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Matt Berninger

Chantal Anderson

Matt Berninger veröffentlicht sein erstes Soloalbum

The Nationals Matt Berninger veröffentlicht mit „Serpentine Prison“ sein erstes Soloalbum. Anlass und Zeit, über die Wirkung und Wirksamkeit seiner großartigen Band nachzudenken.

Von Lisa Schneider

Matt Berninger ist immer ein bisschen am Ende. Als Songschreiber für und Sänger von The National hat er die Untiefen der Seele oft erkundet, und das als kluger und aufmerksamer Beobachter. Sein großes Thema ist dabei nicht einmal unbedingt die Liebe, als vielmehr das Wissen darum, dass es nichts Beständiges geben kann. In seinen Liedern stehen wir immer kurz vor dem Absprung von der Klippe: Viel ist nicht mehr zu retten.

Es sind produktive Jahre für Matt Berninger und seine Band The National: noch während vor gut einem Jahr das letzte gemeinsame Album „I Am Easy To Find“ fertiggestellt wurde, hat er begonnen, an seinem ersten Soloalbum zu schreiben. Es kommt nicht überraschend, eher überraschend spät. Seit 20 Jahren ist er Frontmann dieser renommierten und Grammy-ausgezeichneten Band, deren Sound zu einem Großteil von seiner Stimmfarbe, dem unverkennbaren Bariton, und von seiner undurchschaubaren wie präzisen Lyrik geprägt ist. Wie sehr Matt Berninger aber seine vier Bandkollegen braucht, und wie sehr er über die Jahre zu einem kollaborativ arbeitenden Musiker geworden ist, zeigt sein nun veröffentlichtes Album „Serpentine Prison“.

Wozu das alles?

Es sind seine alten, großen Fragen, zu denen Matt Berninger auf der ersten veröffentlichten, gleichnamigen Single „Serpentine Prison“ zurückkehrt. Das Dasein ist hart ohne Drogen und ohne Liebe; am härtesten aber ist die Tatsache, dass einem das Leben ab einem bestimmten Punkt irgendwie davonläuft. Das titelgebende Gefängnis ist dabei eine Metapher für jede Zeile, jedes Lied, dieses ganze Album von Matt Berninger: ein Mikrokosmos aus Leid, Leidenschaft und Einsamkeit, wenn erst einmal klar ist, dass man sich nur selbst helfen kann.

Matt Berninger

Chantal Anderson

Als „ornamental“ wird die Instrumentierung der zehn Songs im Pressetext beschrieben, das klingt beinah pompös, ist es aber nicht. Ein zartes Klavier hier, eine Pedal-Steel-Gitarre da, sonst wenig, bis nichts. Dass Matt Berninger sich mit dem mittlerweile 75-jährigen, großen R’n’B/Funk/Soul-Produzenten Booker T. Jones (Otis Redding, Elton John, Sheryl Crow) zusammengetan hat, war eher eine Überraschung. Die Geschichte ist aber länger: die beiden kennen sich seit gut zwölf Jahren, und ursprünglich wollte Matt Berninger frei nach Willie Nelsons „Stardust“ ein Cover-Album aufnehmen. Im Prozess, davor und drumherum, entstanden aber eigene Songs - „I’m always writing“, sagt Berninger - und so hat sich doch sein erstes eigenes Album ergeben.

Alleine, und doch nicht

Und auch, wenn hier alles stripped down und inhaltlich sehr introvertiert passiert, ist „Serpentine“ Prison ein kollaboratives Album geworden. Mitgewirkt haben unter anderem Andrew Bird oder die ehemalige David Bowie-Bassistin Gail Anne Dorsey, die bereits beim letzten The National-Album „I Am Easy To Find“ dabei war. Anders aber als auf erwähntem Longplayer treten die Mitprotagonisten nicht allzu sehr in den Vordergrund. „Serpentine Prison“ ist das Gegenstück zu Vielstimmigkeit.

Man tritt ein in den Kosmos Berninger, der sanft monoton singmurmelt und gleichzeitig grübelt, ganz so, wie man es vor allem aus Anfangstagen von The National kennt. Schon die Vorab-Singles wie etwa „Distant Axis“ fahren nicht musikalisch, aber dafür inhaltlich die schweren Geschütze auf: auch dieses ist natürlich ein Liebeslied. „I feel like I’m as far as I can get from you“, sing-murmelt Matt Berninger über eine Sache, der er sich einst sicher war, sie würde für immer halten.

Mit Erwartungshaltungen ist es so eine Sache. Es gibt Menschen, die Album um Album in sehr ähnlicher Aufbereitung veröffentlichen (können), die, wenn man so will, ihre Marke gefunden haben, von denen vielleicht auch gar nichts Anderes erwartet wird. Hörgewohnheiten und -sicherheiten werden belohnt, wenn sich Nick Cave, Jeff Tweedy oder bis vor kurzem auch etwa Sufjan Stevens mit neuer Musik zurückmelden. Es ist wie ein kleines Versprechen an die Fans, die vielleicht gerade jetzt auch in der Musik auf der Suche nach Bekanntem, nach Geliebtem gehen. Die Vorfreude auf Matt Berningers Solodebüt war dementsprechend groß.

Cover Matt Berninger Serpentine Prison

Caroline International

„Serpentine Prison“ ist das erste Solo-Album von Matt Berninger und erscheint auf Caroline International.

Was die Band ausmacht

Nicht leider, aber naturgemäß wird sein Album „Serpentine Prison“ am vorangegangenen The National-Oeuvre gemessen werden, und da zeigt sich, was eine wirklich gute Band ausmacht. Eines der größten The National-Alben, „High Violet“, feiert heuer 10-jähriges Jubiläum, und mit ihm Jahrhundertsongs wie „Terrible Love“, „Anyone’s Ghost“ oder „Bloodbuzz Ohio“.

Im Herzen all dieser Lieder liegt der zwischen großer Poesie und schlichten Alltagsbetrachtungen mäandernde Vortrag Matt Berningers, aber was musikalisch rundherum passiert, geht auf Aaron und Bryce Dessner sowie auf Scott und Brian Devendorf zurück. Sie liefern seit jeher die spannendsten Ideen von brodelnden Drumsets bis zu sirenenartig verzerrten Gitarren, zu den größten und schönsten Melodien, Harmonien und Arrangements rund um Matt Berningers Zeilen („The System Only Dreams In Total Darkness“, dieses Monster eines guten Songs, ist in abgespeckter Akustik-Version kaum vorstellbar). Jetzt, zwar nicht allein im Studio, aber ohne seine Band, hat Matt Berninger die erwähnte Vielstimmigkeit, die ausgewogene Balance zwischen Musik und Text zugunsten seiner erzählerischen Präsenz aufgegeben.

Ein weiterer Vergleich ergibt sich, wenn man die Musik von Matt Berningers anderer Band, EL VY (gemeinsam mit Brent Knopf von Menomena und Ramona Falls) jetzt noch einmal genauer betrachtet: Auch hier ist es Brent Knopf, der für die anfangs verwirrenden, später im Albumformat ("Return To The Moon, 2015) selbsterklärenden, elektronisch aufgeladenen Funk-Schrägheiten zuständig ist.

„Serpentine Prison“ ist herbstlich schön, klug arrangiert. Eindimensional. Gerade auch wegen der Texte, die oft kraftloser sind als erwartet. Es ist ein erstes Soloalbum, und es kann im Fall Matt Berningers gar nicht anders, als trotz alldem die Spannung fürs zweite zu heben.

Zuvor wird es aber wohl noch ein neues The National-Album geben. Matt Berninger: „Everybody’s in the studio! It’s the only place we can go.“

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