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Ronya Othmann lächelt, sie steht auf einem freien Feld und trägt einen Anzug.

Cihan Cakmak

Ronya Othmann bringt uns in „Die Sommer“ die Geschichte der Jesid*innen nahe

„Die Sommer“ ist ein Roman, der nie konstruiert wirkt und Weltpolitik auf eine Familie herunterbricht. Damit leistet Ronya Othmann ganz schön viel: Sie bringt uns Jesid*innen nahe und erinnert an Dörfer, die dem Erdboden gleich gemacht wurden.

Von Maria Motter

Die Terrormiliz des sogenannten Islamischen Staat hat einen Vernichtungsfeldzug gegen die kleine ethnisch-religiöse Minderheit der Jesid*innen geführt. Am 3. August 2014 überfielen die Terroristen die letzte Enklave der Jesidinnen und Jesiden im Nordirak. Sie ermordeten Frauen und Männer, verschleppten die Mädchen. Es war ein Völkermord, wie eine Kommissarin der Vereinten Nationen festhielt.

Die deutsche Autorin Ronya Othmann setzt die Nachrichten vom Massaker ans Ende ihres Debütromans „Die Sommer“. Für Reportagen ist die 27-jährige schon ausgezeichnet worden. In ihrem ersten Roman vermittelt sie die Geschichte der Jesid*innen über eine liebevoll erzählte Familiengeschichte, die im Genre des Dorfromans beginnt und sich zum Emanzipations- und Entwicklungsroman formt - aber ohne Kitsch auskommt.

Das Buchcover und der Einband des Romans "Die Sommer" von Ronya Othmann ist eine Landschaft.

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„Die Sommer“ von Ronya Othmann ist 2020 im Carl Hanser Verlag erschienen. Das Debüt ist für den Aspekte-Literaturpreis nominiert, der vom ZDF am 15. Oktober verliehen wird. Ebenso auf der Shortlist sind Cihan Acars „Hawaii“, Verena Keßlers „Die Gespenster von Demmin“, Olivia Wenzels „1000 Serpentinen Angst“ und „Streulicht“ von Deniz Ohde, das auch für den Deutschen Buchpreis als bester Roman des Jahres nominiert ist.

Es war einmal ein Dorf in Kurdistan

Die Romanfigur Leyla wächst in Deutschland als Kind eines jesidischen Vaters und einer Mutter aus dem Schwarzwald auf, aber die großen Ferien verbringt sie bei ihren Großeltern in dem kurdischen Dorf Tel Khatoun. In einer Lehmhütte schläft die ganze Familie, in einer anderen wird gekocht.

Die Autorin Ronya Othmann teilt das Geburtsjahr 1993 mit ihrer zentralen Protagonistin Leyla. Und von dieser ausgehend, erzählt sie die Geschichte von drei Generationen, die bis zum Völkermord an Armeniern im Jahr 1915 zurückreicht und vor allem immer wieder die Verfolgung der Jesid*innen zum Thema hat. Das Jesidentum ist eine der ältesten monotheistischen Religionen der Menschheit.

„Die Sommer“ bleibt immer verständlich. Innig sind die Kindheitserinnerungen an die Sommer bei den jesidischen Großeltern, neugierig und staunend die kindlichen Beobachtungen all der Verwandten. Viele wunderschöne Miniaturen finden sich in dieser Geschichte voll Geschichten. Gewalt bricht im Schlaf über einen herein, einen anderen verfolgt sie im Geheimen, doch aus nächster Nähe.

Wenn Truthähne einem Bauern über ein Minenfeld davonlaufen oder die Porträtbilder des syrischen Präsidenten das Mädchen Leyla zu verfolgen scheinen, wird die immerwährende Bedrohungslage greifbar. Leylas Vater ist bereits lang vor ihrer Geburt ein Oppositioneller gewesen.

Fremdheitserfahrungen werden im zweiten Teil des Romans nachvollziehbar geschildert. In dem geht es verstärkt um das Leben zwischen zwei Kulturen und um alltägliche Konflikte, wenn Leyla der Umgebung und den Eltern nicht so zu genügen vermag, wie sie das sogar möchte.

Bedacht, aber nicht betulich sind die Details in diesem sehr schönen Roman gesetzt. „Die Sommer“ ist ein Buch, das nie konstruiert wirkt und Weltpolitik auf eine Familie herunterbricht. Und damit leistet Ronya Othmann ganz schön viel.

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