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Wuhan Diary

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„Die Seelen der Toten wandern noch immer durch Wuhan“

Die Schriftstellerin Fang Fang ist eine von über 9 Millionen Personen, die den Lockdown im chinesischen Wuhan miterleben mussten. Nun ist ihr vielbeachtetes Tagebuch in Windeseile auf Deutsch erschienen. Und auch ein Tagebuch Heinrich Heines erzählt von einer abgesperrten Stadt.

Von Christian Pausch

Am 21. Jänner diesen Jahres notiert die chinesische Autorin Fang Fang bereits, was einige wenige Monate später auch für uns in Österreich gelten wird: „Keine gemeinsamen Treffen, das Haus nicht verlassen, nicht den Coolen spielen, wenn man ausgehen muss, Schutzmasken tragen, häufig die Hände waschen (...) Passt auf euch auf, damit helft ihr anderen.“

Zwei Tage später wird Fang Fangs Heimatstadt, die Millionenmetropole Wuhan, komplett von der Außenwelt abgeriegelt. Die Schriftstellerin ist eine von insgesamt 9 Millionen Menschen, die ihre Wohnungen und Häuser nicht mehr verlassen dürfen. Nicht mitgezählt sind ein paar weitere Millionen Wuhaner*innen, die sich zum Zeitpunkt der Abriegelung außerhalb der Stadt befinden und nicht mehr hineindürfen.

Ich habe keine Lösung, ich zeichne nur auf.

Fang Fang beginnt, ihr Tagebuch öffentlich zu führen. Auf Plattformen wie WeChat oder sina.com stellt sie fast jeden Tag im Lockdown einen Eintrag online. Viele davon werden von den chinesischen Behörden zensuriert, weil sie nicht davor Halt macht auch Kritik zu üben:

„27. Februar: Die zwei Sätze ‚Das Virus überträgt sich nicht von Mensch zu Mensch‘ und ‚Das Virus ist kontrollierbar und eindämmbar‘ haben den Menschen in Wuhan unermessliches Leid zugefügt.“

Dass das offizielle China anfangs versuchte das Virus herunterzuspielen, und somit viel zu viele Tote in Kauf nahm, ist ein immer wiederkehrendes Thema im „Wuhan Diary“ von Fang Fang. Gegen diese Ungerechtigkeit schreibt sie an und um den unzähligen Opfern ein Denkmal zu setzen.

Wuhan Diary

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„Wuhan Diary - Tagebuch aus einer gesperrten Stadt“ von Fang Fang ist aus dem Chinesischen von Michael Kahn-Ackermann übersetzt worden und bei Hoffmann und Campe erschienen.

Auch die depressiven Stimmungen der in Wuhan eingesperrten Menschen, die vielen unsichtbaren Folgen des Virus und der Virus-Politik spricht Fang Fang in ihrem Tagebuch an. Sie prangert an, dass es trotz der vielen Toten keine Maßnahmen der Regierung zur Trauerbewältigung gibt und fordert:

Schafft einen Raum, wo wir gemeinsam weinen können!

Schon jetzt ein Standardwerk

Das „Wuhan Diary“ der Fang Fang ist ein Zeitdokument, das ganz bestimmt von späteren Generationen zum Verständnis der Lage in Wuhan und diesem schlimmen Jahr 2020 gelesen werden wird. Es ist schon jetzt ein Standardwerk, das dank der flinken Übersetzungsarbeit auch Menschen, die kein Chinesisch sprechen, nicht mehr verwehrt bleibt.

Fang Fang stellt im Laufe ihrer Aufzeichnungen nie den Anspruch, alle Facetten der Krise abzudecken, sie beteuert an mehreren Stellen auch, dass das Ihrige nicht das einzige Tagebuch sei, das in Wuhan während des Lockdowns verfasst wurde: „Jede dieser Aufzeichnungen ist wertvoll. (...) Ein individuelles Tagebuch [sagt] wenig aus, noch weniger bildet es das Ganze ab. Wenn man jedoch die Tagebücher unzähliger Leute zusammenstellt, erhält man eine ziemlich wahrheitsgetreue Dokumentation aller Koordinaten und Prozesse.“

Heinrich Heine - "Ich rede von der Cholera"

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„Ich rede von der Cholera - Ein Bericht aus Paris von 1832“ von Heinrich Heine ist bei Hoffmann und Campe erschienen.

Parallelen zum Choleraausbruch in Paris

Ein anderes Tagebuch aus einer gesperrten Stadt soll hier nicht unerwähnt bleiben, wurde es doch extra in diesem Jahr neu aufgelegt. Heinrich Heine berichtet darin aus Paris im Jahre 1832, in dem die Cholera wütet und mehr als 20.000 Menschen in den Tod reißt. Heine selbst geht in seinen Aufzeichnungen von 35.000 Toten in Paris aus. Der Schriftsteller entscheidet sich freiwillig, im von der Cholera verseuchten Paris zu bleiben, um einem erkrankten Cousin beizustehen, und ist bald nur noch einer von Wenigen, die sich überhaupt auf die Straße trauen. Kokett schreibt er an einen Freund: „Es war nicht eigentlicher Mut, dass ich nicht ebenfalls von Paris entfloh, (...) ehrlich gesagt, ich war zu faul.“

Die Parallelen zum Coronavirus sind brandaktuell. Anfangs herrscht auch in Paris 1832 Verwirrung, dann steigen die Todeszahlen, es kommt der Lockdown, die leeren Straßen, Plätze und die Folgen der Seuche: soziale Missstände, Depression. Und Heine hat auch den Cholera/Corona-Leugnern etwas entgegenzusetzen:

Nur ein Tor konnte sich darin gefallen, der Cholera zu trotzen.

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