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Youtube-Screenshot Stopp Corona App

Youtube-Screenshot Stopp Corona App

Was wurde eigentlich aus der „Stopp Corona“ App?

In ihrer eigentlichen Bestimmung soll die Stopp Corona App helfen, Infektionsketten zu durchbrechen. Ihre vielleicht sogar größere Leistung stellt allerdings der gesellschaftspolitische Diskurs dar, der über die App ausgetragen wurde, nämlich darüber, wie wir als Gesellschaft – auch während einer Krise – leben wollen.

Von Sarah Kriesche

Eine Unzahl an technischen Vorschlägen – und Vorstößen sind in den letzten Monaten weltweit präsentiert und bisweilen auch umgesetzt worden. Ihnen allen ist das Versprechen gemein, zu helfen, die Pandemie unter Kontrolle zu bringen. Schlagworte wie „KI“, „Big Data“, „ML“ und natürlich „Blockchain“ begleiteten die Hoffnungsträger des digitalen Zeitalters.

Unterm Strich schien die Logik so einfach wie vielversprechend: So viele Daten wie möglich zu sammeln und auszuwerten, um so Infektionsketten und Cluster zu verhindern, bevor sie entstehen. Im gesellschaftlichen Mikrokosmos könnte man etwa mit Hilfe von Handy-Daten nicht nur Bewegungsströme analysieren, sondern auch herausfinden, wer sich zum Beispiel nicht an Ausgangssperren hält oder wo sich Gruppen bilden.

Mit Technologie gegen die Pandemie

Kaum verwunderlich, dass auch die elektronische Gesundheitsakte ELGA zum Objekt der Datenbegierde wurde. Gerald Bachinger, Sprecher der Patientenanwälte forderte etwa , ELGA-Daten für die Forschung freizugeben, um so zu prüfen, ob bestimmte Medikamente gegen COVID-19 schützen.

Kurzum – alles was technisch möglich ist, wurde als Vorschlag in den Raum geworfen, die möglichen Auswirkungen auf die Gesellschaft ob der drohenden Gefahr, hintangestellt. Die Maßnahmen, wurde argumentiert, wären an die Pandemie gekoppelt. Eine Ausnahmesituation, die entsprechende Maßnahmen erfordere.

Ein gesellschaftlicher Stresstest. Auf der einen Seite eine Pandemie, wo es Daten überhaupt erst möglich machen, die Verbreitung quasi in Echtzeit mitzuverfolgen, sowie, vor allem in sozialen Netzwerken, darüber zu diskutieren. Informationsgewinn und die Erfahrungen „der anderen“ stellten somit wohl vor allem zu Beginn für viele das Um und Auf für das eigene zukünftige Handeln dar. Und sei es auch nur, um sich Klopapiervorräte anzulegen.

Auf der anderen Seite sorgte die nun plötzlich so konkrete und spürbare Macht der Daten und die Einsatzmöglichkeiten für Unbehagen. Das mitunter abstrakt wirkende Thema des Datensammelns, wenn man auf Facebook doch nichts weiter macht, als die Timeline nach Unterhaltsamen oder Wissenswerten zu durchsuchen, die Werbung im Vorbeiscrollen in Kauf nimmt und hier und dort etwas kommentiert, wurde etwa bei der Visualisierungen von Bewegungsströmen sichtbar und spürbar.

Dystopische Szenario von George Orwells „1984“

Das ansonsten oft gehörte Argument, man habe ja nichts zu verbergen, schien dem Wunsch etwas zu besitzen, was man noch verbergen könne, zu weichen. Im Versuch, Befürchtungen in Worte zu fassen bot sich etwa die Literatur, allem voran das dystopische Szenario von George Orwells „1984“, an. Denn wäre die Büchse der Pandora erst mal geöffnet, würde sie auch niemand mehr so bald schließen wollen. Sprich würde etwa – aus welchen Gründen auch immer – legitimiert, auf Gesundheitsdaten zugreifen zu können, würde sich post Corona bald die nächste Gelegenheit finden, das auch zu tun. So oft, bis ihre selbstverständliche Verwendung von Versicherungen, Behörden und jedem, der Interesse hätte, auch ein „neues Normal“ darstellen würde, so die Ängste.

Die aufgestauten Hoffnungen, Befürchtungen, die Unsicherheiten ,die Frage, was technische Errungenschaften nützen, wenn nicht genau in derartigen Situationen Verwendung zu finden und die Anspannung, die mit der Pandemie einher gingen, entluden sich schlussendlich an einer Smartphone-App mit dem pragmatisch-holprigen Titel „Stopp Corona App“.

Treffen sich zwei Apps…

Das Prinzip ist rasch (und ein wenig vereinfacht – eine genauere Erklärung gibt es hier erklärt: Am Smartphone installiert analysiert die App im Hintergrund mittels Bluetooth, ob sich andere Smartphones, die die App installiert haben – und somit auch Menschen – in der Nähe befinden. Ist das der Fall, geben sie sich sprichwörtlich einen Handshake und führen quasi Tagebuch, welche anderen Smartphones mit der App sie so getroffen haben. Geht es allen gut, merkt man von der App nichts weiter und kann sie getrost ignorieren. Gibt ein eingetragener Kontakt eine positive Testung an, bekommt man eine Warnung und kann sich isolieren, bevor man andere infiziert.

Denn auch wenn man keine Symptome aufweist, kann man bereits infektiös sein, beziehungsweise, mit einer Inkubationszeit von 5-6 Tagen, ist man mitunter rechtzeitig gewarnt, bevor man andere anstecken kann. Die Vorteile liegen für Gerry Foitik, Bundesrettungskommandant des Roten Kreuzes auf der Hand:

„Wissenschaftler der Oxford Universität haben ausgerechnet, dass ein bis zwei Menschen, die die App runtergeladen haben, eine Neuinfektion vermeiden helfen. Das heißt bei 1 Million Downloads und Nutzungen könnte diese App 500.000 Neuinfektionen vermeiden und das ist schon sehr viel. Was die App nicht kann, weil sie anonym ist, weil sie so konstruiert ist, dass man das nicht persönlich zurückverfolgen kann, sie kann den Behörden nicht sagen: diese und jene Person ist infiziert und war mit dieser oder jener Person in Kontakt. Das ist eine Aufgabe des behördlichen Kontaktpersonen-Managements, das machen diese Behörden auch. Die Stopp Corona App kann aber meine Freundinnen, meine Arbeitskolleginnen, meine Familie davor schützen, sich zu infizieren oder die Infektion weiterzugeben, wenn ich sie entsprechend von meiner Infektion verständige oder umgekehrt, wenn ich von einer Infektion eines meiner Kontakte informiert werde“.

960.000 Downloads, also im Optimalfall 960.000 Userinnen und User, haben die App bislang downgeloadet, so Foitik. Seit Ende Juni sind 186 rote, also bestätigte Infektionen, sowie 1044 gelbe, also Verdachtsfälle über die Stopp Corona App gemeldet worden. Die Downloadzahlen würden seit der Umstellung auf die Schnittstellen von Apple und Google im Juni auch kontinuierlich steigen. Das sei erfreulich, aber in Summe noch nicht gut genug, um den Beitrag zu leisten, den die App leisten könnte, würden sie noch mehr Menschen nutzen. Die etwas verhaltenen Zuströme sind wohl auch ein wenig der Geschichte geschuldet, die ähnlich holprig wie der Name ist und der dazu führte, dass weniger die seinerzeitigen Versprechen von Transparenz, als das Gerücht, ihre Installation könne für alle verpflichtend werden, im Vordergrund stand.

Vertrauen durch Transparenz

Der Source Code der App ist auf github einsehbar, NGOs wie unter anderem NOYB und Epicenter works haben die App sowohl hinsichtlich des Datenschutzes als auch eventuelle Schwachstellen geprüft und ihre Reports veröffentlicht, die der App unterm Strich ein positives Zeugnis ausstellen. Besser geht’s natürlich immer, grobe Mängel, oder gar Verletzungen der Privatsphäre wurden allerdings nicht festgestellt.

Privacy by design stand beim Roten Kreuz, so Foitik, auch immer im Vordergrund. Etwas zu wortwörtlich betraf das am Anfang leider auch den Source Code, der nicht öffentlich war. Userinnen und Usern blieb lediglich, den Entwicklern zu glauben und zu vertrauen, oder nicht. Die spätere Transparenz und die Veröffentlichung des Source Codes, kamen erst, nachdem insbesondere auf sozialen Medien heftige Debatten ausgebrochen waren. Allem voran die Frage, inwieweit die App weiterentwickelt werden könnte, um etwa von Update zu Update mehr Informationen zu sammeln. Der wohl größte Imageschaden entstand durch die Aussage von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, der sich für eine verpflichtende Nutzung aussprach. Eine Grundsatzdiskussion, ob und inwieweit eine überwachte Gesellschaft eine Lösung darstellt, um die Pandemie unter Kontrolle zu bekommen, entbrannte.

Screenshot Stopp Corona App

Youtube-Screenshot Stopp Corona App

Der einzig gangbare Weg, um das Vertrauen zurückzugewinnen: Transparenz. NGOs wurden eingeladen, die „Stopp Corona“-App zu prüfen, der Source Code wurde veröffentlicht. Foitik: „Tatsächlich, glaube ich, ist es eine gute Lösung, die wir jetzt für unsere Gesellschaft haben. Denn eine technisch optimale App, die alles kann, aber die von den Nutzerinnen und Nutzern verlangt, ihre Anonymität aufzugeben und sich zu identifizieren und die dann aber keine Akzeptanz mehr in der Gesellschaft hat, nützt auch nichts. Wenn sie keine Akzeptanz hat, wird sie nicht verwendet. Natürlich variiert das von Kultur zu Kultur und von Kontinent zu Kontinent. In Europa glauben wir, dass eine anonyme App, die mir möglichst viel Privatsphäre und Datenschutz gewährleistet, der richtige Weg ist, um eine möglichst breite Akzeptanz zu finden. Die ist notwendig, damit die App ihre Wirkung voll entfalten kann. Daher haben wir uns von Anfang an dafür stark gemacht, dass die Stopp Corona App unter Berücksichtigung hoher Datenschutzstandards und im privacy by design-Ansatz entwickelt wird.“

Der Weg aus der Krise (in einen schönen Herbst)

Mit vergleichsweise wenig Neuinfektionen (hier geht’s zu den Daten und Karten:) und den Lockerungen der Maßnahmen, geriet auch die Stopp-Corona-App ein wenig in Vergessenheit. Jetzt, mit mehr positiven Tests und verschärften Maßnahmen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ängsten vor einem zweiten Lockdown, einer neu hinzugekommenen Corona-Ampel, die anhand eines Farbleitsystems visualisieren will, in welchen Gebieten ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht, tauchte auch die Frage auf: Was wurde eigentlich aus der „Stopp Corona“-App?

Die letzte Weiterentwicklung liegt Monate zurück. Pläne zur Weiterentwicklung gibt es einige, Geld für die Umsetzung nicht. Die zwei Millionen Euro-Spende der UNIQA-Versicherung ist so gut wie aufgebraucht. Foitik: „Als erste Weiterentwicklung steht die Interoperabilität mit anderen Apps aus Europa an. Daran hat die EU-Kommission seit Mai gearbeitet und mit letzter Woche ist ein Pilot-Server online gegangen, mit dem der Abgleich auch grenzüberschreitend möglich ist. Hier nehmen einige Länder pilotweise teil. Der zweite Punkt ist leider, dass die App noch nicht barrierefrei genug ist, um allen Menschen in Österreich gerecht zu werden, hier wollen wir noch Verbesserungen vornehmen." Zusätzlich muss die App laufend technisch angepasst werden - für die finanziellen Mittel dafür laufen aktuell Gespräche mit dem Gesundheitsministerium.

Die App könnte, wenn sie genug Menschen nutzen, eine wichtige Funktion einnehmen, um eine zweite Welle zu verhindern, ist Foitik überzeugt. Jetzt, wo die Anzahl an positiven Testungen wieder steigt, heißt es aber vor allem, Geduld zu wahren und sich nicht irritieren zu lassen, wenn Maßnahmen nicht sofort bemerkbar sind.

Fixes (unbekanntes) Ablaufdatum

Egal wie hoch die Kosten, wie vielfältig die Features, oder auf wie vielen Smartphones, sich die „Stopp Corona“-App schlussendlich wiederfindet; sobald die Coronavirus-Erkrankung keine Gefahr mehr darstellt, wird sie deaktiviert, aus den Stores genommen und uns und unsere Smartphones verlassen. Ihre Lebenszeit ist an die Pandemie gebunden. Dass sie für zukünftige ähnliche Ereignisse von Nutzen sein könnte, bezweifelt Foitik:

„Diese App ist sehr speziell auf die Coronavirus-Erkrankung zugeschnitten. Würde ein neues Virus zum Beispiel im Jahr 2040 auftauchen, das ganz ähnliche Eigenschaften hat, dann könnte der Grundgedanke noch ein Rolle spielen, allerdings entwickelt sich wohl nichts auf der Welt so schnell, wie die Informationstechnologie und Smartphones und dergleichen. Ich bezweifle also, dass wir in 10, 20 Jahren noch aus Erfahrungen der App aus dem Jahr 2020 zehren werden, weil bis dahin werden wir ganz andere Technologien zur Verfügung haben, um auch ein ähnliches Virus wie dieses Coronairus mit Technologie zu bekämpfen“.

Was bleibt, sind Erfahrungen. Über die App fand eine Auseinandersetzung mit Themen wie Transparenz, Überwachung, Freiheit und Privatsphäre statt. Über das Redesign verdeutlichte sie auch die Möglichkeiten einer gesellschaftlichen Einflussnahme auf das Design von Produkten. Etwas, was, umgeben vom Sirenengesang großer Unternehmen, deren Preis für die angebotene Unterhaltung jene Daten darstellen, die im Zuge der Pandemie so vehement verteidigt wurden, fast schon in Vergessenheit geraten zu sein schien.

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