, da sie ja selbstständig sind. Gleichzeitig sind sie stark von ihren Vermittlungsagenturen abhängig, in der Wirtschaftskammer finden ihre Interessen kaum Gehör.

Die Coronavirus-Krise hat zu noch prekäreren Situationen für die Betreuer*innen geführt. Viele mussten ihren Turnus verlängern, weil die Grenzen geschlossen waren und Betreuer*innen, die bereits im Land waren, nicht von Kolleg*innen abgelöst werden konnten. Während sie normalerweise (je nach Land) zwei bis vier Wochen in Österreich bleiben, blieben sie doppelt so lang. Bekommen sollten sie dafür den „Bleib-da-Bonus“ in Höhe von 500 Euro. Dieser ist bei vielen bis heute nicht angekommen und viele hat das auch in finanzielle Notlagen geführt. Mit Unterstützung aus dem Härtefallfonds konnten die meisten trotzdem nicht rechnen, weil dafür ein österreichisches Konto notwendig ist.

Jetzt entstehen erstmals Vereine, die für die Interessen der Betreuer*innen kämpfen. Wir haben mit Flavia Matei und Simona Durísova gesprochen, die in solchen Vereinen aktiv sind und auch dabei sind, sich zusammenzuschließen.

Aktivistinnen

Melissa Erhardt

Architektin Flavia Matei kommt ursprünglich aus Rumänien und ist für ihr Studium nach Wien gekommen. An der Uni arbeitet sie als Studienassistentin, den Großteil ihrer Zeit ist sie aber Aktivistin bei DREPT.

Ich weiß aus eigenen Erfahrungen, wie es ist, Migrantin in einem fremden Land zu sein.

Radio FM4: Was ist DREPT und wofür steht es?

Flavia Matei: DREPT heißt einerseits „Recht“ auf Rumänisch, es ist aber auch ein Akronym. Die Buchstaben stehen im Rumänischen für Gerechtigkeit, Respekt, Gleichheit, Schutz und Transparenz. Das Kernteam von DREPT besteht aus rumänischen Betreuer*innen und Aktivist*innen, wobei Letztere in der Minderheit sind. Wir beraten Kolleg*innen, die sich in Krisensituationen befinden und z.B. von Ausbeutung am Arbeitsplatz, Gewalt oder sexuellem Missbrauch betroffen sind. Da bieten wir Unterstützung an. Wir machen auch Aufklärungsarbeit über unsere Online-Kanäle und Community Organising.

Radio FM4: Was hat sich seit dem Lockdown bei der 24-Stunden-Betreuung getan? Wie geht es den Betreuer*innen?

Flavia Matei: Die Arbeitsbedingungen haben sich während der Coronavirus-Krise nochmal deutlich verschlechtert, bekommen haben die Betreuer*innen dafür sehr wenig. Es gab eine Bonuszahlung von 500 Euro, die aber aus bürokratischen Gründen für viele sehr schwer zu bekommen war. Manche Betreuer*innen warten noch immer auf dieses Geld.

Radio FM4: Was sind deiner Meinung nach die größten Probleme der 24-Stunden-Betreuung?

Flavia Matei: Das gesamte System an sich ist ausbeuterisch. 24-Stunden-Betreuer*innen müssen als Ein-Personen-Unternehmer*innen (EPU) arbeiten und haben dabei weder begrenzte Arbeitszeiten, Mindestlöhne, bezahlten Krankenstand noch sonstige soziale Absicherungen. Sie sind eigentlich gar nicht sozial abgesichert. Sie arbeiten zwei, drei oder vier Wochen am Stück, ohne einen einzigen Tag Pause. Dafür verdienen sie oft nur zwei Euro pro Stunde. Was ist das, wenn nicht Ausbeutung?

Radio FM4: Was fordert ihr?

Flavia Matei: Wir fordern eine Form von Anstellung. Solange die Betreuer*innen als EPU arbeiten, sind sie sozial nicht abgesichert. Wir fordern auch Beratungsstellen in jedem Bundesland, kostenfrei und in der eigenen Sprache, damit wir mehr Unterstützung anbieten können im bestehenden System. Aber die Lösung ist die Abschaffung der Scheinselbstständigkeit, das muss man ganz klar sagen.

Wir bekommen auf Facebook sogar Anfragen von Betreuer*innen aus Deutschland und Italien, weil sie glauben, dass wir auch für diese Länder zuständig sind.

Radio FM4: Wie geht es dir mit der Arbeit?

Flavia Matei: Ich schlafe sehr wenig und arbeite meine Wochenenden durch. Das ist kein nachhaltiges System. Je präsenter wir online sind, desto mehrere Betreuer*innen melden sich bei uns, der Arbeitsaufwand steigt von Monat zu Monat. Wir haben auf Facebook sogar Anfragen von Betreuer*innen aus Deutschland und Italien bekommen, weil sie glauben, dass wir auch für diese Länder zuständig sind. Da gibt es einen großen Bedarf.

Aktivistin Durísova

Simona Durísova

Simona Durísova arbeitet im Bereich Persönliche Assistenz. Sie ist aus der Slowakei und vor acht Jahren nach Österreich gekommen. Sie hat ihre Masterarbeit an der Uni Graz über die soziale und arbeitsrechtliche Benachteiligung der Betreuer*innen geschrieben. Im März hat sie zusammen mit ihrer Mutter die Initiative-24 gegründet, in der sie sich für die Rechte der slowakischen Betreuer*innen einsetzen.

Ich möchte die Betreuer*innen dazu bewegen, dass sie sich nicht alles gefallen lassen. Dass sie wissen, dass hier jemand ist, der sie unterstützen kann.

Radio FM4: Warum engagierst du dich für die 24-Stunden-Betreuer*innen?

Simona Durísova: Meine Eltern waren als Betreuer*innen tätig. Mein Vater arbeitet immer noch in dieser Branche, meine Mutter hat zehn Jahre lang als Betreuerin in Österreich gearbeitet. Und dann habe ich das Thema im Rahmen meiner Masterarbeit näher erforscht.

Radio FM4: Wie ist es zur Initiative-24 gekommen?

Simona Durísova: Für mich war Corona der Auslöser. Um den Härtefallfonds zu beantragen, musste man ein österreichisches Bankkonto haben und das hat die Mehrheit der Betreuer*innen nicht, weil sie ein transnationales Leben führen. Man wollte einen finanziellen Betrug verhindern, indem das Geld ausschließlich auf österreichische Konten überwiesen wird. Aber wir haben uns gefragt: Wenn es um öffentliche Gelder geht, warum ist das bei der Familienbeihilfe dann anders? Diese wird auf die ausländischen Konten der Betreuerinnen überwiesen und das sind auch öffentliche Gelder. Das war eine klare Diskriminierung.

Radio FM4: Was macht die Initative-24?

Simona Durísova: Den Verein gibt es seit einer Woche, also sind wir erst dabei, unsere Strukturen aufzubauen. Aber ich mache das, was aktuell wichtig ist. Wir kommunizieren, worauf die Betreuer*innen Ansprüche haben, wie sie Dinge beantragen können und so weiter. Ich mache Aufklärungsvideos auf YouTube für die Betreuer*innen, damit sie wissen, was die Probleme sind. Ich möchte die Betreuer*innen dazu bewegen, dass sie sich nicht alles gefallen lassen. Dass sie wissen, dass hier jemand ist, der sie unterstützen kann.

Radio FM4: Was sind deiner Meinung nach die größten Probleme in der 24h-Betreuung und was wären vielleicht Lösungen?

Simona Durísova: Das größte Problem ist die Scheinselbstständigkeit. Sie ergibt sich aus zwei Fakten: Einerseits sind die Betreuer*innen örtlich und zeitlich an einen Arbeitsplatz gebunden. Normalerweise sollten selbstständige Personen allein darüber entscheiden können, wann, wie und wo sie ihre Arbeit ausführen. Andererseits sind die Betreuer*innen auch enorm abhängig von den Vermittlungsagenturen. Diese organisieren das Betreuungsverhältnis zwischen der/dem Betreuer*in und der/dem Pflegebedürftigen von Anfang an. Das erweckt den Anschein, dass die Agenturen Arbeitgeber*innen sind, aber das sind sie nicht. Sie sind auch Unternehmen, und wenn es zu Problemen kommt zwischen den Agenturen und den Betreuer*innen, stehen sie in einem Konkurrenzverhältnis zueinander. Sie sind gleichwertige Unternehmer*innen, aber die Agenturen greifen dermaßen in die Rechte und Pflichten der Betreuer*innen ein, dass es den Anschein einer abhängigen Tätigkeit erweckt.

Radio FM4: Warum müssen sich die Betreuer*innen überhaupt selbst organisieren? Haben sie keine Gewerkschaften?

Simona Durísova: Es ist wichtig, dass die Betreuer*innen ihre eigenen Interessen vertreten können, ihre wirklichen Interessen. Und nicht, dass sie als formale Selbstständige in der Wirtschaftskammer vertreten sind. Dort geht man davon aus, dass ihre Interessen gut vertreten sind. Das sind sie aber nicht. Sie haben andere Bedürfnisse. Weder die Wirtschaftskammer noch die Gewerkschaft kann die Bedürfnisse angehen, weil es in Wirklichkeit einfach ein ganz anderes System ist. Sie sind nicht selbstständig. Es ist daher eigentlich eine Reaktion auf das System, das etabliert worden ist.

Aktuell: