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CC0 von engin akyurt on Unsplash

Die stille Pandemie

Ein Viertel der Österreicher*innen – vor allem junge Menschen und Frauen - erlebt die Pandemie als massiv belastend. Expert*innen warnen vor einer „psychosozialen Pandemie“ und fatalen Folgen.

Von Ambra Schuster

Max hatte sein Leben im Griff. Im Februar schloss er sein Masterstudium in Innsbruck ab, es folgte ein aussichtsreiches Praktikum. Endlich Fuß fassen im Job. Doch dann kam Corona, sein nächstes Praktikum wurde abgesagt. Max weiß nicht mehr, wie es weiter geht, wie er seine Miete zahlen und einen Job finden soll. Aus der Unsicherheit wurde Schlaflosigkeit, später kamen Panikattacken. „Ich habe das Gefühl, dass sich meine psychische prekäre Lage auf meinen Körper projiziert hat und sich dann in diesen Panikattacken geäußert hat“, sagt Max, der mittlerweile in Therapie und auf dem Weg der Besserung ist.

Max ist einer von vielen. Laut einer aktuellen, repräsentativen Studie der Sigmund Freud Privatuniversität beklagt jede*r Vierte eine Corona-bedingte psychische Belastung. Wobei Frauen, junge Menschen und Personen, die in der Stadt leben, stärker leiden.

Zwischen dem 15. und dem 26. Mai 2020 hatte das Gallup-Institut im Auftrag der Sigmund Freud Universität 1.000 Menschen online interviewt. Im kommenden Frühjahr ist eine Folgeuntersuchung geplant.

Die Angst vor dem Virus spielt dabei nur eine bedingte Rolle. Am meisten leidet die Psyche unter den wechselnden Maßnahmen, allen voran dem Social Distancing und dem Verlust der Selbstbestimmung. Zweiter großer Hauptfaktor für psychisches Leiden ist die ständig propagierte Bedrohung und Gefahr. Ängste vor dem Virus zu schüren, sei kein adäquates Steuerungsmittel gegen die Pandemie und verschärfe die Krise eindeutig, sagt Dr. Michael Musalek, Vorstand des Instituts für Sozialästhetik und psychische Gesundheit der Sigmund Freud Privatuniversität.

Die Symptome des Seuchenstresses

Die Nerven liegen blank, Überforderung. Fast jede*r zweite ist seit der Pandemie wesentlich reizbarer. Im schlechtesten Fall äußert sich das auch in steigenden Aggressionshandlungen. Um besser klar zu kommen, griff ein Sechstel der Befragten vermehrt zu Alkohol, ein Drittel hat mehr geraucht. Statt zu helfen, wird Alkohol aber eher zum „Krisenkatalysator“ und verstärkt innerfamiliäre Probleme und auch Gewalt. „Es ist ein Teufelskreis, wenn Menschen mit ihren Sorgen und Ängsten allein gelassen werden“, sagt Dr. Eva Lehner-Baumgartner, Leiterin der Abteilung für klinische Psychologie und Psychotherapie im Wiener AKH.

Ein ständiger Begleiter in der Krise ist außerdem generelle Angst. Weitere Symptome sind depressive Verstimmungen, Freudlosigkeit und zuletzt auch das Gefühl der Ausweglosigkeit. „Wenn ich für mich keine Zukunft sehe, kann sich das in einer Depression manifestieren oder eben auch in einer Kurzschlusshandlung und damit in einer erhöhten Suizidalität“, sagt Lehner-Baumgartner.

Hilfskontakte

  • Corona-Sorgenhotline: 01 4000 53000
  • Telefonseelsorge: 142
  • Rat auf Draht: 147
  • Sozialpsychiatrischen Notdienstes: 01/31330
  • Psychiatrische Soforthilfe: 01 31330
  • Frauennotruf – Beratung und Hilfe bei häuslicher Gewalt: 01 71 71 9
  • Kriseninterventionszentrum: 01 406 95 95

Die psychosoziale Krise beginnt erst

Noch gibt es keinen Suizid-Anstieg. Mit kurzen Belastungen kommt der Mensch prinzipiell gut klar. Das Problem bei der aktuellen Krise ist aber, dass sie dauert. Ein Ende ist nicht in Sicht. „Wir haben große Probleme, Dauerbelastungen auszuhalten, und es handelt sich hier um eine Dauerbelastung“, sagt Michael Musalek. Aus früheren Krisen wisse man, die psychischen Folgen kommen schleichend und verzögert. Sie werden erst nach ein paar Monaten oder einem Jahr manifest, oft auch in Form von ernsthaften psychischen Erkrankungen.

„Wir haben große Probleme, Dauerbelastungen auszuhalten.“
(Dr. Michael Musalek)

Zumindest, wenn nichts dagegen unternommen wird. Das Problem bei dieser „psychosozialen Pandemie“ sei nämlich auch, dass es sich um eine stille Pandemie handelt. Niemand spricht gerne über seine psychischen Probleme und im öffentlichen Diskurs geht es in erster Linie um Corona-Zahlen und die Folgen für die Wirtschaft, die psychische Gesundheit aller ist kein Thema. „Virus-Ansteckungen im Promillbereich stehen 25 Prozent der Bevölkerung gegenüber“, so Musalek. Und nicht zu vergessen: Psychostress schwächt auch das Immunsystem.

Gute Krisenkommunikation statt Angstmache

Langfristig braucht es eine kassenfinanzierte psychische Gesundheitsversorgung in ganz Österreich, sind sich Expert*innen einig. Kurzfristig braucht es niederschwellige Erstberatungsangebote, wie die Corona Sorgenhotline. Und vor allem eine bessere Krisenkommunikation, sie sei jetzt das Um und Auf, so Michael Musalek: „Die zwei besten Mittel gegen die Angst sind einerseits eine klare, sachliche Information über Gefahren und was man gegen sie tun kann. Und andererseits ein eindeutiges Maßnahmenpaket, auf das sich die Menschen einstellen können.“ Abschließend ist außerdem wichtig, sich auch mit den guten und schönen Dingen zu beschäftigen, und nicht nur mit der Krise.

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