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Das neue Roisin Murphy Album "Roisin Machine"

Skint Records

Róisín Murphy: „Disco ist ein Feeling, kein Stil“

Ein Interview mit der irischen Popkünstlerin Róisín Murphy über ihr neues Album „Róisín Machine“, ihren Lockdown-Disco und Augenbrauen, die aussehen wie ein Gemälde von Otto Dix.

Von Christian Lehner

Die Discokugeln stehen still, die Dancefloors sind verwaist, der Trockennebel hat sich verzogen. Fuck Corona! Róisín Murpyh vermisst die Clubs, aber sie weiß noch immer, wie man feiert. Das neue Album der 47-Jährigen ist eine Hommage an die frühen Tage der britischen Clubkultur, an House und Disco im 90’s-Outfit, an tief grollende Bässe und sich überschlagende Vocals. Unsere Zoom-Session an einem Montagvormittag begeht Murphy mit einem Glas Weißwein am Tisch und einer lustigen Zigarette in der Hand. Darunter (und am noch immer breiten irischen Akzent) leidet die Verständlichkeit, deshalb hier kein Interview-Podcast, sondern ein Transkript des Gesprächs.

Christian Lehner: Bei einem Dance-Album mit dem Wort „Machine“ im Titel denke ich an Kraftwerks „Die Mensch- Maschine“, an Techno-Philosophie aus Detroit oder an Sampler, Drum-Machines und Sequenzers. An was dachtest du, als du für das neue und fünfte Album den Titel „Róisín Machine“ gewählt hast?

Róisín Murphy: Den habe ich mir gar nicht ausgedacht. Ein Freund von mir, der irische DJ Mano Le Tough, nennt mich so. Jedes Mal, wenn wir uns sehen, ruft er: „Hey Róisín, you are a Róisín Machine!“ Ich sehe mich zwar eher als „Soft Machine“, aber mir gefiel das trotzdem, weil ich ja tatsächlich sehr viel arbeite und die Kontrolle über alle Bereiche meiner Musik haben möchte. Außerdem ist es eine gute Anleitung, meinen Namen richtig auszusprechen: Roschiiiiiiin.

Das ist Irisch und bedeutet …

… Kleines Röschen.

Kritiker nennen dich „Art Pop Queen“, oder „Princess Of Glam“, wie nannte dich deine Großmutter?

Du kleine Made!

Was beim neuen Album sofort auffällt: Du tauchst tief ein in die Clubsounds der 90er-Jahre, in House, Disco, wie man ihn in den 90ern gedeutet hat, und ein bisschen Breakbeat und Techno.

Das Album geht zurück auf meine ersten Rave-Tage in Sheffield. Ich war damals 19. Die Szene war klein, jeder kannte jeden. Ich lernte DJ Parrot kennen und sah ihm oft beim Auflegen zu. Er war so gut! Doch dann stahl jemand seinen DJ-Koffer mit seltenen 7-Inches und seither hat er nie wieder aufgelegt. Er hat sich dann als Crooked Man und mit der Band The All Seeing I einen Namen gemacht. Wir wollten schon immer zusammenarbeiten.

„Jeder Tag ist ein Wunder. Ich sehe noch immer verdammt gut aus und ich mache noch immer verrückte Musik.“

Und es hat erst jetzt geklappt?

Nein, er war bereits auf dem Album „Overpowered“ (zweites Soloalbum, erschienen 2007, Anm.) dabei und auch dort für die wenigen House- und Disco-Parts zuständig. Ich wusste, wenn ich tiefer in die Materie eintauchen möchte, dann brauche ich DJ Parrot. Wenn das deep werden soll, kann man diese Musik nicht in einem Konferenzraum einer großen Plattenfirma entwerfen. Ich finde, man hört den Unterschied.

Das klingt wie eine leise Kritik am aktuellen Zustand von Dance-Music, die sich ja auch über Künstlerinnen wie Dua Lipa oder Lady Gaga in den Charts findet.

Nein, dafür ist das Album zu alt. Die ersten Tracks sind vor langer Zeit entstanden – „Simulation“ und „Jealousy“ haben fast 10 Jahre auf dem Buckel. Es geht also nicht um den Moment. So ticke ich nicht. Ich suche einfach neue Herausforderungen. Die letzten Alben waren manierlich und etwas verkopft, eine EP habe ich auf Italienisch eingesungen. Dieses Album führt mich zurück zu den Anfängen. Es geht da auch um langjährige Freundschaften. Aber na gut, okay, es wird wohl auch Kritik am aktuellen Zustand von Dance beinhalten – weniger, weil wir das vorhatten, sondern wie wir es umgesetzt haben. „Róisín Machine“ ist nur eine Facette dieses Projekts. Daneben existieren noch jede Menge Remixes, die auch auf Vinyl erhältlich sind. Die Tracks sind nicht eingesperrt, sie haben viele Gestalten – so wie ein gutes DJ-Set.

Was läuft falsch in der aktuellen Dance-Kultur?

Dance ist heute global. Es gibt kaum mehr regionale Unterschiede. Früher wusste man genau, woher ein Tune kam. Bleep House, Sheffield, Manchester, Warp Records … von welchem Label, von welcher Stadt. Die Globalisierung hat elektronische Musik zwar überall verankert, aber jetzt klingt die halt auch überall gleich.

Momentan steht die globale Discokugel still.

Wenn es etwas Gutes an der derzeitigen Situation gibt – und ich hasse sie zutiefst – dann, dass man vielleicht den Wert der lokalen Szenen und Clubs wiederentdeckt und nicht so sehr auf die großen Festivals schielt. Es geht dabei nicht um Provinzialität, sondern um Individualismus und Vielfalt.

Während der ersten großen Pandemiewelle im Frühjahr haben viele Acts auf Wohnzimmerkonzerte gesetzt. Ich muss gestehen, dass ich kaum etwas Schöneres, Wilderes und Kreativeres gesehen habe als deine Sessions.

Danke, das liegt daran, dass ich ein Show-Off bin! Ich inszeniere mich gerne. Ich bastle an Outfits, an Möglichkeiten, den Sound gut rüberzubringen. Das kann ich, das möchte ich tun.

Hatte der Lockdown irgendeinen Einfluss auf das Album?

Ja. Wir hatten die Tracks zwar zum Großteil schon beisammen, aber wir haben dann einige Stücke nachbearbeitet. „Something More“ zum Beispiel klang vor Corona nach heißem Verlangen. Die Albumversion ist wesentlich melancholischer geworden – wie ein Nachruf auf eine Zeit, die nicht mehr ist. Ich glaube, die Clubkultur wird überleben, aber sie wird anders sein.

„Depeche Mode sind Disco, The Cure sind Disco und die verdammten Nine Inch Nails sind Disco!“

Eine Qualität des Albums ist, dass es trotz der 90’s-Referenzen und dem Corona-Schlamassel fast nie nostalgisch klingt, sondern wie ein Fest des Lebens.

Das verdanke ich DJ Parrot! Er hat 20 Jahre keinen Club von innen gesehen, aber er weiß noch ganz genau, wie sich das anfühlt, der Schweiß auf der Haut, das Grummeln der Bässe im Bauch, er hat das nicht vergessen.

Das neue Roisin Murphy Album "Roisin Machine"

Skint Rec

„Róisín Machine“ erscheint am Freitag, den 2. Oktober auf Skint Records

Frisch klingt es vielleicht auch deswegen, weil House und Disco wieder vermehrt in aktuellen Charts-Produktionen auftauchen. Wenn ihr das Album schon vor 10 Jahren angefangen habt, treffen sich per Zufall zwei Entwicklungen.

Ach, immer dieser Unsinn mit dem Disco-Revival! Es heißt Disco, weil es eine Disc ist mit der aufgelegt wird und Menschen tanzen dazu. Disco ist ein Feeling, kein Stil. Das habe ich bei François Kevorkian gelernt. Depeche Mode sind Disco, The Cure sind Disco und die verdammten Nine Inch Nails sind Disco! Umgekehrt können einem bei einem vordergründigen Disco Track die Füße einschlafen. Je mehr Genres und kulturelle Clashes in den Mix fließen, desto mehr Disco ist es. Es gibt keine pure Form!

Wie würdest du deinen aktuellen Style bezeichnen? Mir sind vor allem die massiven Augenbrauen aufgefallen. Sie sehen aus wie aus einem Otto Dix-Gemälde.

Yeah, das mag ich, genau so! Sonst würde ich meinen aktuellen Stil „slag“ (bitte selbst googeln …, Anm.) nennen.

Gibt es ein Thema, das dich begleitet, das du über sämtliche Alben ziehst?

Ich denke nie in Konzepten, wenn es um die Texte geht. Die Psychoanalyse kommt erst ins Spiel, wenn ich die fertige Arbeit auf mich wirken lasse. Dann denke ich darüber nach, was ich da eigentlich gemacht habe. Aber ich würde sagen, bei mir geht es um eine etwas altmodische Form von Individualismus. Wenn jemand in Schwierigkeiten steckte, pflegte mein Vater zu sagen: „We don’t get to make ourselves“. Ich hörte mir das lange an und irgendwann erwiderte ich: „Doch, wir haben es sehr wohl selbst in der Hand.“ Wir alle bekommen so viel mit, wenn wir aufwachsen, so viel, das uns in bestimmte Schichten, Berufe und Familien einteilt. Man kann sich dem nur schwer entziehen, aber man kann dieser Prägung etwas Eigenes hinzufügen, etwas, das du selbst geschaffen hast, etwas, das du sein willst.

Was willst du sein?

Ich habe alles! Jeder Tag ist ein Wunder. Ich sehe noch immer verdammt gut aus und ich mache noch immer total verrückte Musik. Das ist es, was ich sein will.

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