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Kühle Meile Zieglergasse

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Stadtplanerin und Architektin Gabu Heindl zu Green Washing in der Stadtplanung

Die Klimakrise zwingt Ballungsräume dazu, in der Stadtplanung umzudenken. Auch vor Wien macht sie nicht halt: Die Stadt muss grüner und kühler werden, Asphalt muss weg, Grünflächen her. Ohne passende Instrumente kann das aber schnell zu Green Washing führen, erzählt Stadtplanerin Gabu Heindl bei einem Spaziergang durch die kühle Meile in der Zieglergasse.

Von Melissa Erhardt

In der Zieglergasse im siebten Wiener Gemeindebezirk bläht sich zwischen Burggasse und Kandlgasse eine riesige Baulücke auf. Gabu Heindl bleibt davor stehen: „Das ist ein Haus, das ganz knapp, bevor es eigentlich nicht mehr möglich gewesen wäre, abgerissen worden ist.“ Es sei zurzeit einfach profitabler und billiger, Gebäude wie dieses – ein nicht sehr lukratives, aber sanierungsfähiges und weiter nutzbares Biedermaier-Haus – abzureißen. „Mit dieser Goldgräberstimmung in der Stadt ist jetzt Betongold zu bauen, da kommt schon der eine oder andere auf die Idee zu sagen: Das reiß ma ab, da können wir ja viel dichter, viel kompakter und viel kleinere Wohnungen um viel mehr Geld bauen."

"Das ist Betongold, gestapelte Aktien und Sparbücher, die da gebaut werden. Nicht Wohnraum.“

Schleppende Klimaanpassung

Die Zieglergasse ist die erste klimaangepasste Straße Wiens. Sie dient aber nicht nur zur Abkühlung der heißen Innenstadt in den Sommermonaten, sondern soll mit Sitzmöglichkeiten und Bäumen auch zum Sitzen und Verweilen einladen. Fast ein Jahr lang wurde daran gearbeitet, initiiert hat das Projekt die Bezirksvertretung Wien-Neubau unter Bezirksvorsteher Markus Reiter.

Als wir vorbeigehen, steht Reiter mit zwei Architekten an der Ecke Westbahnstraße/Zieglergasse und erklärt Anrainer*innen die Eckgestaltung. Wenn man nicht wüsste, dass es sich hierbei um ein rund 2,4 Millionen Euro schweres Projekt handelt – man würde davon nichts merken. Es gibt Bäume, ja, und Bänke – aber sollte das nicht eigentlich Gang und Gäbe sein? „Es gibt überhaupt keinen Grund, warum dieser Bezirk nicht durchgängig angemessen gestaltet sein sollte, das ist ein wohlhabender, gut verwalteter Bezirk mit vielen Restaurants und Läden, hier wohnen viele, die gute Wohnungen haben. Aber eine sozialpolitische oder ökologische Maßnahme im großen Stil – dafür ist mir das zu wenig.“

„Man könnte sagen: Mit jeder Wohnung ist ein Baum zu pflanzen“

Gabu Heindl sehnt sich nach einem Paradigmenwechsel. „Es müsste normal sein, dass in einem Bezirk, wo es wenig Grün gibt, Grün nachgepflanzt wird. Es müsste eigentlich so normal sein, dass in den Städten kein Neubau mehr entstehen sollte, ohne eine entsprechende Anzahl an Bäumen. Die Bauordnung schreibt heute noch vor, dass mit jeder Wohnung ein Prozent Stellplatz verpflichtet ist, also Parkplatz. Man könnte da einen Paradigmenwechsel einführen und sagen: Wir drehen das radikal um. Mit jeder Wohnung ist ein Baum zu pflanzen.“

Gentrifizierung durch Ökologisierung

Das Schwierige daran: Die grüne und kühle Stadt muss trotzdem leistbar für alle Wiener und Wienerinnen bleiben. Das erklärt Heindl am Beispiel der Fußgängerzone in der Mariahilferstraße: „Man bräuchte bei all diesen Verschönerungsaktionen ein Paket, um sicherzustellen, dass man den Straßenraum verbessert, aber gleichzeitig nicht die Geschäftsstruktur verändert, was hier aber passiert ist. Stadtteile schöner, kühler und grüner zu machen muss auch heißen leistbarer, und nicht das Gegenteil."

Im Moment ist es aber wie das Amen im Gebet, zu sagen: Der öffentliche Raum wird aufgewertet und damit müssen automatisch die Mieten steigen.“

Gabu Heindl

Gabu Heindl

Gabu Heindl ist Stadtplanerin und Architektin. Im August ist ihr Buch „Stadtkonflikte. Radikale Demokratie in Architektur und Stadtplanung“ im Mandelbaum Verlag erschienen.

Gabu Heindl nennt das Green Washing, also eine Vertreibung durch Begrünung. „Es ist zu befürchten, dass durch Ökologie-Maßnahmen sowas wie Green Washing passiert. Nämlich ein Verdrängungsprozess derer, die vorher da waren, in dem Moment wo begrünt, gekühlt, entziegelt und die Qualität aufgebessert worden ist. Wir wollen in 10 Jahren nicht sagen müssen, jeder weiß jetzt um den Namen Green Washing Bescheid, aber gleichzeitig hat niemand verhindert, dass hier großflächig Verdrängungsprozesse passiert sind, weil sich, und das wird passieren, die Menschen um die kühleren Orte in der Stadt streiten werden.“

Wer kann diese Maßnahmen umsetzen?

Dass sich die Wiener Stadtpolitik künftig auch auf diese Herausforderung einlassen muss, ist damit klar. Auf die Begrünung der Stadt haben sich die Grünen mittlerweile stark und gut fokussiert. Potential zur Vermeidung eines Green Washings in der Stadtplanung sieht sie vor allem bei der neuen LINKS-Partei. „Man muss die Klimakrise und die soziale Krise zusammendenken. Nicht umsonst haben wir zunächst über fehlenden Wohnraum und über Spekulationsobjekte gesprochen – daneben wirkt der gepflanzte Baum mickrig. Er ist genauso wichtig, letztendlich ist es aber die Kombination. Es ist keine Wohnung eine gute Wohnung, ohne das entsprechende Umfeld und die Möglichkeit rauszugehen und Kühle zu ermöglichen, es ist aber auch kein öffentlicher Raum ein guter Raum, wenn es nicht anlagernd daran leistbare Wohnungen gibt. Die Kombination muss man eben hinkriegen.“

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