FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Tanzende Menschen in einem Club

Mila Zytka

Leere Plattenteller

Wegen der Coronavirus-Krise kämpfen viele Clubs und die Nachtgastronomie ums Überleben. Die jüngsten Beschränkungen durch die Behörden bedeuten de facto einen zweiten Clubkultur-Lockdown. Betreiber*Innen und Veranstalter*Innen sagen unisono: „Uns geht langsam die Luft aus.“

Von Paul Pant

Es war eine Hiobsbotschaft für die Clubszene, als Bundeskanzler Sebastian Kurz in einer eilig einberufenen Pressekonferenz am 17. September verkündete: „Wir müssen jetzt reagieren, um einen zweiten Lockdown zu verhindern.“ Damit wurde eine Verschärfung der Coronavirus-Maßnahmen eingeleitet und der neuerliche Clubkultur-Lockdown besiegelt. Der Clubbetrieb, der im Sommer langsam wieder angelaufen ist, war vorbei.

Sitzkonzerte und Renovierungsarbeiten

Schauplatzwechsel in den Wiener Club The Loft. Es wird ausgemalt, neue Deko und Schriftzüge werden angebracht. Mike Tscholl und sein Team haben ein neues Café in den Eingangsbereich gebaut. „Jetzt ist ja auch Zeit dafür“, sagt er. Es ist die letzte Etappe umfangreicher Renovierungsarbeiten, die das Loft zum zehnjährigen Jubiläum letztes Jahr gestartet hat. „Das Café mit Sitzplätzen passt nun umso besser“, sagt Mike.

Der Clubbetrieb habe sich aber erledigt, erzählt Mike. Mit den neuen Einschränkungen muss man überall im Lokal eine Maske tragen, außer man sitzt auf seinem Platz. Dazu müssen die persönlichen Daten der Gäst*Innen aufgenommen werden. Tanzen und Barbetrieb sind nicht mehr möglich, Sitzkonzerte und Cafétrinken eingeschränkt noch.

Mit dem Anstieg der Covid-19-Erkrankungen und den neuen Beschränkungen sind alle Konzepte wieder hinfällig, die man sich im Loft ausgedacht hat, sagt Mike Tscholl. Jetzt versucht man, mit einer Mischung aus Konzerten, Kabarett und Poetry Slam mit eingeschränkten Besucher*innen-Zahlen über die Runden zu kommen.

Ganz zusperren will und kann man sich in der aktuellen Situation nicht leisten. Bei den Clubs und Lokalen am Wiener Gürtel gibt es einige, die jetzt nicht mehr aufsperren, erzählt Mike. Ob sie es nach der Krise wieder tun, dazu will Mike keine Prognose abgeben. „Es wird aber einige geben“, die es nicht schaffen, ist er überzeugt.

Drei Menschen sitzen gemütlich zusammen

Mani Froh

Nicht nur die Clubbetreiber*Innen ringen um Ihre Existenzen. Veranstalter Gerald Wenschitz, besser bekannt als Gerald VDH erzählt, dass es derzeit „eine ziemlich ‚schiarche‘ Situation und eine Katastrophe ist“. Es kämpfen alle ums Überleben. Gerald VDH veranstaltet an die 30 Partys pro Jahr, unter anderem das „Meat Market“ oder „Mutter“.

Das Schweizer Modell

Gerald sagt, dass er die Beschränkungen aufgrund der steigenden Infektionen absolut nachvollziehen kann. Was ihn ärgert und er auch anprangert, ist der Graubereich im Sommer, wo es Lockerungen gab, aber keine Unterstützung für die Clubs, um Sicherheitskonzepte zu etablieren. „Es gab eine Zeit, wo man hätte sicherer Feiern können“, erzählt er.

Das zeige auch das Positivbeispiel Schweiz und wie dort die Clubs unterstützt wurden. Die Sicherheitskonzepte für Clubs sahen das Feiern und Tanzen mit Maske vor, Anmeldung zum Clubbesuch und Zuweisung eines Timeslots, wann man erscheinen soll, Contact-Tracing bei Verdachtsfällen und leise Musik an der Bar, damit man sich unterhalten kann. Die umfangreichen Änderungen für sichere Partys hätten zwar einen Eingriff in die persönliche Freiheit bedeutet, „aber es ist halt ein großer Unterschied zwischen so einer Party und gar keiner Party“, sagt Gerald VDH. Bei den Experimenten, die er machen durfte, habe man sehen können, dass es sehr gut angenommen wurde und auch funktioniert hat, erzählt er und fühlt sich von Bund und Land im Stich gelassen.

Ganze Szenen betroffen

Die Angebote, die es derzeit zum Beispiel von der Stadt Wien gibt, sind auch für Therese Kaiser zu wenig. Sie ist bekannt unter ihrem Künstlernamen Therese Terror, Begründerin des Rrriot-Festivals, Teil des Bliss-Kollektivs, und im Jänner hat sie ihre Residence in der Grellen Forelle gestartet. Das umfangreiche Programm musste im März komplett abgesagt werden.

Therese meint, dass die zugesagte Clubförderung der Wirtschaftsagentur Wien mit drei Millionen Euro für die Lokale einerseits zu niedrig sei und auf der anderen Seite den richtigen Kulturproduzent*Innen nichts bringe, weil sie nicht einreichen können. Die wirtschaftliche Ebene, dass Clubs finanziell unterstützt werden müssen, wenn sie de facto geschlossen werden, sei auch nur eine Seite, sagt Therese. Auf der anderen Seite müssten auch die Veranstalter*innen, Künstler*innen, Kollektive und vielen kleinen Szenen Hilfe bekommen, die Wien ständig mit anspruchsvollem Programm füttern.

Was jetzt drohe, sei ein Club- und Kultursterben. Auch Therese vermisst die Unterstützung der Politik. „Die Ansage, wir sollen doch den Wintertourismus retten, indem wir alle brav zu Hause bleiben, steht symbolhaft für die Art und Weise, wie die Clubszene von Seiten der Bundesregierung betrachtet wird, nämlich als etwas, das man einfach abdrehen kann, das man aussitzen kann“, sagt Therese. Und geschlossene Clubs würden auch nicht zu mehr Sicherheit führen, wenn die Partys dann im privaten Bereich ohne Sicherheitskonzepte stattfinden.

Viele Menschen auf dem Gehsteig vor dem Loft in Wien

Sammy Kreutz

Clubs als Orte der Diversität

Therese glaubt auch, dass es sehr schwierig wird, wenn die Handvoll Clubs zusperren, die Programm machen, das man Clubkultur nennen kann. „Ich habe Angst, dass Martin Ho kommt und daraus irgendwelche Sushi Discos macht“, sagt sie. Wenn das passiere, werde man diese auch nicht mehr zurückerobern können.

In Wirklichkeit würde es jetzt schon mehr Safe Spaces und Orte der Diversität brauchen. Therese Terror würde sich wünschen, dass die Stadt Wien herangeht und neue Räume öffnet für Veranstalter*innen und Kollektive in Wien.

Finanzielle Hilfe kommt nicht an

Laurent Koepp von der Vienna Club Commission sieht die Situation für die Clubs und Kulturschaffenden auf den Stand während dem ersten Lockdown zurückgeworfen. Finanzielle Hilfen blieben momentan aus bzw. könnten die Betroffene zu wenig von den derzeitigen Hilfspaketen abrufen.

Mike Tscholl aus dem Loft erzählt zum Beispiel, dass im Moment nur die Kurzarbeit in Anspruch genommen werden kann. Allerdings sei selbst das für manche Clubs schwierig, sagt Laurent Koepp. Geschlossene Lokale können ihre Mitarbeiter, die sie halten wollen, nicht einmal für 30 Prozent beschäftigen, weil irgendwann ist nach einem halben Jahr auch genug geputzt, repariert und Inventar gemacht.

Mitte September ist dazu der 75-prozentige Fixkostenzuschuss ausgelaufen. Aktuell wird verhandelt für ein neues Modell, das 100 Prozent der Fixkosten abdecken soll. Allerdings scheitern die Absichten des Finanzministeriums an einem Streit zwischen Österreich und der EU-Kommission.

Der Knackpunkt der Auseinandersetzung liegt darin, dass Österreich allen von der Krise betroffenen Unternehmen eine großzügige Unterstützung gewähren will. Die EU-Kommission verlangt aber eine Differenzierung zwischen denen, deren Geschäft wegen staatlicher Coronavirus-Maßnahmen still steht, und denen, die zwar unter den Folgen der Wirtschaftskrise leiden, aber doch grundsätzlich wieder Umsatz machen.

„Luft geht aus“

Laurent Koepp sagt, dass viele jetzt monatelang durchgehalten haben, irgendwie versucht haben, die Moral hochzuhalten, nun aber den Clubbetreiber*innen als auch den Veranstalter*innen, die das professionell machen, langsam die Luft ausgeht. Wenn es so weitergeht, werde es bald stockdunkel in der Clublandschaft aussehen.

Auch Therese Terror macht sich große Sorgen um die Szenen. Sie hat Angst um die vielen Existenzen und Menschen, die immer mehr in die Ecke gedrängt werden. Ein wenig optimistischer blickt Gerald VDH in die Zukunft. Er glaubt, dass viel mehr überleben werden, als man sich das heute denkt. Aber nicht, weil die Solidargemeinschaft sie auffängt, sondern weil sich die Leute irgendwie drüberretten würden. „Weil Clubbesitzer*innen und Veranstalter*innen sind Steherinnen, es ist in ihrer Genetik, dass sie überleben wollen und müssen", sagt Gerald, "aber es ist schade, dass man es uns so schwer macht.“

mehr Paul Pant:

Aktuell: