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Fleet Foxes und ihr neues Album "Shore"

Christian Lehner

Die Fleet Foxes und „Shore“

Wieder so ein unangekündigter Album-Release! Mit der Wiederentdeckung der Leichtigkeit soll „Shore“ von den Fleet Foxes aus Seattle die von Corona geplagte Welt etwas aufmuntern und schon beginnt alles zu schweben.

Von Christian Lehner

Wenn sich Musik in die eigene Biografie einbrennt, hat sie einen ihrer Urzwecke erfüllt - fragt mal den Teenager in euch! Aber das mit der bleibenden Seeleneinbrenn funktioniert auch noch später. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Sommerurlaub in Upstate New York.

Es war das Jahr 2009 und es war heiß in der großen City. Also raus auf’s Land und ab Richtung Catskill Mountains. Wir erlebten viele Abenteuer. Da war zum Beispiel ein aus dem letzten Loch pfeifender Autoreifen auf einer einsamen Waldstraße in einer rabenschwarzen Nacht, das 40. Jubiläum von Woodstock, ein Demolition Derby auf einer County Fair, eine Bed and Breakfast-Ruine in einem chassidischem Dorf und eine gemütliche Kanufahrt auf dem Delaware River, die uns später in ungemütliche Stromschnellen führen sollte. Wir haben überlebt.

Unser treuer Wegbegleiter über Stock und Stein war das erste Album der Fleet Foxes, das ein Jahr zuvor erschienen war und keinen Titel trug. Wir ließen unsere Zehen zu „Sun It Rises“ aus der Bettdecke hervorlugen, machten uns mit (dem geografisch weiter entfernten) „Blue Ridge Mountains“ im Ohr auf zum Wandern in der Big Indian Wilderness und genossen die Abende auf unserer Porch mit „Quiet Houses“ und ein paar Dosen PBR.

Folk Revival in den Nullerjahren

Nach Jahren der von Brooklyn ausgehenden und experimentierfreudigen Freak-Folk-Szene rund um Acts wie Animal Collective, Devendra Banhart oder Coco Rosie markierte das Debüt der Fleet Foxes aus Seattle die Rückkehr zur traditionellen Form, zum Wohlklang und zur mehrstimmigen Harmonie im Geiste von Crosby, Stills, Nash & Young und Simon & Garfunkel.

Das Debüt der Fleet Foxes wurde von der Fachwelt und den Fans begrüßt, die Rückbesinnung auf die Tradition führte aber auch zu Spott. Kritiker wie Kevin Gaynes vom NME sahen gar einen neuen Biedermeier heraufziehen, der es sich in einer Pseudo-Authentizität zwischen Soja-Latte, Finger Picking, Smartphone und Holzfällerhemd gemütlich machte. Gaynes zitierte den Metal-Musiker Conor Kiley, der diese softe Welle mit dem Attribut „fucking canoeing music“ belegte, was im Fall unseres Upstate-Urlaubs wortwörtlich stimmte!

Mit „Helplessness Blues“ ließen die Fleet Foxes 2011 ein stimmiges Album folgen, ehe Drummer Josh Tillman die Band verließ und fortan als Father John Misty seine eigene launige Karriereweg beschreiten sollte. Fleet Foxes Frontmann Robin Pecknold schlitterte in eine persönliche Krise und legte das Bandprojekt auf Eis.

Pecknold konnte das tun, weil er im Wesentlichen die Band ist. So wie Kevin Parker von den australischen Psych-Rockern Tame Impala schreibt Pecknold die Texte und Musik allein. Er spielt die meisten Instrumente selbst ein und tritt auch als Produzent der Fleet Foxes auf. Der Rest der Truppe kommt erst bei der Tour ins Spiel und hilft gelegentlich bei den Aufnahmen.

Fleet Foxes und ihr neues Album "Shore"

Christian Lehner

Robin Pecknold beim FM4-Interview in den Hansa Studios in Berlin 2017

Pecknold begann auf der Columbia University zu studieren, startete eine Handwerker-Lehre und surfte allein mit sich am Pazifik rum. Sein kompliziertes Leben goss er in komplizierte Songs und veröffentlichte 2017 mit den wiedervereinten Fleet Foxes das Album „Crack-Up“. Der Gesang blieb hell, doch die Arrangements wurden dunkler. „Crack-Up“ war ein Exorzismus zwischen Orson-Wells-Referenzen, fernöstlichem Spiritualismus und mehrgliedrigen Songs. Diese (noch immer) sanfte sinfonische Psychedelic hatte ihre Reize, doch die Blue Ridge Mountains schienen nun so weit entfernt wie der Mount Fuji.

Die Wiederentdeckung der Leichtigkeit

Und nun die Überraschung. Mit nur einem Tag Ankündigungsvorlauf veröffentlichte Pecknold am vergangenen Dienstag das vierte Fleet Foxes Album. Und siehe da, Pecknold hat die Wolken zur Seite geschoben und wieder Licht und Luft in die Songs gelassen.

„Shore“, also Strand, lautet der Titel des Albums. Im Beipacktext erklärt Robin Pecknold, dass er beim Surfen einen Unfall hatte und es fast nicht mehr zurück zum Strand geschafft hätte. Der Titel ist also eine Note an den Sand unter seinen Füßen, den er spürte, als er wieder an Land kam. Wenn man beinahe als Haifischfutter geendet wäre, stellt sich mitunter eine neue Perspektive auf das Leben ein. Bei Pecknold war es Dankbarkeit für das Musikerdasein und die Menschen, die ihn dabei begleitet und inspiriert haben.

In dem Stück „Sunblind“ dankt Pecknold all seinen musikalischen Vorbildern, die bereits aus dem Leben geschieden sind: so etwa der Folksängerin Judee Sill, David Berman von den Silverjews und John Prine, der im April an Covid-19 verstorben ist.

„Shore“ knüpft an den Existentialismus von „Crack-Up“ an, um aus der Tiefe wieder an die Oberfläche zu kommen. Pecknold will das Album als Musiktherapie in Pandemie-Zeiten verstanden wissen. Bereits 2018 hatte er begonnen, Melodien und Arrangements zu schreiben. Wie immer sollten die Texte im Anschluss folgen, doch dann kam im Frühjahr 2020 der Lockdown und bei dem in New York Untergetauchten setzte eine mehrmonatige Schreibblockade ein.

Shutdown und Schreibblockade

Erst lange Autofahrten hätten ihm geholfen, Worte für die Musik zu finden. Geholfen haben auch die Fans, denn für das hymnische „Can I Believe You“ hat Robin Pecknold via Instagram um Stimmbeigaben und Instrumentals gebeten.

Fleet Foxes und ihr neues Album "Shore"

Anti Rec

In „Maestranza“, einem von Bill Withers inspirierten Stück und „Young Man’s Game“ geht es in Sachen Dynamik sogar richtig zur Sache. Natürlich entfacht Pecknold auch dieses Mal wieder die Natur. Wenn die Vöglein zu singen beginnen, die Gitarrenbäuche schnaufen, der das Album begleitende 16mm-Roadmovie von Kersti Jan Werdal die wilde Landschaft des pazifischen Nordwestens satt ins Bild rückt, heulen die Haters wie die Wölfe, während sich die Fans entzückt in die Blumenwiese fallen lassen.

Pecknold, der sich privat politisch engagiert, scheut in seinen Texten die Konfrontation. Bezüge zum aktuellen Geschehen in den USA sucht man vergeblich. Die Polemik überlässt er Folk-Kollegen wie Connor Oberst und Sufjan Stevens. Politisches findet sich aber doch, etwa im Song „Jara“. Dort verneigt sich Pecknold vor dem chilenischen Folk-Sänger und Aktivisten Victor Jara, der 1973 vom putschenden Militär ermordet wurde.

„You were never afraid of fighting, you blame an angry god
And when you see the first sign of violence, you bear it all as hard“ - Song „Jara“

Wie immer hat Robin Pecknold die Songs zum Großteil allein geschrieben, eingespielt und produziert. Als einzige Konstante scheint in den Liner Notes die Tontechnikerin Beatriz Artola auf, die die verschiedenen Aufnahme-Sessions in Los Angeles, New York und Paris betreute. Statt der üblichen Fleet Foxes-Besetzung sind dieses Mal Indie-Stars wie Daniel Rossen von Grizzly Bear oder Kevin Morby als Gäste dabei. So auch die Sängerin Uwade Akhere. Ihr gehören im Eröffnungsstück „Waiting In Waist-High Water“ die ersten Zeilen des Albums:

Es ist irrsinnig viel los in diesen Stücken. Pecknold hat seine Prog-Rock-Tendenzen vom letzten Album nicht zu Gänze abgeschüttelt. Und trotzdem wirken die Songs aufgeräumt und federleicht. Nach einer Weile stellt sich beim Hören ein Gefühl des Schwebens ein.

„Shore“ ist ein musikalisch anspruchsvolles Album geworden, das im Gegensatz zum Vorgänger aber nie anstrengend klingt. Das war schon die große Kunst der frühen Fleet Foxes. Robin Pecknold hat diese Fähigkeit zum richtigen Zeitpunkt wiederbelebt. Schade, dass es wohl noch längere Zeit nichts mit einem Trip nach Upstate New York werden wird.

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