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Donald Trump und das Coronavirus

Britbox

ROBERT ROTIFER

Was heißt hier „korrekt“?

Höchste Zeit für eine gründliche Begriffsumkehr: Die Realität einer erstickenden politischen Korrektheit der anderen, rechten Art am Beispiel der Neuauflage von „Spitting Image“ und des Verbots von antikapitalistischem Gedankengut an Großbritanniens Schulen.

Eine Kolumne von Robert Rotifer

Warnung: Mangels besserer Alternativen verwendet der folgende Text die Begriffe „links“ und „rechts“ im vollen Bewusstsein ihrer Unschärfe.

Ich bin so alt, ich kann mich noch an „Spitting Image“ im Original erinnern. Ihr womöglich nicht, daher hier eine kurze Erklärung: Eine satirische Puppen-Show dieses Namens lief von Mitte der Achtziger bis Mitte der Neunziger auf dem britischen Sender ITV und in weiterer Folge auch im ORF-Fernsehen. Sie war berüchtigt für ihren schonungs- und furchtlosen Umgang mit als dreidimensionale Karikaturen dargestellten Politiker*innen, der königlichen Familie und sonstiger angloamerikanischer Prominenz. Damals, als der britische Humor noch als der bissigste und schwärzeste der Welt galt.

Robert Rotifer moderiert FM4 Heartbeat und lebt seit 1997 in Großbritannien, erst in London, dann in Canterbury, jetzt beides.

Vergangenes Wochenende ist „Spitting Image“ nun in einer seit 2017 angekündigten neuen Version zurückgekehrt. Erst letzten November zeigte Roger Law, der hinter dem Revival stehende, 78-jährige Mitbegründer der Originalserie, sich zuversichtlich, auch einer durch und durch realsatirischen Figur wie Donald Trump mit dem bewährten Rezept der satirischen Überhöhung begegnen zu können. Seine Trump-Puppe, versprach er dem Guardian, werde „ein absolutes Monster“ sein.

Jetzt wurde dieses also endlich in der ersten neuen Episode von „Spitting Image“ enthüllt, und tatsächlich sieht man das versprochene Trump-Monster das Coronavirus zum Vizepräsidenten nominieren, aber wie zu befürchten war, ist des Präsidenten Puppen-Double dabei artikulierter, intelligenter und kohärenter, sprich langweiliger als der Echte, zumal der Puppe auch gezwungenermaßen dessen stärkster Trumpf abgeht: Unser Nicht-glauben-können-dass-der-das-wirklich-gesagt-hat.

Wenn Greta Thunberg hysterisch „Hot!“ schreit

Aber auch in ihren anderen karikierten Figuren – allesamt bis auf eine Ausnahme (Greta Thunberg) angelsächsisch – wirkt zumindest die erste Folge der Serie eigentümlich leblos, schwerfällig und abgedroschen: Die britische Innenministerin Priti Patel als Domina, Prince Harry am Arbeitsamt, Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern als autoritär sozialistische Mary Poppins, die einen Covid-Kranken köpft, um die Infektionsrate niedrig zu halten, Thunberg als zornige TV-Metereologin, die vor der Wetterkarte steht und hysterisch „Hot!“ schreit, so geht das dahin. Leider nichts zum Lachen, aber als Zeitdokument doch auch ziemlich interessant.

„Spitting Image II“ wird als Zugpferd einer unfreiwillig selbstparodistisch benannten Plattform namens Britbox gesendet, die ITV und BBC gemeinsam als Konkurrenz zu Netflix in die Welt gesetzt haben. Das ebenso optimistische wie kostengünstige Konzept, mit den alten Heulern britischer Fernsehgeschichte ein globales Publikum zu erreichen („Okay ihr mögt Monty Python, dann wollt ihr sicher auch Hollyoaks“), entspricht dem hierzulande seit dem Brexit obsessiv gepflegten Hang zur Selbstbetrachtung und -überschätzung.

Spitting Image neue Serie Gruppenbild

Britbox

Im Kontext des alten Archivmaterials, das den Rest der Britbox füllt, bietet Spitting Image II aber auch einen guten Vergleich zwischen der Vergangenheit und der Zukunft der BBC, deren konservativer neuer Generaldirektor Tim Davie neulich offen (wenn auch versteckt hinter der Paywall des Daily Telegraph) nach weniger linker und mehr rechtsgerichteter Comedy auf seinen Sendern rief.

Woke Spaßbremsen versus kiffender Premier

Das neue „Spitting Image“ gibt nun einen Eindruck davon, was man sich darunter vorstellen kann. Da wäre etwa ein Sketch mit Boris Johnson, der sich – frustriert vom alltäglichen Regierungsgeschäft in Covid-Zeiten – in ein Studentenheim beamt, um dort auf Lockdown-Party zu machen:

Male student: “Who are you again?”
Johnson: “I’m the new boy! Johnson B, the Bosemeister, reading Classics, like I give a damn, right?”
Female student: “Erm. Boundaries?”
Johnson: “As in ‚Let’s cross them, ey?‘ Break out the green! I brought the Parliamentary Bong.”

(zieht eine Wasserpfeife in Form des Big Ben hervor)

Female student: “Smoking marihuana is cultural appropriation.”
Johnson: “Crikey. Statue topplers, ey? What do you do for kicks round ‚ere?”
Female student: “I’m teaching myself coding.”
Male student: “I’m curating a web page for vegan profiteroles.”
Johnson: “Sounds rather serious.”

Als ziemlich unschlüssige Pointe dieser Szene sucht Johnson das Weite, nachdem er von der Höhe der Studiengebühren (umgerechnet 10.000 Euro pro Jahr) erfährt, und in einem mag man dem Puppen-Johnson dabei schon zustimmen: Lustig klingt das alles nicht.

Im obigen Vorspiel dazu lassen sich aber immerhin die Grundmuster des neuen rechten Humors erkennen: Johnson ist also der Freigeist, will lieber kiffen als studieren. Die weibliche, „woke“ Spaßbremse bezichtigt ihn sogleich der kulturellen Aneignung und des Verletzens ihrer persönlichen Sphäre. Für Johnson genügt das schon, um sie als Denkmalstürmerin im Dienst von Black Lives Matter zu outen. Beide Student*innen sind natürlich weiß, sie studiert Programmieren (wie abturnend), ihr Studienkollege vertreibt online fleischlose Süßspeisen mit französischen Namen (nichts für gestandene Brit*innen).

Boris Johnson mit Wasserpfeife

Britbox

Wir haben es hier also mit Satire zu tun, deren Anti-Establishment-Attitüde darin besteht, den amtierenden Premierminister auf Kosten politisch korrekter Zoomers als ulkigen Regelbrecher zu glorifizieren. Eine Rolle, die Johnson im echten Leben mit Fortschreiten der Covid-Krise schon lange nicht mehr spielen kann.

Aber auch sein großer Wahlschlager vom letzten Winter, der Brexit, ist „Spitting Image“ interessanterweise keine einzige Erwähnung wert. Womöglich weil der angepeilte amerikanische Markt sich dabei nicht auskennt, oder weil es zu diesem Thema auf Regierungslinie nur mehr wenig zu lachen gibt.

Doch man braucht dem Komitee an Autor*innen, das an dieser müden Show gearbeitet hat, gar nicht erst Selbstzensur zu unterstellen. Gut möglich, dass sie die Ziele ihrer Satire aus freien Stücken gewählt haben und zur von Tim Davie heraufbeschworenen neuen Welle rechter Kreativer gehören, die bisher vom linken Comedy-Diktat unterdrückt wurden. Bloß warum ringen sie dann gar so verzweifelt nach Ideen? Angeblich stehen wir doch mitten in den Culture Wars, und der Ratio der Rechten zufolge hungert der/die Normalverbraucher*in nach dem roten Fleisch des von der Cancel Culture Verbotenen, nach all den verdrängten Wahrheiten, die man „doch noch sagen dürfen“ wird?

Ich würde vermuten, das erbärmliche Scheitern dieses Versuchs ist kein arbiträrer Flop, sondern vielmehr Anzeichen einer weiteren Umkehr. Die Dynamik der letzten Jahre – eine dauerbeleidigte Linke, die ständig nach dem Schiedsrichter ruft versus rechtslibertäre Scheißmirnix-Attitüde – ist gerade spürbar am Kippen. Denn (nicht nur) in Großbritannien hat die Rechte den Geschmack an autoritären Mitteln zur Durchsetzung ihres Siegs auf allen Linien wiedergefunden.

Kahlschlag in der Kulturszene - und neue Jobs bei den britischen Fox News

Synchron zum Launch von „Spitting Image, The Boris Years“, wird in Großbritannien nämlich gerade die Coronakrise zu einem systematischen Kahlschlag in der Kulturszene genützt. Schatzkanzler Rishi Sunak hat existenzgefährdeten Musiker*innen, Künstler*innen und allen, die sonst noch in der kaltgestellten Live-Branche arbeiten, kaum verhüllt dazu geraten, sich um andere Jobs umzusehen. Etwa ein Drittel der britischen Musiker*innen erwägt bereits ernsthaft den Berufsausstieg, und diese Ausdünnung der prekären Nischen der jahrzehntelang als britischer Triumph gepriesenen „Cultural Industries“ passt der britischen Regierung durchaus ins Konzept. Am Horizont winkt ein gestreamlinetes Monopol von Repräsentationskultur und Mainstream, von privat bis öffentlich-rechtlich.

Andrew Neil, ein 71-jähriger Ex-Murdoch-Mann, der sich in seinen Politik-Shows auf der BBC über Jahrzehnte erfolgreich als harter aber fairer Star-Interviewer vermarktete, ließ sich jüngst für einen neuen Nachrichtensender namens GB News abwerben, der die angebliche Marktlücke eines britischen Äquivalents zu Fox News füllen und als rechte Avantgarde den vermeintlich linken Staatsfunk vor sich her treiben soll.

Gleichzeitig damit hat das britische Unterrichtsministerium neue Richtlinien für Lehrer*innen herausgegeben, die die Verwendung von Material aus Quellen mit „extremen politischen Standpunkten“ im Schulunterricht verbieten. Als Beispiel dafür werden unter anderem Schriften erwähnt, die sich positiv zum Sturz des Kapitalismus äußern.

Diese dystopischen Vorstöße tragen allerdings unübersehbar paranoide Züge: Wer antikapitalistische Gedanken verbieten will, der vertraut offenbar nicht mehr auf die für allzu viele unerreichbar gewordenen, materiellen Verheißungen der eigenen Ideologie. Wer Humor steuern und die kulturellen Nischen aushungern will, der hat Angst davor, was sich in den Köpfen der Menschen abspielt. Dabei könnte sich die britische Rechte am historischen Beispiel des „real existierenden Sozialismus“ ansehen, wie solche Repressionsstrategien unausweichlich enden.

Vor allem aber verspielt sie damit gerade ihr größtes kulturelles Kapital, nämlich die in den vergangenen zwei Jahrzehnten erfolgreich der Linken entwendete, libertäre Free Speech-Agenda.

Im Februar hatte sich Bildungsminister Gavin Williamson noch in einem unverblümten Angriff auf den politisch korrekten Konsens für das Recht auf freie Meinungsäußerung an den britischen Universitäten stark gemacht. Aber wie wird das jene Generation von Schüler*innen, denen man heute das Zweifeln am Kapitalismus untersagt, interpretieren, sobald sie einmal an der Uni ist?

Die Definitionsmacht des politisch Korrekten gehört längst wieder der Rechten - ist das eine Chance für die Linke?

Nach dem offensichtlichen Ende der langen Ära der repressiven Toleranz nähern wir uns also unausweichlich dem Punkt, an dem das routinierte Anprangern eines vorgeblich linken Gesinnungsterrors mit der neuen Realität der repressiven Dominanz der Rechten kollidiert.

Und darin liegt für eine in der Defensive erstarrte Linke eigentlich auch eine Chance, und zwar auf die Rückeroberung des von der Rechten gekaperten Rebellionsgestus. Also genau jener offensiven Überschreitung des Erlaubten, durch die das linke bis sozialliberale Lager das ganze 20. Jahrhundert über die politische und kulturelle Zugrichtung des Fortschritts bestimmt hatte.

Zugegebenermaßen bin ich selbst zu alt, um mich jenen Stimmen anzuschließen, die dieser Tage gern behaupten, Political Correctness sei immer schon ein von der Rechten verbreiteter Kampfbegriff oder bestenfalls eine Selbstironie der Linken gewesen. Dazu erinnere ich mich zu gut an das erste Aufbrausen des PC-Diskurs in den frühen Neunzigern. Warnungen, dass der solchen Absolutismen innewohnende Hegemonialanspruch sich nicht mit linkem Antiautoritarismus vereinen lassen würde, wurden schon damals gern als Verrat an der guten Sache missverstanden.

Aber wie man es auch argumentiert, das derzeitige Canceln des PC-Begriffs (ja, Ironie) ist erst einmal willkommen. Noch besser wäre es allerdings, ihn endlich einmal umzudrehen. Was unverhandelbar „korrekt“ ist, wird schließlich von den Inhaber*innen der Definitionsmacht bestimmt, und im Fall des Verbots antikapitalistischer Inhalte im Schulunterricht besteht über deren Gesinnung nun wirklich kein Zweifel mehr.

So gesehen stellt dieser von der Regierung verordnete Verstoß gegen die Meinungsfreiheit an den britischen Schulen also einen autoritären Akt der rechten politischen Korrektheit dar. Nicht von ungefähr bedient er sich der PC-Rhetorik, indem er den Antikapitalismus explizit mit Rassismus oder Antisemitismus gleichsetzt.

Analog dazu ließe sich der rechte Humor à la Spitting Image II ebenfalls als politisch korrektes Phänomen deuten, argumentiert doch auch der neue BBC-Chef getreu dem PC-Handbuch, wenn er eine Gleichstellung rechter Komiker*innen gegenüber der mutmaßlichen, linken Übermacht in ihrer Branche fordert.

Da wird also zugunsten einer Minderheit positiv diskriminiert, obwohl diese offensichtlich keine guten Witze schreibt. Was ist das, wenn nicht „political correctness gone mad“?

Apropos gute Witze: Laut Erhebungen der Schweizer Bank UBS ist der Reichtum der 2189 Milliardäre auf dieser Welt in der für so viele andere mehr ruinösen bzw. tödlichen Coronakrise um mehr als ein Viertel auf insgesamt 10,2 Billionen Dollar gestiegen. 189 Milliarden davon gehören Jeff Bezos, der dank des blühenden Lockdown-Geschäfts im Online-Versandhandel heuer um 74 Milliarden Dollar reicher wurde, während sich allein in den USA fast 20.000 seiner Arbeiter*innen mit dem Coronavirus ansteckten.

Man könnte glatt zu dem Schluss kommen, das kapitalistische Wohlstandsmodell sei verkommen, wenn nicht komplett kaputt.

Ich für meinen Teil finde ja, die Menschheit wird sich dringend ein besseres System ausdenken müssen. Das wird man wohl noch sagen dürfen.

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