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30% Wahlausschluss: Soll es das Wahlrecht für alle geben?

Eine halbe Million Menschen im Wahlalter lebt in der Bundeshauptstadt ohne Wahlrecht. In manchen Bezirken sind fast die Hälfte betroffen. Bei Jugendlichen steigt die Tendenz zum Wahlausschluss noch stärker. Das sagen die Parteien dazu.

Von Lukas Tagwerker

Am Sonntag, den 11. Oktober finden in Wien Gemeinderats- und Bezirksvertretungswahlen statt. Wahlberechtigt sind alle Österreicher*innen, die am Wahltag mindestens 16 Jahre alt sind und seit 14. Juli 2020 ihren Hauptwohnsitz in Wien haben. Auf Bezirksebene kommen noch nichtösterreichische EU-BürgerInnen dazu. Damit sind fast 1,1 Millionen Menschen bei den Gemeinderatswahlen in Wien wahlberechtigt, und rund 1,4 Millionen auf Bezirksebene.

Gleichzeitig wird durch das Kriterum der österreichischen Staatsbürgerschaft aber auch eine halbe Million Menschen im wahlfähigen Alter, die in Wien wohnt, von der Gemeinderatswahl ausgeschlossen, darunter auch 72.000 Wiener Jugendliche zwischen 16 und 24 Jahren. Viele von ihnen können die Bedingungen zur Erlangung der Staatsbürgerschaft nicht erfüllen: 10 Jahre Aufenthalt im Land, B1-Deutschkenntnisse, ein Wissenstest, ein Einkommen von ca 1.100 Euro/Monat sowie Gebühren (je nach Bundesland) zwischen 1.000 und 2.000 Euro und die Aufgabe der bisherigen Staatsbürgerschaft.

Wir haben VertreterInnen aller Parteien, die in Wien zur Wahl stehen gefragt: Wie bewerten sie das Problem? Und welche Lösungsideen haben sie?

SPÖ: „Wenn das so weitergeht, ist es demokratiepolitisch nicht haltbar“

Es hätte ein „Quantensprung für mehr Demokratie in Wien“ sein sollen: im April 2003 beschließt die SPÖ mit ihrer Mehrheit im Wiener Landtag, dass alle Menschen, die seit fünf Jahren durchgehend in Wien ihren Hauptwohnsitz haben, das aktive und passive Wahlrecht auf Bezirksebene erhalten sollen.

Die damalige ÖVP-FPÖ-Bundesregierung brachte dieses Landesgesetz vors Verfassungsgericht. Die Regelung wurde daraufhin vom Gerichtshof aufgehoben, es darf keine „Extrawürstln“ für Wien geben.

Als SPÖ-Bezirksvorsitzende von Rudolfsheim-Fünfhaus vertritt Claudia Laschan rund 77.000 Bewohner*innen im Rathaus, von denen allerdings 42% keine österreichische Staatsbürger*innen sind. „Bei den Bürgerbeteiligungsverfahren sind wir nicht so treffsicher, wie wir das wollen. Wie es vor zehn Jahren war, das war ein bisschen elitär. Da war kein einziger Mensch mit Migrationshintergrund dabei. Da habe ich mich fürchterlich geärgert weil ich selbst in der Sechshauserstraße wohne.“

Bei Umgestaltungen im Bezirk hätte man dann auf Straßenbefragungen zurückgegriffen, um die Ansichten der Wohnbevölkerung einbeziehen zu können. Dass fast die Hälfte ihrer Bezirksmitbewohner*innen für die Mandatsverteilung im Rathaus nicht mitgezählt werden, regt Claudia Laschan auf: „Der 15.Bezirk ist praktisch um die Hälfte der Einwohner reduziert bei der Berechnung der Mandate!“

Der Wiener SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig sieht das Wahlrecht auf Wiener Landesebene weiterhin mit der Staatsbürgerschaft verbunden. Darüberhinaus fordert Claudia Laschan eine Senkung der Kosten für eine Einbürgerung und die Ausweitung des Wahlrechts für alle und nicht nur auf Bezirksebene. Sie fordert die Grünen auf, für eine Verfassungsänderung in der Bundesregierung Druck zu machen, denn es braucht eine Zweidrittel-Mehrheit im Nationalrat.

FPÖ: Keine Stellungnahme eingetroffen

Grüne: „Wer seit 5 Jahren hier lebt, soll Wahlrecht haben“

Die Forderung der Grünen geht über die der SPÖ hinaus: Alle, die fünf Jahre in Wien wohnen und unbescholten sind, sollen das volle Wahlrecht bekommen.

David Ellensohn, der Klubobmann der Grünen im Rathaus: „Alle, die in Wien sind, sind Wiener und Wienerinnen und sollten wahlberechtigt sein. Solange die Sozialdemokratie sagt ‚Wahlrecht ist Staatsbürgerschaftsrecht‘ müssen wir etwas anderes machen. Da müssen wir schauen, dass wir Menschen, die hier wohnen schneller, leichter und billiger einbürgern. Viele Leute sind ganz ganz lange da, haben Jobs, die leider nicht so viel Geld abwerfen und dann ist eine Einbürgerung eine teure Angelegenheit und es dauert auch lange.“

Solange es allerdings in Österreich eine FPÖ-ÖVP-Mehrheit im Nationalrat gäbe, würde wenig weitergehen. Deshalb fordert David Ellensohn, dass sich die anderen Parteien, also SPÖ, Grüne und Neos gemeinsam auf eine Linie einigen, um vorläufig den Zugang zur Staatsbürgerschaft zu erleichtern. „Da wird es einen Kompromiss brauchen, weil so weit wie wir sind die anderen beiden leider nicht.“

ÖVP: „Es gibt keinen Wahlausschluss“

Die Integrationssprecherin der Wiener ÖVP, Caroline Hungerländer möchte nicht von einem Wahlausschluss von 30% der Wiener Bevölkerung sprechen: “Wir sehen das nicht als Ausschluss. Wahlberechtigt ist, wer die Staatsbürgerschaft besitzt.“ Von den 30%, die in Wien leben und nicht wahlberechtigt sind, seien mehr als die Hälfte bereits 10 Jahre oder länger hier. Hungerländer spielt den Ball diesen Leuten selbst zu: “Sie könnten die Staatsbürgerschaft beantragen, wenn sie alle Voraussetzungen erfüllen. Die Staatsbürgerschaft ist die Krönung eines erfolgreichen Integrationsprozesses.“ Sie sehe keinen aktiven Ausschluss von der Wahl, sondern man sei „einfach nicht berechtigt, weil man keine Staatsbürgerschaft besitzt. Wir wünschen uns, dass Menschen, die sich langfristig in Österreich niederlassen und hier ihren Lebensmittelpunkt haben und hier auch mitsprechen wollen über die Zukunft unseres Landes, das auch mit der Staatsbürgerschaft bekräftigen.“

Zu den von Politikwissenschaftern bemängelten hohen finanziellen Hürden beim Erwerb der Staatsbürgerschaft sagt Carolin Hungerländer: „Wir sehen eigentlich, dass es jetzt momentan passt und nicht verändert werden muss.“
Und: „„Die Integrationspolitik wird in dieser Stadt völlig falsch angegangen, es muss dringend ein Umdenken geben. Wir müssen endlich wegkommen von einer Willkommenskultur hin zu einer Mitte-Rechts Politik mit Anstand.“

Neos: „Wahlrecht für alle EU-Bürger*innen“

Von den Neos ist der in Salzburg geborene Spitzenkandidat Christoph Wiederkehr für eine Stellungnahme erreichbar: „Wien wächst seit Jahren. Wir haben allerdings 2020 weniger Wahlberechtigte als noch 2015! Da müssen wir entgegensteuern.“

Als ersten Schritt möchte Wiederkehr auch EU-Staatsangehörigen das volle aktive und passive Wahlrecht auf allen Ebenen geben. Als zweiten Punkt fordert er leichteren Zugang - günstiger und unbürokratischer - zur österreichischen Staatsbürgerschaft sowie die Ermöglichung von Doppelstaatsbürgerschaften.

Wer für einen gewissen Zeitraum aus Wien ins Ausland zieht, etwa als Studierende*R für ein Auslandssemester, der und die soll auch ohne Hauptwohnsitz in Wien trotzdem in der Stadt mitbestimmen können „weil man ja wieder nach Wien zurückkommt und darum die Politik, die hier gemacht wird, einen auch betrifft.“

LINKS: „Wahlrecht für alle nach einem Jahr Lebensmittelpunkt in Wien“

Der Kulturarbeiter Can Gülcü, Gründungsmitglied der neuen Partei LINKS und Teil des Spitzenkandsidatentrios: „Dass über 480.000 Menschen in Wien nicht wahlberechtigt sind, obwohl sie zum Teil über 10, 20 Jahre in Wien leben, ist ein demokratiepolitischer Skandal und auch ein Witz. Das bedeutet, dass die Demokratie auf einem halben Bein steht. LINKS fordert deswegen das Wahlrecht für alle auf Gemeindeebene und auf Bezirksebene nach einem Jahr Lebensmittelpunkt in Wien.“

Gülcü fordert einerseits Erleichterungen beim Erlangen der Staatsbürgerschaft und andererseits auch die Anerkennung der gesellschaftlichen Realität, in der Menschen mehrfache Zugehörigkeiten, Identitäten und StaatsbürgerInnenschaften haben. Deshalb gehe das Thema „Wahlrecht für alle“ über das Thema Staatsbürgerschaft hinaus.

SÖZ: „Wahlrecht nach 5 Jahren Hauptwohnsitz“

Martha Bissmann, Spitzenkandidatin der ebenfalls in ganz Wien kandidierenden Partei SÖZ - Soziales Österreich der Zukunft – sagt: „Der Wahlausschluss von 30% bedeutet, dass wir nicht mehr vom allgemeinen Wahlrecht sprechen können. Das ist demokratiepolitisch ein Riesenproblem.“

Neben Erleichterungen beim Zugang zur Staatsbürgerschaft ist die Reform des Wahlrechts eine Forderung von SÖZ: „Wenn man fünf Jahre durchgehend den Hauptwohnsitz in Wien hat, dann hat man das Recht auf politische Mitsprache erworben.“

Solange diese Wahlrechtsänderung noch nicht umgesetzt ist, fordert Bissmann einen „Migrant*innen-Beirat“, wie es ihn in Städten wie München oder Graz gibt. Dieser Beirat könne von Nicht-Wahlberechtigten bei eigenen Wahlen legitimiert werden und selber Anträge in den Gemeinderat einbringen. Ein symbolisches – aber kein faktisches – Vetorecht gegen im Gemeinderat beschlossene Gesetze würde den Stimmen der bislang Nicht-Wahlberechtigten zusätzlich Gewicht verleihen. Parteien könnten es sich im Licht der Öffentlichkeit nicht leisten, ein solches Veto ganz zu ignorieren.

Team HC Strache – „Wahlrecht muss Staatsbürgerrecht bleiben“

Der ehemalige FPÖ-Bezirksrat aus Wien-Landstraße Dietrich Kops und nunmehrige Kandidat für die neue Partei „Team HC Strache – Allianz für Österreich“ sagt zur wachsenden Zahl nicht wahlberechtigter Menschen in Wien: “Demokratiepolitisch sehe ich es nicht bedenklich, weil, wenn ich mich jetzt zum Staat bekenne, dann muss ich auch etwas für den Staat sozusagen leisten.“

Die Einkommenshürden bei der Staatsbügerschaft sollen bleiben, denn „Ich will jetzt nicht wieder mir Sozialhilfeempfänger hineinholen.“
Während Kops EU-Bürgern ihr Wahlrecht auf Bezirksebene gerne wieder wegnehmen würde – was aber EU-rechtlich nicht möglich ist – fällt auf, dass das Team HC Strache sich in einem anderen Punkt liberaler positioniert als die ÖVP, und zwar bei der Frage der Einbürgerungskosten. Dietrich Kops: „Ein Integrationsprozess muss abgeschlossen sein mit gewissen Voraussetzungen und dann kann ich mir schon vorstellen, dass die Gebühr herabgesetzt wird, weil das ist nur eine Abzocke im Grunde genommen.“

FM4 Auf Laut zum Wahlrecht

Der Wiener Schulsprecher Bilawal, der 400 Mitschüler*innen vertritt oder die in Wien geborene und aufgewachsene Germanistin Enisa - eine halbe Million Menschen im Wahlalter (30% aller Wiener*innen) leben in der Bundeshauptstadt ohne Wahlrecht, Tendenz weiter steigend.

Welche Bedeutung haben Wahlergebnisse, wenn so viele Menschen keine Stimme abgeben dürfen? Wer soll wählen dürfen? Wie können wir den demokratischen Ausschluss beheben?

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