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Girl in Red

Chris Almeida

Girl in Red ist die queere Musikerin, die der Indie-Pop gebraucht hat

Im Internet ist sie groß geworden, auf TikTok wird sie als lesbisches Vorbild gefeiert: Die 21-jährige Girl in Red nimmt sich in ihren Bedroom-Popsongs nie ein Blatt vor den Mund. Im Interview erzählt Girl in Red von ihren eigenen queeren Vorbildern und wie Songwriting ihrer psychischen Gesundheit hilft.

Von Michaela Pichler

King Princess, Clairo oder Girl in Red: Sie alle gehören einer Generation junger Musikerinnen an, die Indie-Pop mit queeren Lebensrealitäten verbindet. Hinter letzterer steckt die 21-jährige Norwegerin Marie Ulven, die in den letzten Jahren für nordischen Bedroom-Pop gesorgt hat. Erstmals als Girl in Red in Erscheinung getreten ist Ulven auf Soundcloud, mit ihrem allerersten Song „I wanna be your girlfriend“, in dem sie ihr Loveinterest Hannah besingt. Die New York Times nimmt den Song in die Top 10 der „besten Songs des Jahres 2018“ auf. In Norwegen gewinnt Girl in Red diverse Newcomer-Awards - gerade erst wurde sie mit dem diesjährigen Music Moves Europe Talent Award ausgezeichnet. In den vergangenen Jahren entstehen zwei EPs, die die Musikerin auf Tourneen durch ganz Europa und die USA präsentiert, sie begleitet Clairo auf ausverkauften Konzerten und spielt 2019 ihre erste Headliner-Welttournee.

Codewort: Girl in Red

„Ich fühle mich nicht wie ein queeres Idol. Ich bin einfach nur ein Mensch, der zufälligerweise Musik macht und zufälligerweise queer ist. Und diese Zufälle verwandeln sich dann in eine Art Repräsentation, die die Leute sehr gebraucht haben“, erzählt Girl in Red im Zoom-Interview. Die Musikerin ist gerade von einem Termin in der Autowerkstatt in ihre Wohnung in Oslo zurück gekommen. Ihre Winterreifen mussten montiert werden. „Damit fühl ich mich jetzt irgendwie echt erwachsen, als würde ich mein Leben auf die Reihe bekommen!“

Das Image des LGBTQIA+-Vorbilds kommt nicht von irgendwo: In Songs wie „Girls“ spricht die Norwegerin von ihrem Coming-Out und dementiert darin außerdem homophobe Floskeln, die sich Personen abseits der Heteronormativität leider immer noch anhören müssen.

„No, this is not a phase
Or a coming of age
This will never change“

In Musikvideos schwenkt Girl in Red Regenbogen-Fähnchen, auf TikTok zucken ihre Fans aus. Dort gilt die Frage „Do you listen to Girl in Red?“ schon lange als Codewort, um herauszufinden, ob jemand lesbisch ist. Blickt Girl in Red selbst auf ihre eigenen Vorbilder zurück, erinnert sie sich an einen popkulturellen Moment des Jahres 2012: „Ich erinnere mich daran, als Miley Cyrus sich ihre Haare kurz geschnitten hat. Das war für mich ein Katalysator in der Erkenntnis, dass ich auf Frauen stehe. Damals fanden alle, es geht bergab mit Miley Cyrus, aber ich habe sie dadurch nur noch mehr geliebt!“

Überlebensstrategie Songwriting

Dass Girl in Red aber auch andere Themen auf ihrer Agenda hat, beweist sie mit ihren jüngsten Veröffentlichungen. Seit Anfang des Jahres arbeitet sie in ihrer Wahlheimat Oslo an neuen Songs für ihr Albumdebüt. “Die neuen Sachen, an denen ich gerade arbeite, sind so etwas wie Girl in Red 2.0!”, lacht die Solokünstlerin im Interview. Ein dunkler Vorbote ist die aktuelle Single. Inspiriert von der HBO-Serie „Euphoria“ schreibt Girl in Red den Song „Rue“. Flirrende Gitarren legen sich über einen stetigen Beat, der Unruhe verspricht, während die Norwegerin vorsichtig den Songtext rezitiert: „I hate the way my brain is wired / Can’t trust my mind, it’s such a liar / Believe me when I say / I can’t carry the weight!“ In „Rue“ singt Girl in Red erstmals über ihre eigene Angststörung und wie ihr Umfeld darunter mitleidet. Auch die Euphoria-Protagonistin Rue leidet unter Panikattacken. „Rue hat mir geholfen, viel über mich selbst und meine Auswirkungen auf andere Menschen zu erfahren. Wie ermüdend es für andere ist, mit einer Person zusammen zu sein, die so dysfunktional ist und immer wissen muss, dass sie nicht an einen Hirntumor oder so etwas sterben wird.“

Genauso offen wie in dem Interview ist Girl in Red auch in ihrer Musik. Das Thematisieren von so persönlichen Problemen wie der eigenen psychischen Erkrankung fällt Girl in Red nicht schwer, ganz im Gegenteil. Sie nutzt das Songwriting als Strategie: “Die Wurzel meiner Angst liegt darin, nicht die Kontrolle über etwas zu haben. Deshalb ist es für mich ein Gefühl von Sicherheit, Songs über meine psychische Gesundheit zu schreiben. Denn es ist sehr kontrolliert und kommt nur von mir selbst, und wenn ich die Kontrolle habe, fühl ich mich sicherer.” Songs schreiben, um sich sicher zu fühlen. Über diese Strategie können sich auch die Girl in Red-Fans in Zukunft freuen. Wann das Debütalbum das Licht der Welt erblicken wird, hat Girl in Red zwar noch nicht verraten. Das warten wird sich aber auf jeden Fall lohnen.

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